Britische Arbeiter besetzen eine Fabrik

Frischer Wind auf der Insel

Mit einer Besetzung versuchten Arbeiter der Windturbinenfabrik Vestas in Großbritannien, die Schließung des Werks zu verhindern.

Die Isle of Wight ist eine beliebte Urlaubsinsel. Viele Briten schätzen das für Landesverhältnisse gute Wetter, die schönen Sandstrände und die Touristenstädtchen. Soziale Konflikte und Klassen­kampf scheinen weit weg zu sein, doch auf der Insel läuft das Geschäft nicht mehr so gut, seit viele Urlauber lieber in den Süden fliegen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, doch die Isle of Wight ist traditionell auch sehr konservativ geprägt, hier gibt es keine Tradition von Arbeitskämpfen.
Nun aber wurde auf der Insel eine Windrotorenfabrik der Firma Vestas in Newport von den Arbeitern besetzt. Die Situation bei Vestas war nach Angaben der Arbeiter sehr angespannt, es gab Mobbing, Kollegen, die sich gewerkschaftlich organisieren wollten, wurden rausgeekelt. Die Beschäftigten hofften, dass ihnen ungeachtet der Wirtschaftskrise zumindest ein festes Einkommen erhalten bliebe, was angesichts der Arbeitsmarktsituation auf der Isle of Wight schon einiges heißt.
Immerhin produzierten die 625 Arbeiter der Fabrik Windrotoren, und erneuerbare Energien sollen das Geschäft der Zukunft werden. Überdies schrieb das Werk auf der Isle of Wight keine roten Zahlen. Umso größer war deswegen die Überraschung der Beschäftigten, als sie erfuhren, ihr Werk solle geschlossen und die Produktion in die USA verlegt werden. Nach Angaben der Firma gibt es für die hergestellten Rotoren in den USA einen größeren Absatzmarkt, die meisten der in Newport produzierten Rotoren wurden bislang in die USA exportiert.
Ed Miliband, Minister für Energie und Klimawandel, will erneuerbare Energien fördern und hat angekündigt, dass im Jahr 2020 mehr als 1,2 Millionen Briten in green jobs arbeiten werden. Doch werden neue Kohle- und Atomkraftwerke gebaut, während es gegen die Errichtung von Windkraftanlagen regelmäßig Proteste von Anwohnern gibt. Deswegen wurden die Arbeiter, die etwas gegen die Schließung ihrer Fabrik unternehmen wollten, nicht nur von einigen Gewerkschaftsaktivisten und Linken unterstützt. Solidarität gab es auch von Umweltaktivisten.

Einige der nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeiter trafen sich mit den Aktivisten von Workers Climate Action, einer linken Gruppe, die mit »kollektiven Aktionen der organisierten Arbeiter« den Klimawandel stoppen will. Bei diesem Treffen kam die Idee einer Besetzung auf, am 20. Juli okkupierten 25 Arbeiter einen Teil der Fabrik. Sie konnten zunächst nicht geräumt werden, da hierzu eine Gerichtsverfügung nötig ist. Stattdessen verhinderte der Werkschutz, dass sie mit Nahrungsmitteln versorgt wurden. Erst nach einigen Tagen wurden Lebensmittel geliefert, es reichte jedoch nur für zwei spärliche Mahlzeiten am Tag, weswegen ein Arbeiter ins Krankenhaus musste.
Die Forderung, die Blockade aufzuheben, war zunächst eines der wichtigsten konkreten Anliegen der Arbeiter von Vestas. Sie forderten darüber hinaus eine Verstaatlichung des Betriebes, damit ihre Fabrik weiter produzieren kann. Der Appell an die Politiker, »echte Führung« zu zeigen, offenbart eine gewisse Staatshörigkeit. Andererseits thematisierten die Besetzer in ihren Texten auch die Umweltpolitik jenseits ihrer Probleme und die ökonomische Situation anderer Arbeiter in Großbritannien. Es ist ihnen gelungen, dem Konflikt um die Betriebsschließung eine weiter gehende Bedeutung zu geben. So kam auch eine breite Solidaritätsbewegung zustande.
Bemerkenswert ist auch, dass nicht geschulte Gewerkschaftsfunktionäre für die Besetzer sprachen. Die Arbeiter von Vestas waren nicht gewerkschaftlich organisiert, sie veröffentlichen ihre selbst verfassten Erklärungen auf ihrem eigenen Blog. Die Nutzung des Internet ermöglichte es den selbständig kämpfenden Arbeitern nicht nur, ihre Erklärungen zu verbreiten, sie sammelten auch Geld und konnten ihre Kampagne ökonomisch unabhängig führen.

