Bundeswehr lässt bomben in Afghanistan

Wer hat an der Uhr gedreht?

Die Bundeswehr lässt in Afghanistan bombardieren.

»Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin«, war eigentlich eine Parole der Friedensbewegung. Doch sie scheint auch unter Verteidigungsministern und Bundeswehrsoldaten Anklang zu finden. Dass am Freitagabend die Taliban nur wenige Kilometer vom Camp der Bundeswehr in Kunduz entfernt zwei Tanklastwagen kaperten, war für die Truppe kein Grund zum Ausrücken. Schließlich war es draußen schon dunkel.
Dass die deutschen Soldaten derzeit nicht mit überbordenden Kampfgeist auffallen, ist eigentlich eine gute Nachricht. Doch auf den Sonnenaufgang warten wollte Oberst Georg Klein auch nicht. Nach seinen Anweisungen bombardierten US-Kampfflugzeuge die Tanklastwagen. Die NGO Afghanistan Rights Monitor befragte Augenzeugen und schätzt die Zahl der getöteten Zivilisten auf 60 bis 70. Man darf annehmen, dass Oberst Klein schon gelernt hat, die Uhr zu lesen. Doch wurde als Zeitpunkt des Diebstahls anfangs 1 Uhr 50 angegeben, um die zunächst vehement vorgetragene Behauptung zu stützen, die Zeit bis zur Bombardierung um 2 Uhr 30 sei zu kurz gewesen, als dass Zivilisten sich um die Tanklastwagen scharen konnten. Tatsächlich fand der Diebstahl jedoch bereits um 21 Uhr 12 statt.
Verteidigungminister Franz Josef Jung musste zu Plan B übergehen, doch der angeblich befürchtete »Anschlag auf den Stützpunkt unserer Soldaten in Kunduz« war keine unmittelbare Gefahr, da die beiden Tanklastwagen in einem Flussbett feststecken. Nun ist von einem afghanischen Informanten die Rede, der gemeldet habe, es seien keine Zivilisten in Gefahr. Einen Beweis für die Existenz dieses Informanten, den Klein erstaunlich schnell zu dem Ort dirigieren konnte, an dem ein US-Flugzeug die Tanklastwagen entdeckte, sowie des noch dubioseren »weiteren Aufklärungsstrangs« wird Jung mit einem Hinweis auf die Geheimhaltung wohl schuldig bleiben.
Offenbar hat die Bundesregierung erwartet, die Verbündeten würden ihre Behauptungen bestätigen. Doch wenn die hinterhältigste Petze auch mal ins Klassenbuch eingetragen wird, löst das bei den Mitschülern eher Schadenfreude aus. Die deutsche Regierung hat sich Ende 2001 den ruhigsten Winkel Afghanistans ausgesucht und sich immer wieder über die amerikanischen Rambos empört, die den warmherzigen Entwicklungshelfern der Bundeswehr die Arbeit erschweren.
Obwohl eine gewisse Genugtuung über die Blamage der selbstgerechten Deutschen unverkennbar ist, gibt es für den Ärger der Verbündeten einen wichtigeren Grund. Die US-Regierung hat nach der Bombardierung diverser Hochzeitsgesellschaften strengere Einsatzregeln für die Luftwaffe eingeführt. Wenn General Stanley McChrystal darauf besteht, dass auch die Deutschen sich an die neuen Regeln halten, macht er nur seinen Job. Das nach den desaströsen Erfahrungen in den ersten Jahren des Irak-Krieges erstellte Handbuch des US-Militärs zur Aufstandsbekämpfung zählt zu den »nicht erfolgreichen Strategien« unter anderem »Der Tötung und Gefangennahme des Feindes die Priorität geben« und resümiert: »Manchmal ist Nichtstun die beste Reaktion.« Vielleicht ist McChrystal ja so freundlich, Jung und Klein das Handbuch zukommen zu lassen.