Die Koalitionsverhandlungen nach den Wahlen

Parlamentarisches Paralleluniversum

Nach den Landtagswahlen freute sich die SPD, in Thüringen und dem Saarland könne nicht mehr an ihr vorbei regiert werden. Das stimmt nicht, denn es werden die unmöglichsten Koalitionen durchgesprochen. Unmöglicher wäre eine Koalition zwischen der CDU und der »Linken« auch nicht.
Von

Nur mal angenommen, aus der großen Masse der Nichtwähler würden nur fünf Prozent bei der Bundestagswahl die DKP wählen, dann könnte es vielleicht für eine rot-rot-rote Koalition reichen. Nein, das wohl doch nicht. Aber angesichts des Abwärtstrends von CDU und SPD rückt die Kongo-Koalition in den Bereich der Möglichkeiten: FDP, Grüne und »Linke« – auch »Kleine Ampel« genannt (Jungle World 10/08). In Berlin wäre diese Konstellation, aktuellen Umfragen zufolge, schon jetzt fast möglich. Aber Spaß beiseite. Dazu wird es nicht kommen. Realistischer ist eine Große Koalition. Darunter versteht man für gewöhnlich »eine Regierungskoalition derjenigen (beiden) Parteien, die im Parlament am stärksten vertreten sind« (Wikipedia).
Auch in Thüringen läge das auf das Hand. Bodo Ramelow von der Linkspartei hat es allerdings ausgeschlossen. Dem Reporter der Welt antwortete er auf die Frage: »Nach Althaus’ Rücktritt ist jetzt eigentlich der Weg für eine große Koalition frei, oder?« nämlich mit dem Satz: »Nein. Große Koalitionen können nur Große machen, und wir werden mit der CDU nicht koalieren.« Mit dieser Aussage hatte Ramelow, der die zweitstärkste Partei im Landtag anführt, Recht und Unrecht zugleich. Recht hat er insofern, als dass es Unsinn ist, in Thüringen oder Sachsen von einer Großen Koalition zu sprechen, wenn daran die SPD beteiligt ist. Unrecht hat er damit, dass ein Bündnis zwischen der Union und der »Linken« völlig abwegig wäre.

