Berlusconis Offensive gegen die Presse und die Kirche

Berlusconi gegen alle

Der italienische Ministerpräsident verklagt Tageszeitungen im In- und Ausland, weil sie unbequeme Fragen stellen oder weil ihm manche Behauptungen über seine Person nicht passen. Auf Kritik seitens der EU wegen der Flüchtlingspolitik seiner Regierung antwortet er mit der Drohung einer Blockade. Nicht einmal die Katholiken sind mehr sicher vor Berlusconis Offensive.

Jenseits der Alpen herrscht Einstimmigkeit: Was in Italien passiert, kann man nicht mehr ernst nehmen: »Die spinnen, die Römer!« Dass gegen den Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi nicht längst ein Volksaufstand ausbrach, stößt im Ausland auf Unverständnis. Andererseits erfreuen sich Berichte aus der römischen Provinz, in denen der »Rosenkrieg« der Noch-Ehefrau kommentiert und über die »Sexsucht« des Noch-Ehemanns spekuliert wird, großer Beliebtheit. Die Eskapaden Berlusconis werden als unterhalt­same Skandalgeschichten eines italienischen Machos erzählt, wobei ein lüsterner Unterton Bewunderung für das Gebaren des Protagonisten verrät. Die politische Bedeutung der Machenschaften von Berlusconi wird dabei unterschätzt. Die Auftritte des italienischen Zampanos vergangene Woche zeigen deutlich, dass es in Italien längst nicht mehr um die Wollust des Präsidenten, sondern um Grundprinzipien der demokratischen Ordnung geht.
Zum Ende der Sommerpause ließ Berlusconi seine Anwälte mitteilen, dass er die linksliberale Tageszeitung Repubblica auf Schadensersatz in Millionenhöhe verklagen werde, da sie ihn seit Monaten mit zehn Fragen belästigen würde, die er als »beleidigend« und »verleumderisch« zurückweisen müsse. Berlusconi weigert sich, die Fragen von Repubblica zu beantworten, in denen er dazu aufgefordert wird, zu erklären, wie sich die Rolle des Ministerpräsidenten mit seinem Verhältnis zu einer 18jährigen Schülerin und seinem regelmäßigen Umgang mit Prostituierten vereinbaren lasse und ob die Zweifel an seinem Gesundheitszustand – gemeint ist hier seine psychische Gesundheit – gerechtfertigt seien (Jungle World 24/09). Auch L’Unità, das Parteiorgan der Demokratischen Partei muss mit einer Klage rechnen, weil es Mutmaßungen einer Komikerin bezüglich der Erektionsprobleme des Präsidenten zitiert hat.

Berlusconis Klage über eine feindliche Presse erscheint absurd, schließlich besitzt der Medienunternehmer nicht nur die Mehrheit des italienischen Print- und Verlagswesens und drei private Fernsehkanäle, sondern in der Rolle des Ministerpräsidenten kontrolliert er zudem die Programme der staatlichen Sendeanstalt Rai. Seine Einschüchterungsversuche sind jedoch ernst zu nehmen. Welche Mittel ihm gegebenenfalls zur Verfügung stehen, wurde deutlich, als eine parallel zur Medienschelte eingeleitete Hetzkampagne des zum Familienkonzern gehörenden Propagandablatts Il Giornale den Direktor der katholischen Tageszeitung Avvenire zum Rücktritt zwang. Das Hausorgan der katholischen Bischofskonferenz hatte sich über Berlusconis Lebensstil kritisch geäußert, vor allem aber nach dem tödlichen Schiffbruch von 73 Bootsflüchtlingen aus Eritrea vor der italienischen Insel Lampedusa die Immigrationspolitik der Regierung scharf kritisiert.
Der Rundumschlag gegen die letzten Bastionen kritischer Meinungsäußerung und den Versuch, die Information endgültig auf Regierungspropaganda zu reduzieren, mobilisiert nun doch endlich Widerstand. Ein Appell, der von drei Verfassungsrechtlern zur Verteidigung des Grundrechts auf Meinungs- und Pressefreiheit verfasst wurde, hat inzwischen über die Internetseite der Repubblica mehr als 260 000 Unterschriften gesammelt. Die Journalistenverbände haben für den 19. September zu einer Demonstration aufgerufen, an der sich die Parteien der Opposition sowie die außerparlamentarische Linke beteiligen möchten. Die Empörung der Opposition ist jedoch unglaubwürdig, schließlich hat sie es in ihren verschiedenen Regierungsperioden während der vergangenen zwanzig Jahre immer wieder versäumt, dem aufhaltsamen Aufstieg des Medienmoguls wirksam entgegenzutreten.

