Schwarz-gelbe Krisenverwaltung

Bürger gegen Bürger

Aufbruch? Neuanfang? Die schwarz-gelbe Regierung steht vor allem für die Kontinuität der Krisenverwaltung.

»In Deutschland hat ein epochaler Machtwechsel stattgefunden. Kaum zu fassen!« ließ die Zeit nach der Bundestagswahl auf der Titelseite wissen und vermittelte so den Eindruck, eine Armee der Finsternis habe sich im Schlaraffenland an die Macht geputscht. Wer sich dem weiteren Inhalt der Zeitung widmete, fand jedoch heraus, dass die Schreiber das unfassbar Epochale eher in der Niederlage der SPD sahen. Über die zukünftige Regierung wusste die Zeit dagegen Schlichtes zu berichten: »kein historischer Aufbruch«, »Zurückhaltung«, »unaufgeregt«.
Tatsächlich geht der Regierungswechsel auf vollkommen banale Weise vonstatten. Nach den ersten Koalitionsverhandlungen sprachen die Vertreter der FDP und der CDU/CSU von »guter Partnerschaft«, »großer Fairness« und all den Dingen, die auch nach unbedeutenden Ausschusssitzungen verlautbart werden. Als 1982 die schwarz-gelbe Regierung die sozialliberale ablöste, drohte Helmut Kohl mit markigen Worten mit der »geistig-moralischen Wende«. Angela Merkel hingegen spricht nicht einmal mehr vom »Durchregieren« wie noch 2005. Guido Westerwelle erwähnt nur überaus zaghaft einen »Neuanfang« und diktiert der Bild am Sonntag den visionären Satz: »Wir wollen mehr Zukunft wagen.«

Auch die Klientel der neuen Regierung drängt nicht gerade auf alles umwälzende Veränderungen. Dieter Hundt, Präsident der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, fordert ohne großes Poltern von CDU und FDP, was seinesgleichen immer verlangt: »Steuererleichterungen« und »eine strikte Ausgabendisziplin bei den öffentlichen Finanzen«. Hans-Peter Keitel, Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie, gibt sich bescheiden: »Die Industrie hat vor der Wahl keine massiven Senkungen der Einkommen- oder Unternehmensteuer gefordert, und ich fange jetzt nicht damit an.« Selbstverständlich haben es die Unternehmer auch derzeit auf den Kündigungsschutz abgesehen, wie etwa der Präsident des Zentralverbands des deutschen Handwerks, Otto Kentzler. Aber auch da herrscht Genügsamkeit: Der Kündigungsschutz soll erst für Betriebe ab 20 Beschäftigten gelten statt wie bisher ab zehn Beschäftigten, was auch die FDP fordert. Das ist zwar nicht schön, aber auch nicht der berüchtigte »Klassenkampf von oben«.
Diese Zurückhaltung hat triftige Gründe: Hundt bittet die neue Regierung vor allem um die »Sicherung der Unternehmensfinanzierung«. Sollten weitere Unternehmer im Zuge der Wirtschaftskrise in Kreditnöte geraten und als Bittsteller den Staat um finanzielle Hilfe ersuchen, wäre es nicht sonderlich dienlich, wenn sich ihre obersten Vereine vorher mit allzu forschen Forderungen hervorgetan hätten. Zudem dürfte sich die Bescheidenheit bei den Gewerkschaften gut machen. Diese könnten sich so – und mit dem Appell an ihre »Verantwortung« für den »Standort« und den »sozialen Frieden« allemal – leichter von der Notwendigkeit »schmerzhafter Einschnitte« überzeugen lassen, die den Beschäftigten in der Krise sicher noch bevorstehen.