Wenden wir unseren Blick kurz ab von Ramelow und dem »schwierigen Bundesland« (Rainald Grebe) Thüringen und richten ihn auf das Saarland und auf Oskar Lafontaine, der dort selbstverständlich die Hauptrolle spielt. Auch nach Bayern müssen wir kurz blicken. Lafontaines Partei, die »Linke«, steht im Saarland nach ihrem Wahlerfolg vor der ersten rot-rot-grünen Regierungskoalition. Zwar soll die Entscheidung darüber – vor allem nach dem Willen der Grünen – auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschoben werden, dennoch sind nach Einschätzung fast aller Beobachter die Chancen groß, dass es zu dieser ersten echten Koalition des gesamten parlamentarischen »linken Lager« kommen wird. Mit dem »Magdeburger Modell«, der Tolerierung einer rot-grünen Minderheitsregierung durch die PDS, hatte man im Osten, in Sachsen-Anhalt, von 1994 bis 2002 diese Konstellation bereits geübt.
Doch so naturgegeben, wie zuweilen dargestellt, ist diese Zusammenarbeit nicht. Im diesjährigen Wahlkampf jedenfalls existierte bereits ein anderes Bündnis, nämlich in Person von Lafontaine und dem vom rechtesten Flügel der CSU stammenden Peter Gauweiler. Eben jenem Gauweiler, der einst alle Ausländer zwangsweise einem HIV-Test unterziehen wollte, und der die Wehrmachtsausstellung als »moralischen Vernichtungsfeldzug gegen das deutsche Volk« bezeichnete. Gemeinsam traten die beiden seit langem befreundeten Politiker Mitte August in München auf und machten in ein und derselben Veranstaltung Wahlkampf für die »Linke« und für die CSU. Zu Marschmusik waren sie zwischen ihren an Biertischen sitzenden Anhängern in den Paulanerkeller am Nockherberg einmarschiert. Bei der folgenden Diskussion schmierten sie sich eimerweise Honig ums Maul, wenn sie sich stritten, dann stets mit einem Augenzwinkern. In der ersten Reihe dieses pittoresken rot-schwarzen Querfrontspektakels saß auch noch, wie zur Absegnung durch die »bürgerlich-demokratische Mitte«, die 88jährige FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher, was den merklich fassungslosen Berichterstatter des Spiegel zu folgender Notiz bewog: »Welch’ Mischung: Linke CSU, soziale FDP, rechte Linke. Großes Kino auf dem Nockherberg.«
Dabei läuft der Film schon länger. Denn CSU und »Linke« liegen nicht nur mit ihrer skeptischen bis ablehnenden Haltung gegenüber der Europäischen Union und dem Lissabon-Vertrag dicht beieinander. Im Münchner Biergarten sprach man nun auch über die Wirtschaftskrise, und selbst wenn Lafontaine und Gauweiler unterschiedliche Positionen zur Steuerpolitik haben: Sobald es gegen Manager und deren »angelsächsisches Denken« (Gauweiler) in Abgrenzung zum guten, regional verwurzelten Kleinunternehmer geht, sind sie sich einig.
Gauweiler ist indes nicht der einzige, mit dem Lafontaine Anknüpfungspunkte finden könnte. Der CDU-Politiker Heiner Geißler lebt als Mitglied von Attac quasi schon in seiner eigenen Person die ganz große Koalition. Mit Roland Koch könnte sich Lafontaine zu einem Bündnis gegen »Fremdarbeiter« zusammenfinden. Lafontaine war immerhin einer der Wegbereiter jener Grundgesetzänderung 1993, die die fast vollständige Abschaffung des Asylrechts bedeutete. Das dürfte dem Koch gefallen. Und Angela Merkel wiederum wäre als ehemalige Hausbesetzerin aus dem Osten gewiss mit der Linkspartei kompatibel.

Was das Verhältnis zu Autorität und Obrigkeit angeht, sind sich CDU/CSU und »Linke« näher als jeweils der FDP und den Grünen. Dies stimmt natürlich nur für Teile dieser Parteien, und für den vielleicht größeren Teil der »Linken« mag es auch gar nicht stimmen. Denn antiautoritäre, emanzipatorische Strömungen haben durchaus noch einigen Einfluss, allerdings befinden sich diese Linken – interessanterweise zusammen mit den Reformerrealos – innerhalb der »Linken« seit langem in einem nicht offen ausgetragenen, politischen Richtungskampf mit Lafontaine und seinen Jüngern. Nach der Wahl im Saarland nun, bei der die Partei aus dem Stand 21 Prozent der Stimmen holte, wovon Wahlanalysen zufolge die Hälfte direkt auf die Person Lafontaine zurückzuführen ist, hat der ehemalige SPD- und jetztige »Linken«-Vorsitzende seine Macht in der Partei eindrucksvoll ausgebaut. Kaum noch vorstellbar, dass Lafontaine nach der Bundestagswahl bereit sein könnte, das Amt des Parteivorsitzenden abzugeben, wie es viele in der Partei, vor allem im Osten und Berlin, insgeheim gehofft hatten.
Bereits im Frühsommer hatte der Co-Vorsitzende der Partei, Lothar Bisky, damals eher programmatisch als überzeugt erklärt, es gebe »keine Anti-Oskar-Stimmung«. In der Tat verstummte nach der Europa-Wahl jegliche Kritik an Lafontaine – vorläufig, bis zu den Bundestagswahlen, wie es im Reformerlager selbstberuhigend hieß (25/09). Doch dass Lafontaine nach seinem spektakulären Erfolg im Saarland noch befürchten muss, dass ihm nach der Bundestagswahl irgendjemand ans Bein pinkeln werde, ist unwahrscheinlich.
So wird die Entscheidung im längst nur noch halluzinierten Richtungskampf vermutlich by the way fallen – oder dies ist kraft des Faktischen schon geschehen. Im Kern würde dies eine Konzentration der Linkspartei auf soziale Themen bedeuten, während andere Themen an den Rand gedrängt würden. Außenpolitisch droht sich der nationale, antiimperialistische Flügel durchzusetzen.

