Die Debatte über die Piraten in Deutschland

Schüsse vor den Bug

Die »Hansa Stavanger« ist frei, aber die Debatte darüber, wer die Piraten vor dem Horn von Afrika jagen soll, geht weiter.

Der Hamburger Reeder Frank Leonhardt hat es zur­zeit wahrlich nicht leicht – von allen Seiten wird er heftig kritisiert. Den Anfang machten die Ehefrauen der deutschen Seeleute, die auf seinem Anfang April von somalischen Piraten entführten Containerschiff »Hansa Stavanger« angeheuert hatten. Leonhardt habe sich bei den Lö­se­geld­ver­handlungen mit den Geiselnehmern nicht nur »sehr hartleibig« gezeigt, sondern die Verhandlun­gen auch nach seinem Gutdünken mehrfach für längere Zeit unterbrochen, sagten sie. So seien die Gespräche mit den Seeräubern immer dann ausgesetzt worden, wenn Leonhardt sich außerhalb Deutschlands aufgehalten habe sowie an allen Wochenenden und Feiertagen. »Wir verstehen nicht, wie man sich erholen kann und was es zu feiern gibt, wenn Ihre Seeleute zur gleichen Zeit unmenschliche Qualen in der Gefangenschaft der Piraten erleiden«, schrieben die Frauen in einem Brief an die Reederei.

Auch Leonhardts Feilschen um die Lösegeldsumme enervierte die Angehörigen. Ende Juli erklärten sie, dass die Differenz zwischen dem, was die Freibeuter forderten, und dem, was der Reeder bereit sei zu zahlen, »nur noch einige hunderttau­send Euro« ausmache. »Für diese geringe Summe«, so die Frauen, »riskieren unsere Ehemänner jede Minute ihr Leben vor den Waffen der Piraten.« Es sei »schwer zu glauben, dass ein Mensch, der zu den reichsten Männern Deutschlands zählt, die­se Summe nicht auftreiben kann«.
Die Bundesregierung wiederum gab dem Eigner der »Hansa Stavanger« sogar eine gewisse Mitschuld an der Entführung. Thomas Kossendey, der Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, sagte dem Mitteldeutschen Rundfunk, dass vor Somalia ja immerhin die Kriegsmarine zur Verfügung stehe, um Handelsschiffe zu begleiten. Von diesem Angebot habe die Reederei jedoch »mehrmals keinen Gebrauch gemacht«; ihr Schiff sei daher ein »gefundenes Fressen« für die Piraten gewesen. Allerdings war auch Kossendey der Überzeugung, dass eine gewaltsame Befreiung des Frachters »in einem Blutvergießen« geendet hätte, weshalb weiter mit den Seeräubern hätte verhandelt werden müssen.
Anfang dieses Monats zahlte Leonhardt dann – die Angaben schwanken zwischen 2,1 und 2,75 Mil­lionen Euro – und wird jetzt dafür angegriffen. Im Gespräch mit der Neuen Osnabrücker Zeitung be­zeichnete der Sicherheitsexperte der CSU, Hans-Peter Uhl, die Lösegeldzahlung als »Aufforderung zu weiteren Überfällen« und wünschte sich eine »deutlich härtere Gangart« beim Kampf gegen die Piraten am Horn von Afrika. »Scheckbuch-Diplomatie« führe nicht weit, so Uhl; vielmehr sei es not­wendig, »gekaperte Schiffe noch auf hoher See notfalls mit Waffengewalt zurückzuerobern«. Diese Auffassung teilt er mit dem Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann. Mit Lösegeldzahlungen finanziere man eine »Entführungsindustrie in So­malia«, die von »hoch professionellen Banden« gemanagt werde, sagte der Politiker der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung.

Mehrere Kommentatoren deutscher Medien grif­fen Aussagen wie diese dankbar auf und ergingen sich in hysterischem Säbelrasseln. »Von mächtigen und finanzkräftigen Hintermännern gesteuerte somalische Piraten, man darf sie getrost Terroristen nennen, tanzen der Nato und der Europäischen Union ungehemmt auf der Nase herum. Mit erpressten Lösegeldern für entführte Frachtschiffe kaufen sie neue, schnellere Boote und Waffen. Damit breitet sich die Piratenpest vor der ostafrikanischen Küste rapide aus«, war beispielsweise in der Neuen Westfälischen zu lesen. Solange die Freibeuter sich sicher sein könnten, dass sie von den Kriegsschiffen der EU-Militär­ope­ration »Atalanta« nicht mehr zu befürchten hätten »als Schüsse vor den Bug«, würden sie »un­gehemmt weiter Jagd machen«, hieß es in dem Blatt.
Passend dazu forderte Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung in Bild am Sonntag eine Änderung des Grundgesetzes. »Wir sollten über eine Verfassungsänderung nachdenken, die der Bundeswehr den Zugriff dann ermöglicht, wenn die Polizei nicht handeln kann«, sagte Jung mit Blick auf eine Ende April vorzeitig abgebrochene Aktion der GSG 9 gegen die Entführer der »Hansa Stavanger«. Nach dem Scheitern der Sondereinheit der Bundespolizei soll künftig das Kommando Spezialkräfte (KSK) des deutschen Militärs tätig werden, das in der Vorstellung des Ministers von einem deutschen Hubschrauberträger aus starten müsste, um bei Angriffen auf von Piraten gekaperte Schiffe nicht mehr von der logistischen Unterstützung der US-Marine abhängig zu sein. Ob dafür allerdings wirklich eine Grundgesetzänderung notwendig ist, wird zurzeit in Berlin dis­kutiert – vielleicht reicht ja auch ein erweiterter Schießbefehl à la Afghanistan.
Schon heute allerdings möchte man nicht in der Haut derjenigen stecken, die die Bundesmarine vor Somalia unter dem Verdacht der Seeräuberei festnimmt und bis zu ihrer Überstellung an die kenianische Justiz den Feldjägern der Bundeswehr überantwortet. Wie die Zeit berichtete, werden die Gefangenen in blaue Overalls gesteckt, mit Handschellen gefesselt und an Deck entlang eines dicken Taus »aufgefädelt«. An Bord eines deutschen Kriegsschiffs sei eben »Schluss mit deutscher Strafprozessrechtsordnung«, lässt die Zeitung wissen.