Rezepte für Vollbeschäftigung

Am besten still dahocken

Vollbeschäftigung ist schrecklich, aber wie soll man sie erreichen? Ein paar Vorschläge aus der Vergangenheit und der vielleicht nicht allzu fernen Zukunft.

Schwamm drüber, dass ich Vollbeschäftigung hasse. Mit Entsetzen denke ich an die Zeit zurück, als ich mich, anpassungsbereit, denn ich war eben mal 14 bis 21 Jahre alt, dazu breitschlagen ließ, mich an meiner eigenen Verhausschweinung auf diversen Baustellen zu beteiligen. Wie glücklich war ich in jenen Jahren (1948 bis 1955) über die grassierende Massenarbeitslosigkeit, die dem Bauproletariat leider nur im Winter vergönnt war.
Das Thema Vollbeschäftigung ist so ausgelutscht, dass es einen verwundert, wie es auch im Jahr 2009 wieder zum Wahlkampfschlager werden konnte. Dem Kapital geht die Frage am Arsch vorbei. Es fließt dorthin, wo es den größten Gewinn abwirft. Außerdem haben wir schon alles, und für das, was trotzdem noch produziert werden muss, weil es sich rentiert, sind Arbeitsmaschinen praktischer: streiken nicht, brauchen keine Umkleidekabinen, keine Sozialabgaben, keine Schulen, sind nicht in der Linkspartei.
Kurz: Für Schlafwandler wie mich, die das Weltall der Systemimmanenz verlassen haben und geduldig der kommenden Ära zwangsläufiger Bedürfnislosigkeit harren (ich bin 75 und habe seit einem Jahr Lymphdrüsenkrebs), ist kein Beitrag zu diesem lächerlichen Thema zu erwarten. Ich kann es zwar nicht begründen, weiß aber mit hundertprozentiger Sicherheit, dass es auch nach der Wahl keine Vollbeschäftigung geben wird. Da kann Herr Westerwelle den Unternehmern den Gefallen tun und die Steuern für sie auf Null absenken. Sie werden keinen Arbeitslosen einstellen, den sie bezahlen müssen.
Damit nicht der Eindruck entsteht, ich verließe mich nur auf die Zukunft, hier in Kürze ein paar nächtliche Einfälle, wie Vollbeschäftigung systemimmanent doch noch zu erreichen wäre – wenigstens ein bisschen:
Methode Adolf: Eroberungskrieg planen. Heizt vor allem die Rüstungsindustrie an. Wenn der Krieg vorbei ist, sind auch die Arbeitslosen weg. Tot oder im Wiederaufbau tätig.
Methode Stalin: Alle Arbeitslosen ins Arbeitslager.
Alternativ dazu Methode Mao: Alle Arbeitslosen kriegen eine Schaufel und einen Schubkarren und dürfen einen Staudamm bauen. Da, wo kein Staudamm gebraucht wird, regionalisieren wir die Stahlindustrie. Jeder Haushalt kriegt ein Hochöfchen und verhüttet monatlich fünf Kilo Eisen oder ein Webstühlchen, das billiger ist als die in Shanghai.
Modell Kalkutta, wird in Indien seit Ewigkeiten praktiziert: Scheiße einsammeln. Das WC wird stillgelegt. Die Sammler klingeln morgens an der Wohnungstür und leeren den Eimer. Die Hausscheiße wird zu Biogas verarbeitet.
Modell Winterhilfswerk: Einmal die Woche ist Kannibalentag. Das Fleisch von Hartz-IV-Empfängern gilt als Delikatesse.
Meine Lieblingsidee: Lesen und Museumsbesuche werden zu Produkten erklärt. Der Wert eines Opernbesuches entspricht dem Wert einer Opernkarte. Der Wert einer Bildbetrachtung dem Wert des Bildes geteilt durch die Dauer der Betrachtung. So erklärt sich dann auch, warum ein Leonardo teurer ist als ein Güdemann.
Natürlich müsste jemand kontrollieren, ob die so in Vollbeschäftigung verschubten Arbeitslosen wirklich arbeiten, das heißt lesen, zuhören, hingucken. Das könnte durch wöchentliche Prüfung der Stundenzettel und Befragung erfolgen (Effekt: weitere Arbeitsplätze).
Das heißt nicht, dass nicht auch das Nichtstun endlich zur volkswirtschaftlich nützlichen Tätigkeit erklärt werden sollte. Ich zum Beispiel habe einen großen Teil meines Lebens damit verbracht, still dazuhocken, Musik zu hören oder den Himmel zu betrachten. Man braucht dazu keine Ausbildung (Lösung des Lehrstellenproblems, die Kosten für das Schulwesen werden drastisch gesenkt). Auch Gebirge, Wüsten und das Meer habe ich immer gerne beglotzt. Tagelang. Es ist gesund für die Augen und mindert das Infarktrisiko (Gesundheitssystem). Soll das alles sinnlos gewesen sein?