Die Beliebtheit von Karl-Theodor zu Guttenberg

Der umgedrehte Obama

Karl-Theodor zu Guttenbergs Beliebtheit lässt den Schluss zu: Die Bevölkerung sehnt sich in der Krise nach einem, der modern wirkt, aber reaktionär handelt.

Diesem Politiker gelingt einfach alles. In wenigen Monaten gewinnt er die Gunst der Wähler und ist sogar beliebter als die Bundeskanzlerin. Ob im Bierzelt in Passau oder in der Fußgängerzone von Krefeld – überall drängelt sich das Publikum. Er kommt gut an, und das gilt nicht nur für seine Reden. Wenn man einer Umfrage des Gewis-Instituts in Hamburg glauben will, dann ist Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) derzeit der »Sexiest Man in Politics«. Dass er nach dem Urteil der Jury der Zeitschrift Best Fashion gerade auch noch zum bestangezogenen deutschen Politiker gewählt wurde, kommt einem schon fast selbstverständlich vor. Der Look des CSU-Politikers »strahlt Kompetenz aus und kann international bestehen«, heißt es in der Begründung.

Jung, kompetent und aufrichtig – so sieht sich Guttenberg vor allem selbst. »Mit Optimismus aus der Krise«, lautet das Motto seiner zahlreichen Wahlkampfreden. Dort spricht er gerne vom Mittelstand als der »Herzkammer der Wirtschaft« und darüber, dass sich Leistung wieder lohnen müsse. Er sagt Sätze wie: »Mir gefällt der Gedanke, diesem Land zu dienen«, und wirkt dabei so überzeugend, als ob er tatsächlich seinen eigenen Phrasen glauben würde.
Vermutlich liegt darin auch einer der Gründe für seinen Erfolg. Als er im März quasi über Nacht zum Nachfolger von Michael Glos bestimmt wurde, bemängelten viele seine Unerfahrenheit. Nun gilt er als unverbrauchtes Gesicht, das neuen Schwung und »Visionen« vermittelt. Sein Auftreten erinnert manche sogar ein wenig an den charismatischen US-Präsidenten Barack Obama – ein Vergleich, den Guttenberg natürlich bescheiden zurückweist.
Gleichzeitig repräsentiert Guttenberg eine Welt, die keineswegs modern ist, sondern aus dem vorvergangenen Jahrhundert zu stammen scheint. Er komme aus einer Welt, »in der der Adel noch unter sich heiratet und die Männer etwas beweisen müssen. Zumindest ein Teil von ihm ist wie aus der Zeit gefallen«, weiß die Bild-Zeitung zu berichten. In dieser Welt gilt auch noch das Wort des Vaters. »Dass er nur wegen der Macht etwas täte, da bin ich mir ganz sicher: Nein. Der hat als Kind schon ein wahnsinniges Pflichtbewusstsein gehabt. Wenn ich gesagt habe, ihr seid um neun im Bett, dann war das so«, plaudert Vater Enoch zu Guttenberg in Deutschlands auflagenstärkster Zeitung.
Mittlerweile findet Theodor zu Guttenberg sicher ganz alleine in sein Schlafzimmer, andere Erziehungsmaximen hat er hingegen vermutlich nicht vergessen. »Wir sind so erzogen worden, dass man für das, was man für richtig hält, zur Not auch sterben können muss«, sagt sein Vater mit Verweis auf einen Urgroßonkel, der als Widerstandskämpfer unter den Nazis hingerichtet worden ist.

Aber sterben für Opel? So weit würde selbst ein Guttenberg nicht gehen, auch wenn sich mit der Automarke seine bislang größte Niederlage verbindet. Als Ende Mai der Mutterkonzern GM einer Trennung von Opel zustimmte, signalisierte die Bundesregierung finanzielle Unterstützung für das marode Unternehmen. Damals sei ein günstiger Zeitpunkt für einen raschen Einstieg des Magna-Konsortiums gewesen, den aber vor allem Bundeswirtschaftsminister Guttenberg vermasselt habe, kritisierte kürzlich der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer. Guttenberg habe damals nichts Besseres zu tun gehabt, als eine Entscheidung hinauszuzögern und immer wieder von geordneter Insolvenz zu reden, die es juristisch gar nicht gebe. Schließlich wurde er von der Bundeskanzlerin zurückgepfiffen – seine bis dahin größte Pleite.
Geschadet hat sie ihm nicht. Im Gegenteil. Guttenberg präsentiert sich seitdem als einsamer Mahner, der seine Prinzipien nicht verraten und »sich das Maul nicht verbieten lassen« will: »Der Staat rettet kein Unternehmen. Retten muss es sich selbst«, betont er immer wieder bei seinen Wahlkampfauftritten. Das kommt gut an, obwohl es nicht der Realität entspricht. Denn warum die Bundesregierung Banken rettet und mit der Abwrackprämie die Auto­branche subventioniert, während eine Unterstützung für Opel wiederum marktwirtschaftlichen Prinzipien widerspricht, weiß auch Guttenberg nicht recht zu erklären. Die Planlosigkeit ersetzt er durch symbolische Politik – er krempelt die Ärmel hoch und spricht davon, dass er »vom Aufschwung nicht träumen, sondern den Aufbruch leben« will.