Mittlerweile sind viele der Arbeiter in die kämpferische Gewerkschaft RMT, eine Transportarbeitergewerkschaft mit etwa 80 000 Mitgliedern, eingetreten, die ihnen Anwälte für die Auseinandersetzung mit Vestas vor Gericht stellt. Bob Crow, der Generalsekretär der RMT, kündigte sogar an, mit dem Hubschrauber Nahrungsmittel für die Arbeiter einzufliegen, selbst wenn sie der Gewerkschaft nicht beitreten wollen. Die Gewerkschaft übernahm auch weitgehend die Vertretung vor Gericht, nach dem zweiten Gerichtstermin wurde Bob Crow von den meisten Medien zitiert.
Im ersten Verfahren hatte das Gericht es aus formellen Gründen abgelehnt, eine Räumungsverfügung zu erlassen, doch nach dem zweiten Prozess wurde den Besetzern in der vergangenen Woche der Räumungsbescheid zugestellt. Die letzten Arbeiter verließen daraufhin die Fabrik. Die Besetzer hatten immer betont, es handele sich um eine friedliche Aktion. Mehrere hundert Menschen beobachteten den Einsatz der Gerichtsvollzieher in der nunmehr leeren Fabrik, wie bei den vorangegangenen Protesten waren die Demonstranten überwiegend Arbeiter und ihre Familienangehörigen sowie Sympathisan­ten von der Insel, unterstützt von angereisten Linken und Umweltaktivisten.

Der Arbeitskampf ist mit der Räumung nicht beendet. Das Dach eines Vesta-Werkes in Cowes, ebenfalls auf der Isle of Wight, wurde besetzt, und vor dem Anwesen des Wirtschaftsministers Peter Mandelson ketteten sich Umweltschützer an. Weitere Aktionen sollen folgen. Nach Angaben der RMT hat Vestas »Rettungsoptionen« der ­Regierung zurückgewiesen, die Gewerkschaft fordert eine staatliche Intervention zur Erhaltung der Fabrik. Obwohl die Besetzung in vielen Medien auf positive Resonanz stieß, wurde sie von der Regierung im Grunde ignoriert.
Der Kampf hat auf der Isle of Wight offenbar eine gewisse Politisierung angeregt, so haben sich Jugendliche zusammengefunden, die sich zum Thema Arbeitslosigkeit engagieren wollen. Aber auch landesweit kann die Besetzung Auswirkungen haben. Im Frühjahr wurden mit einem gewissen Erfolg die Vesteon-Werke besetzt, allerdings gelang es nur, bessere Abfindungen auszuhandeln, nicht aber, die Schließung zu verhindern. Die Firma gehörte zu den Zulieferern der Autoindustrie. Dass Vestas Windturbinen herstellt, gibt dem Arbeitskampf eine größere politische Bedeutung. Die Perspektive geht jedoch meist nicht über den kapitalistischen »Green New Deal« hinaus, den die Labour-Regierung angekündigt hat und der nun angemahnt wird.
Zumindest haben die Arbeiter von Vestas trotz der Blockade auch Spaß gehabt, berichtet der Besetzer Ian Terry. Sie erfanden das Spiel »hall ball« und studierten ein Musical ein. Nach der Räumung empfindet Terry »ein bisschen Heimweh« und sagt: »Ich würde es wieder tun.«