Den Wortführern des Kapitals ist also derzeit nicht nach großem Trubel, sondern nach Kontinuität. Und auch die neue Regierung dürfte die großen Errungenschaften ihrer Vorgängerinnen unangetastet lassen. »Exportweltmeister« beispielsweise wird man nicht über Nacht. Schon die rot-grüne Regierung machte sich darum verdient, dass die Lohnstückkosten zum Nachteil der Beschäftigten sanken und so der Export den derzeitigen Anteil am Wirtschaftsvolumen erreichen konnte. »Exportweltmeister bleiben«, »die Rolle als Exportweltmeister sichern« – darum geht es in den einschlägigen Druckerzeugnissen von CDU und FDP. Zu diesem Zweck wird weiterhin so verfahren, wie es SPD und Grüne begonnen haben. Das hat Merkel erst kürzlich auf dem G20-Gipfel in Pittsburgh klargestellt.
Und was die rot-grüne Regierung mit der »Agenda 2010« vollbracht hat, ist gerade in der derzeitigen Krise für die schwarz-gelbe von großem Wert: Die staatlich geförderte Zunahme der Leiharbeit beispielsweise sorgt nicht nur für niedrige Löhne. Unternehmer können sich, wenn es wirtschaftlich nicht recht laufen will, der Beschäftigten entledigen, ohne sich mit allzu hinderlichen arbeitsrechtlichen Bestimmungen herumplagen zu müssen – so ist es in jüngster Zeit ja bereits geschehen, und so kann es weitergehen.
Mit den Hartz-IV-Regelungen steht zudem dank der SPD und der Grünen bereits ein Instrumentarium zur Verfügung, mit dem sich die auf dem Arbeitsmarkt Überflüssigen wirkungsvoll verwalten lassen. Im September mag die Zahl der Arbeitslosen zurückgegangen sein – die Agenturen rechnen mit einer stetig steigenden Quote, nach der jüngsten Schätzung des obersten Volkswirts der Deutschen Bank, Norbert Walter, soll diese erst im Winter 2010/2011 den höchsten Wert erreichen. Angesichts solcher Aussichten genügen der FDP die bestehenden Möglichkeiten anscheinend nicht. Das von den Liberalen deshalb schon im Wahlkampf und nun in den Koalitionsverhandlungen geforderte »Bürgergeld« entspricht aber den Grundprinzipien von Hartz IV, nicht dessen Abschaffung, wie die FDP und etliche Medien es darstellen.
Besser dürfte es Arbeitslosen mit dem Bürgergeld selbstverständlich nicht gehen, schließlich erhofft sich der FDP-Finanzpolitiker Hermann Otto Solms vor allem »eine geringere Missbrauchsquote« und »stärkere Anreize zur Arbeitsaufnahme«. »Die Leistungen werden beim Bürgergeld grundsätzlich pauschaliert gewährt und von einer einzigen Behörde, dem Finanzamt, verwaltet«, hieß es im Wahlprogramm der FDP. Es soll also Schluss sein mit den lästigen, individuellen Bedarfsberechnungen, alle bisherigen Sozialleistungen sollen als Pauschalbeträge festgelegt werden. Unter Umständen könnten sogar Angestellte der Bundesagentur für Arbeit in den Genuss des Bürgergelds kommen: Sie soll nach dem Wunsch der FDP aufgelöst werden.
Für diejenigen, die die Zuwendung erhalten, gilt: »Von einem Bürgergeldempfänger, der gesund ist und keine eigenen Angehörigen zu versorgen hat, ist grundsätzlich zu erwarten, dass er zu einer Gegenleistung an die Gemeinschaft bereit ist.« Zur gemeinnützigen Arbeit dürften Arbeitslose weiterhin herangezogen werden. Es soll nach dem Willen der FDP also bei der bisherigen staatlichen Verwaltung der Ausgesonderten einschließlich des Reichsarbeitsdienstes für die »Gemeinschaft« bleiben, aber bitteschön mit einem »schlanken Staat« – so viel Liberalismus muss sein.
Allerdings ist die CDU nicht sonderlich angetan vom Bürgergeld. Es bestehe kein Anlass, Hartz IV abzuschaffen, es gelte lediglich, bestimmte Regelungen zu »überarbeiten«, ließ die Partei verlauten. So dürfte die Forderung der FDP nach dem Bürgergeld nur eine kleine Anregung dafür bleiben, wer bald noch stärker drangsaliert werden soll: Arbeitslose und Erwerbsunfähige.

Hier findet die FDP schon einmal in die Rolle, die ihr zukünftig zukommt und die bei aller Konti­nuität das Neue an der schwarz-gelben Regierung ausmacht. Die Union verfährt so, wie sie es bisher tat, und tritt als Schutzmacht des »Standorts« und des »sozialen Friedens« auf, was der banale Slogan zusammenfasst: »Gemeinsam für unser Land.« Da sich in der Krise aber auch die Rivalität unter den einzelnen Staatsbürgern verschärft, bedarf es eines Vorbeters, der die weitere Unterwerfung unter das Konkurrenzprinzip predigt. Das ist die Aufgabe der Liberalen.
Das zeigt sich beispielsweise in den Koalitionsverhandlungen um den defizitären Gesundheitsfonds. Die Union will ihn beibehalten und lehnt zum einen eine Beitragserhöhung ab, die die Lohnnebenkosten und somit den »Standort« träfen, zum anderen soll um des »sozialen Friedens« willen auf die Patienten »auf keinen Fall eine Leistungskürzung zukommen«, wie Markus Söder (CSU) fordert – was selbstverständlich nicht heißt, dass gesetzlich Versicherte nicht doch Zusatzbeiträge aufbringen müssen. Die FDP verlangt dagegen die Abschaffung des Gesundheitsfonds, mehr »Eigenverantwortung« und die Stärkung der privaten Krankenversicherungen.
Dass sich die steigende Konkurrenz aber zunächst an den Überflüssigen austoben dürfte, ist dem berüchtigten »Sachzwang« geschuldet. Zwar haben CDU/CSU und FDP Steuersenkungen in Aussicht gestellt, die den materiellen Abstand zwischen den Steuerzahlern und den bereits Abgehängten vergrößern und so die Angst der noch integrierten Staatsbürger vor dem eigenen Abstieg in der Krise dämpfen würden. Doch es war am hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, gleich am Beginn der Koalitionsverhandlungen die Aussicht auf geringere Steuern empfindlich zu trüben: »Die Spielräume für Steuersenkungen sind angesichts der Wirtschaftskrise sehr begrenzt.« Und noch dazu gibt es ja die »Schuldenbremse«!

Es drängt sich deshalb also auf, den Arbeitslosen das Leben noch schwerer zu machen. Davon kündete bereits der Wahlkampfslogan der FDP: »Arbeit muss sich wieder lohnen!« Ins Negative gewendet wird das Bevorstehende deutlich: Wer keine Arbeit hat, wird selbstverständlich nicht belohnt, sondern nach Möglichkeit gegängelt, wo es nur geht.
In dieser Rolle dürften sich die Liberalen nicht überall beliebt machen. Aber vielleicht werden sie ja dafür in der zwischen den zukünftigen Koalitionsparteien umstrittenen Sicherheitspolitik mit dem guten Part belohnt: Während sich die Union als bad cop über die Bürgerrechte und die Trennung von Polizei und Geheimdiensten hermacht, kann die FDP als good cop mahnen, korrigieren und sich so selbst in der Krise auch mal von der weichen Seite zeigen.