Der angekündigte Protest lässt Berlusconi unbeeindruckt. Er will nun sogar über die nationalen Grenzen hinweg gegen jede unliebsame Berichterstattung vorgehen. Demnach wurde der französische Nouvel Observateur aufgrund eines kritischen Artikels zu Berlusconis Umgang mit Prostituierten ebenso verklagt wie die spanische Tageszeitung El Pais, die Fotos von Poolpartys in der Präsidentenvilla auf Sardinien abdruckte, deren Veröffentlichung in Italien durch eine Verfügung des Datenschutzbeauftragten verboten worden war. Immerhin erfuhr die Kampagne gegen die Presse dank der grenzüberschreitenden Anschuldigungen große internationale Aufmerksamkeit.
Im Furor gegen seine Kritiker konnte Berlusconi zuletzt selbst nicht mehr zwischen seinen privaten und öffentlichen Angelegenheiten unterscheiden. In einer größenwahnsinnigen Kampf­ansage an die Europäische Union drohte er damit, künftig nicht nur gegen die Kritik an seinem Privatleben, sondern auch gegen die Kritik an seiner Regierungspolitik vorzugehen. So kündigte er an, gegebenenfalls die Macht seines Amtes einzusetzen, um europäische Entscheidungsprozesse zu blockieren, sollten sich Kommissionsmitglieder und ihre Pressesprecher weiterhin erdreisten, die italienische Regierungspolitik im Mittelmeer, das heißt die systematische Zurückdrängung von Flüchtlingsbooten, zu kritisieren. Kommissionspräsident José Manuel Barroso wies die Androhung mit einer ironischen Bemerkung zurück.
Allerdings wäre es an der Zeit, sich nicht länger über die Anmaßungen des selbsternannten »Superman« lustig zu machen, sondern auf eine Lösung des italienischen Interessenkonflikts zu drängen.
Die Medienmacht des Ministerpräsidenten wird häufig als eine Gefahr für die demokratischen Institutionen Italiens bezeichnet, gleichzeitig gilt Italien international als Sonderfall, die spinnen halt, die Römer. Doch die populistische Tendenz, die politische Diskussion auf ein Medienspektakel zu reduzieren, das sich auf die charismatische Figur des Regierungschefs und sein veröffentlichtes Privatleben konzentriert, ist kein spezifisches Problem der italienischen Republik. Der Degenerationsprozess der demokratischen Verfassung tritt hier nur extremer in Erscheinung. Berlusconis Affären offenbaren ein korruptes System aus Politik, Sex und Medien. Die Frauen, die Berlusconi von anderen Männern aus seinem Machtbereich vermittelt werden, sind keine gewöhnlichen Sexarbeiterinnen. Sie bieten ihre Liebesdienste für einen öffentlichen Bauauftrag, eine Anstellung in der kommunalen Verwaltung, einen Auftritt im Fernsehen oder einen aussichtsreichen Listenplatz bei den nächsten Wahlen.

Die moralische Entrüstung der linksliberalen Opposition über dieses System ist scheinheilig. Untersuchungen der Staatsanwaltschaft in Bari, infolge derer Berlusconi als »Endabnehmer« (O-Ton seines Anwalts, Nicolò Ghedini) der Prostituierten bekannt wurde, belegen, dass auf regionaler Ebene auch Männer der Opposition in ähn­liche Sexgeschäfte verwickelt sind. Wie die katholische Empörung gegenüber Berlusconis Umgang mit mehr oder wenigen jungen Frauen zum Bumerang werden konnte, zeigte vergangenen Woche Vittorio Feltri, der als Direktor des Giornale die Drecksarbeit für seinen Chef übernahm. Er griff die katholische Tageszeitung nicht direkt wegen ihrer politischen Stellungnahmen an, sondern verleumdete seinen Amtskollegen durch die Veröffentlichung einer fünf Jahre zurückliegenden Verurteilung. Der Direktor des Avvenire, Dino Boffo, war damals zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil er angeblich eine junge Frau durch wiederholte Anrufe »mit sexuellen Anspielungen« belästigt haben soll. Dazu zitierte Feltri aus einer »inoffiziellen Aktennotiz«, wonach Boffo die Frau aus Eifersucht belästigt haben soll, da er mit ihrem damaligen Verlobten ein homosexuelles Verhältnis gehabt habe. Die »Notiz« entpuppte sich mittlerweile als Fälschung, zu ihrer Herkunft gibt es wilde, verschwörungstheoretische Spekulationen. Offensichtlich ist dagegen die Absicht, durch das Gerücht über Boffos Homosexu­alität, dem katholischen Kommentator das Recht auf Kritik gegenüber Berlusconi abzusprechen – denn was ist schon die Galanterie eines Ministerpräsidenten gegen die Unzucht eines schwulen Pfaffen. Allerdings scheint Feltri bei seinem Versuch, Berlusconis Gegner mittels vermeintlich größerer moralischer Verfehlungen zu diskreditieren, die katholische Doppelmoral unterschätzt zu haben. Die Aggression gegen Boffo hat die katholische Partei- und Wählerbasis verärgert. Zu einem Bruch des engen Verhältnisses zwischen italienischer Rechten und der katholischen Kirche wird es jedoch deshalb nicht kommen, allenfalls zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse innerhalb des Mitte-Rechts-Spektrums.
Die Gegner Berlusconis haben also keinen Grund zu Frohlocken. Zwar geht der Ministerpräsident aus den Manövern der vergangenen Woche geschwächt hervor, er scheint seinen politischen Zenit tatsächlich überschritten zu haben, doch das System Berlusconi wird weiter funktionieren. Um dessen Strukturen aufzubrechen bedarf es nicht so sehr einer neuen Partei als vielmehr einer anderen Geschlechterpolitik. Einige Feministinnen drängen seit Beginn der Aufdeckung des Systems auf die Notwendigkeit, sich mit dem in den Sexgeschäften zutage tretenden »Elend der Männlichkeit« auseinanderzusetzen, vor allem aber mit der befremdlichen Tatsache, dass die jungen Frauen, ihre Entscheidung, sich an den jeweils Mächtigeren zu verkaufen, als Ausdruck ihrer weiblichen Freiheit verstanden wissen wollen.