Wie dieser Aufbruch aussehen könnte, ist einem Dokument aus dem Wirtschaftsministerium zu entnehmen, aus dem kürzlich mehrere Zeitungen zitierten. Darin ist unter anderem von einer größeren Entlastung der Unternehmen die Rede und von »weiteren strukturellen Reformen im Gesundheitswesen«. Deutlich befürworten die Verfasser des Konzepts Zeitarbeit und eine »Flexibilisierung« des Arbeitsmarktes. Mindestlöhne lehnen sie dagegen ab: »Mindestlöhne verteuern die Arbeit und gefährden so Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung in den betroffenen Unternehmen«, zitierte die Süddeutsche Zeitung. Um Steuersenkungen zu finanzieren, solle unter anderem der ermäßigte Satz für Lebensmittel, Zeitungen und Kulturgüter erhöht werden. Ein Sprecher des Ministers erklärte schnell, das Dokument sei längst »obsolet«, und auch Guttenberg selbst distanzierte sich vehement: »So geht das nicht.«
Doch das Dokument, das sich wie eine Wunschliste der Unternehmerverbände liest, datiert erst von Anfang Juli. Und es klingt nicht plausibel, dass die Referenten im Wirtschaftsministerium ein »industriepolitisches Gesamtkonzept« formulieren, ohne sich zuvor mit ihrem obersten Dienstherrn abzusprechen. Fehlerhaft war allenfalls der Zeitpunkt der Veröffentlichung – der war wohl erst für die Zeit nach der Wahl vorgesehen.
Mit seinen wirtschaftsliberalen Ansichten passt Guttenberg ausgezeichnet in die Koalitionspläne von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Unabhängig davon verbessert sein jugendliches Auftreten das mittlerweile reichlich angestaubte Image der CSU. Spätestens seit dem katastrophalen Ergebnis bei den Landtagswahlen im September vergangenen Jahres ist klar, dass das CSU-Modell aus konservativem Gesellschaftsbild und hochmoderner Industriepolitik nicht mehr so einfach funktioniert.
Denn auch in Oberfranken und in Niederbayern hat sich die Gesellschaft verändert. Bodenständige Bauern finden heutzutage nicht nur Trachten, sondern auch Öko prima. Und junge Angestellte in Nürnberg oder München orientieren sich in ihrer Lebensführung nicht mehr unbedingt am Papst. Laptop und Lederhosen reichen nicht mehr, um Mehrheiten zu gewinnen. »Ganze Milieus haben sich aufgelöst«, beschreibt der ehemalige Parteivorsitzende Ernst Huber das Problem seiner Partei. Die CSU müsse endlich die Menschen in der Stadt und die mittleren Alters besser erreichen.
Der eloquente Wirtschaftsminister ist bestens dafür geeignet – sogar über das eigene Milieu hinaus. Einer im Auftrag der Bild am Sonntag erstellten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid zufolge haben selbst 71 Prozent der Grünen-Anhänger eine »sehr positive Meinung« von Guttenberg, bei der SPD sind es immerhin noch 63 Prozent. »Solche Beliebtheitswerte durch die politischen Lager hinweg hat es für einen deutschen Politiker seit Jahrzehnten nicht gegeben«, sagte der Geschäftsführer von Emnid, Klaus-Peter Schöppner, der Zeitung. Das Ergebnis zeige, dass »Auftreten und Charisma in der Politik immer wichtiger werden«. Scheinbar sehnen sich die Deutschen in der Krise nach einer Art umgedrehtem Obama – modernes Auftreten, kombiniert mit reaktionären Ansichten. Und was würde dazu Guttenberg sagen? »Mir kommt’s darauf an, mein Herz sprechen zu lassen.«