Doch kein US-Raketenschild in Polen. Polens Nationalisten wittern Verrat

Ende einer besonderen Beziehung

Der Verzicht der USA auf die geplante ­Raketenabwehr in Osteuropa ist für die natio­nalistische polnische Außenpolitik ein Desaster.
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Der Iran stellt wohl doch keine so große Bedrohung für die Vereinigten Staaten dar, wie die Regierung von George W. Bush dies glauben machen wollte. Mitte September verkündete die US-Administration den Verzicht auf den Bau eines Antiraketenschildes in Polen und Tschechien.
Russland zeigte sich erst einmal zufrieden mit der Entscheidung. Die US-amerikanischen Konservativen sind hingegen enttäuscht: Amerika verkaufe seine engsten Verbündeten, heißt es. Ähnlich reagierte nun jener Teil der polnischen Öffentlichkeit, der sich dem national-katholischen Spektrum zuordnen lässt. Verraten zu werden, sei eine historische Erfahrung Polens, heißt es in vielen Kommentaren der vergangenen Wochen. Nach all den Niederlagen in den Kämpfen mit Preußen, Russen und Österreichern und dem erfolglosen Anti-Nazi-Bündnis mit Franzosen und Briten sollte nun den Amerikanern eine neue Chance gegeben werden. Nun fühlt man sich vom US-amerikanischen Partner »verraten«, denn das von George W. Bush initiierte Projekt wurde als Schutz vor ­einem von Polen als Bedrohung empfundenen Russland gesehen. Die polnische Boulevardzeitung Fakt titelte: »Verrat. Amerika verkauft uns an Russland« und bezeichnete den Verzicht auf das Raketenabwehrsystem als »Dolch in den Rücken Polens«. Natürlich nicht in den Rücken der im Felde stehenden unbesiegten polnischen Armee, auch wenn diese bereitwillig alles unternommen hat, um die nationalistische polnische Außenpolitik zu flankieren.

Als die polnische Armee den US-Marines in den Irak folgte, ging es nicht um einen Zugang zu billigem Öl. Auch die Eröffnung neuer Märkte war für Polen nur ein vorgeschobenes Argument. Ebenfalls war auch die in Polen viel zitierte »Befreiung des irakischen Volks« nicht das wirkliche Motiv, sondern nur ein Argument, das jedem Kritiker um die Ohren gehauen werden konnte, sofern er sich auch nur ansatzweise gegen diesen Krieg aussprach. Die Antwort auf die Frage, was polnische Truppen im Irak suchten, war vielmehr östlich der polnischen Grenze zu finden. Um etwas gegen Russland in der Hand zu haben, wurde versucht, eine besondere Beziehung zu den USA aufzubauen.
Diese Strategie in der polnischen Außenpolitik ist dabei nichts Neues. Sie reicht bis zu den Friedensverhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg zurück. Damals konnte die polnische Ostgrenze nicht auf dem Verhandlungsweg gezogen werden, und die damalige polnische Regierung unter Marschall Pilsudski entschloss sich, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Den dafür gefochtenen polnisch-sowjetischen Krieg im Jahr 1920 gewann am Ende der Marschall, und in polnischen Geschichtsbüchern wird dieser Sieg bis heute als »Wunder an der Weichsel« bezeichnet. Damit wurde der neu gegründete polnische Nationalstaat in die Lage versetzt, die Grenzen im Osten selbst zu bestimmen.
Der 1918 gegründete ukrainische Nationalstaat wurde bei dieser Gelegenheit auf die gleiche Weise abgewickelt wie 130 Jahre zuvor der polnische. Die Ukraine wurde zwischen Polen und der Sow­jet­union aufgeteilt. Von dem ebenfalls neu entstandenen litauischen Nationalstaat wurde ein großer Teil seines Territoriums, inklusive der Hauptstadt Vilnius, von Polen annektiert. Ukrainisch, Belorussisch und Litauisch wurden aus der Öffentlichkeit verbannt und als »polnische Dialekte« diskreditiert. Polnisch wurde zur einzigen offiziell zugelassenen Sprache.
Ganz ähnlich verlief die Grenzziehung zur Tschechoslowakei. Den Streit zwischen Polen und der Tschechoslowakei um die Stadt Teschen, der 1920 mit der Teilung der Stadt beigelegt worden war, entschied Polen 1938 für sich. Der tschechische Teil wurde während der Besetzung des Sudetenlandes durch die Wehrmacht in Absprache mit Hitler von Polen annektiert. Polnische Nationalisten spielten das Spiel der Mächte in der Zwischenkriegsphase mit, so gut sie eben konnten.
Die polnische Außenpolitik strebt seit 80 Jahren auch danach, ein Bündnissystem aufzubauen, das das Land vor den stärkeren Mächten Deutschland und Russland (bzw. der Sowjetunion) schützen soll. Die früher Frankreich zugedachte Rolle einer Schutzmacht sollten nach 1989 die USA übernehmen. Ein offener Brief der ehemaligen Regierungschefs der mittelosteuropäischen Staaten, der die Administration von Barack Obama bereits im Juli erreichte, verdeutlicht auch die neue und alte polnische Position gegenüber Russland. In dem auch vom konservativen Lech Walesa und dem postkommunistischen Alexander Kwasniewski unterzeichneten Brief heißt es: »Die Nato muss ihre Verteidigungsvereinbarungen glaubhaft machen. Eine solche Politik sollte auch die Bereitstellung von entsprechenden Truppen beinhalten.«
Gefordert wurde die Stationierung von Nato-Truppen östlich der Elbe. Genau diese Truppenverschiebung Richtung russische Grenze wurde jedoch in den Verhandlungen mit Russland 1989 und 1990 ausgeschlossen. Ziel war es, zumindest offiziell, einen Frieden zwischen den ehemaligen Kalten Kriegern auszuhandeln. Diese Politik scheint bei der polnischen Regierung allerdings nie angekommen zu sein.