Selbst wenn sich in Thüringen oder dem Saarland neue Koalitionsmodelle ergeben sollten: Für die Bundestagswahl ist keine Überraschung zu erwarten. Neue Umfragen zeigen, dass auch nach den Landtagswahlen eine CDU-FDP-Koalition im Bund möglich ist. Sollte die SPD noch ein wenig aufholen, dann gibt es wohl nur die Option, die bestehende Große Koalition fortzuführen. Eine Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen gilt genauso wie eine Jamaika-Koalition sowohl rechnerisch als auch politisch als höchst unwahrscheinlich. Die Koalition aus Union plus Linkspartei kann man wohl ausschließen, obwohl es für sie nach aktuellen Umfragen im Bund schon jetzt fast reichen würde. Dasselbe gilt für Schwarz-Grün.
Doch zunächst wird in den Ländern weiterverhandelt. Dass Bodo Ramelow, unbestätigten Medienberichten zufolge, vor den Sondierungsgesprächen in Thüringen am Freitag voriger Woche offenbar einen parteilosen Kompromisskandidaten, den evangelischen Theologen Ralf-Uwe Beck, als quasi überparteilichen, extrapolitischen Ministerpräsidenten ins Spiel brachte, darf man als ebenso originell bezeichnen, wie die Ansicht des SPD-Vorsitzenden Christoph Matschie, als Vertreter der nur drittstärksten Fraktion einen Anspruch auf das Amt des Ministerpräsident zu haben. Ein Irrer gilt als irre. Zwei Irre bilden schon ein überzeugendes Paralleluniversum. Man kennt das vom Kiffen.
Welche Drogen bei den Sondierungsgesprächen sondiert wurden, wissen wir nicht, aber dieser abenteuerliche Vorschlag, das Amt des Ministerpräsidenten in ein unparteiisches, repräsentatives umzuwandeln, führte nicht dazu, dass die Gespräche abgesagt oder in ein anderes, angemesseneres, vielleicht eher klinisches Ambiente verlegt wurden, sondern im Gegenteil dazu, dass man sich darauf verständigte, in dieser Woche weiter reden zu wollen und auch noch die Grünen zu diesem suspekten Treffen einzuladen. Die werden zwar zur Mehrheitsbildung gar nicht gebraucht, aber vielleicht hofft man, dass sie was zu rauchen mitbringen.
Das alles vermittelt ein Bild der sich immer mehr dem Wahnsinn annähernden Verzweiflung zweier sozialdemokratischer Parteien, die ganz offenkundig gar keine andere Wahl haben, als sich zusammenzutun, aber ebenso selbstverständlich so tun müssen, als sei genau dies eine quasi unmögliche Zumutung. Auf dem Spiel steht immerhin das eigene Profil, also die Existenzberechtigung. Mögen Rot und Rot sich auch politisch näher stehen, bzw. in mancher Hinsicht sogar mehr oder weniger dasselbe sein: Strategisch wäre es sowohl für die CDU/CSU als auch für die »Linke« klüger, die SPD außen vor zu lassen und direkt miteinander zu koalieren.
Lafontaine selbst deutete an, dass SPD und Grüne am allerwenigsten koalitionstauglich für die »Linken« seien: »Rot-Rot-Grün ist keine Option für den Bund – auch nicht für die Linke«, sagte er den Ruhr Nachrichten. »Wir sind gegen Krieg, gegen Hartz IV, gegen Rentenkürzungen. Diese Fehlentscheidungen haben ausnahmslos SPD und Grüne zu verantworten«, so Lafontaine. Gauweiler würde sicher zustimmend mit dem Kopf nicken.