Der Prozess wegen des Brands im niederländischen Abschiebegefängnis Schiphol

Ein paar Stunden Freiheit für den Sündenbock

Im Prozess um den Brand im niederländischen Abschiebegefängnis Schiphol wurde der einzige Angeklagte, ein ehemaliger Insasse aus Libyen, nach vier Jahren nur bedingt frei gesprochen. Am Abend des Urteils saß er erneut hinter Gittern.

Das Bild geht wieder durch die niederländische Presse. Silhouetten, in Decken gehüllt, dicht gedrängt vor einem hohen Zaun. Am oberen Rand rollt sich Nato-Draht entlang, im Hintergrund wirft der Widerschein der Flammen ein flackerndes Orange in die Nacht. Die Brandkatastrophe im Abschiebegefängnis auf dem Flughafen Schiphol 2005 ist eine Wunde, die nicht heilt. Nicht bei den Angehörigen der elf Toten, nicht bei den Überlebenden, die noch vier Jahre danach unter den Folgen leiden. Für die niederländische Regierung ist das gespenstische Pressefoto, das jedes Mal auftaucht, wenn der »Schipholbrand« wieder in den Schlagzeilen landet, eine unbequeme ­Erinnerung an die zahlreichen Versäumnisse, die ihr bei den Sicherheitsstandards angelastet werden.
So war es auch vergangene Woche, als in Amsterdam das Urteil im Berufungsprozess gegen Ahmed Isa al- Jabali verkündet wurde. In seiner Zelle im Flügel K soll das Feuer seinen Ausgang genommen haben, verursacht durch eine Kippe, die der damals 25jährige Libyer achtlos weggeworfen habe. Als er nach neun Tagen aus dem Koma erwachte, gab er die Zigarette zu Protokoll. 2007 wurde er wegen vorsätzlicher Brandstiftung zu drei Jahren Haft verurteilt. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung gingen in Berufung. Angesichts eklatanter Sicherheitsmängel, der zu spät eingetroffenen Feuerwehr und der schlechten Abstimmung der Rettungsaktion forderte die Verteidigung einen Freispruch. Die Staatsanwaltschaft plädierte dagegen für eine noch höhere Strafe. Das Urteil fiel schließlich geteilt aus – diesmal wurde al- Jabali zu rund zwei Jahren Haft verurteilt.Trotz Gutachten von Brandexperten, die al- Jabalis Zigarette nicht als ein­zige Brandursache sehen, wurde er erneut der Brandstiftung schuldig befunden. Für den Tod seiner Mithäftlinge sah ihn die Jury aber nicht verantwortlich. Zurück ins Gefängnis muss er nach ihrer Ansicht nicht, denn die eineinhalbjährige Haftstrafe hat al- Jabali längst abgesessen.

Flüchtlingsaktivisten weisen darauf hin, dass der libysche Asylbewerber der Einzige ist, der jemals wegen des Brandes vor Gericht stand. Als ein Jahr nach dem Brand der Report einer Untersuchungskommission die für das Gefängnis verantwortlichen Behörden schwer belastete, entzogen sich diese durch Rücktritte weiterer Kritik. Der Justizminister Piet Hein Donner sowie die ebenfalls für das Gefängnis verantwortliche Wohnungsbauministein Sybilla Dekker traten ebenso zurück wie Verantwortliche seitens der Kommune, die trotz mangelhafter Pläne die Baugenehmigung für den provisorischen Zellenkomplex erteilt hatte. Noch im selben Jahr beschloss die Staatsanwaltschaft, keine weiteren Personen oder Instanzen mehr wegen des Brands strafrechtlich zu verfolgen.

Die Kampagne Free Ahmed Isa, die Überlebende des Brands während des Prozesses lancierten, nutzte daher als Logo einen gehörnten Sündenbock. »Dieser Mann«, sagt Edries Ahmed, ein Sudanese aus dem benachbarten Zellentrakt, »hat nichts getan. Was mit ihm passiert ist, hätte mit jedem von uns passieren können.«
Während das Gericht die Verbindung zwischen Kippe und Brand als erwiesen ansieht, liegt die Ursache der Katastrophe für die Aktivisten in der »Kriminalisierung von Migranten«. Zwei Sichtweisen, die sich nicht per se ausschließen müssen. In der gegenwärtigen Debatte tun sie dies jedoch, zumal nicht erst in diesem Verfahren der Eindruck entstand, eine genauere Analyse der technischen Fragen könne den Brand in Schiphol hinreichend erklären. Drei verschiedene Experten duellierten sich vor der Richterin mit ihren gegensätzlichen Theorien zu Ursache und Verlauf des Feuers. Am Ende erklärte die Jury alle Alternativszenarien für wissenschaftlich unbrauchbar. Nicht nur deshalb nannte Jo van der Spek, der Sprecher des Angeklagten, das Verfahren eine »Scheinaufführung« und forderte, die politische Dimension der Analyse nicht länger auszuklammern. »Und die beginnt damit, dass Migranten ihre Rechte aberkannt werden.« Die Regierung weist hingegen darauf hin, dass seit dem Brand die Sicherheitsvorkehrungen in Abschiebegefängnissen flächendeckend stark verbessert wurden. Gleichzeitig stockte sie jedoch die Kapazitäten der Abschiebehaft weiter auf. Damit einher geht der Ausbau eines parallelen Vollzugssystems außerhalb regulärer Haftanstalten, bei dem Standards wie Besuchsregelungen außer Kraft gesetzt sind. »Schiphol brennt weiter«, war daher einer der Slogans der Kampagne Free Ahmed Isa.
Seine Aktualität zeigte sich bereits am Abend des Urteils, denn länger als ein paar Stunden konnte der Angeklagte seine vermeintliche Freiheit nicht genießen. Weil die Asylbehörde seinen Bleiberechtsantrag aus humanitären Gründen ablehnte, wurde er von der Ausländerpolizei in Gewahrsam genommen. In einem Spezialgefängnis in Den Bosch harrt er nun seiner Abschiebung nach Libyen.