Eine angestrebte special relation zu den USA ist zum Schutz des Landes nicht nötig. Dazu würde die Nato-Mitgliedschaft vollkommen ausreichen. Aber für eine nationalistische Außenpolitik, die darauf zielt, mehr Macht in Europa zu erlangen, ist ein solches Verhältnis von zentraler Bedeutung.
Das Projekt eines Raketenabwehrsystems und die militärische Unterstützung der Amerikaner im Irak und in Afghanistan bilden die Grundlage für eine solche Politik. Im polnisch-ukrainischen Verhältnis wird dies schnell deutlich. Im westlichen Teil der Ukraine würde man eine Nato-Mitgliedschaft tatsächlich begrüßen. Im größeren östlichen, russisch geprägten Teil dagegen nicht. Mit dem Wissen, dass Russland dies nie akzeptieren würde, unterstützt der polnische Staat eine Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato und der EU mit allen ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Dem russischen Generalstab ist sehr wohl klar, dass Russland nicht mehr zu verteidigen wäre, sollte die Ukraine Teil des westlichen Verteidigungsbündnisses sein. Ganz ähnlich verhält es sich in Belorussland. Mit der Unterstützung der Demokratisierungsbewegung in Belorussland versucht Polen, das Land in Richtung Westen zu bewegen. Dass die Demokratisierungsbewegung in erster Linie von der polnischen Minderheit getragen wird, wird dabei allerdings in der Regel verschwiegen. Dass sich die mehrheitlich belorussische Bevölkerung eher als zu Russland gehörig ansieht, ebenfalls.
»Obama liebt Polen nicht«, titelte die polnische Zeitung Super Express. Zumindest nicht so, wie ein polnischer Nationalist es für richtig und wünschenswert halten würde. Dies ist zumindest jetzt durch den Rückzug der US-Regierung von ihren Raketenabwehrplänen den polnischen Nationalisten in der Regierung deutlich geworden. Die Entscheidung der Regierung Obama trifft die nationalistische polnische Außenpolitik in ihrem Kern.