Über das »Pornfilmfestival« in Berlin

»Lick my Wiener Schnitzel!«

In Berlin fand am Wochenende zum vierten Mal das »Pornfilmfestival« statt. Unsere Reporter haben zwar den »Air Sex Contest« verpasst, im Kino dieses Mal aber ganz genau hingeschaut und Impressionen zusammengetragen.

Die junge Sadie kommt aus gutem Hause, und sie ist hochgradig gelangweilt. Jeden Tag immer nur fernsehen und mit einem rosa Schleifchen um den Hals im Haus herumhocken – das soll das Leben sein? Außerdem ist sie gerade geil. Was also liegt näher, als von daheim abzuhauen, sich in die große Stadt zu begeben und sich kopflos in diverse sexuelle Abenteuer zu stürzen? Prompt lernt sie ein paar Schwerenöter kennen, und dann geht’s auch schon los: Man beschnuppert sich ausgiebig an den Geschlechtsteilen, Fellatio, Cunnilingus, die Girl-Girl-Nummer. Und im Hinterzimmer gibt sich Sadie gemeinsam mit dem Träger einer schwarzen Ledermütze, der einen auffälligen deutschen Akzent pflegt (»Lick my Wiener Schnitzel, you Slut«), diversen SM-Praktiken hin.
Nicht nur was das sozusagen klassische Sujet betrifft, auch was die technische Ausführung angeht, stimmt alles: Primäre Geschlechtsmerkmale in Großaufnahme, erigierte Penisse, ausgiebige Leckexerzitien, da wird heftig gerieben und herumgefuhrwerkt, und schließlich der money shot. Zack. Unzweifelhaft haben wir es hier mit einem Porno zu tun. Allerdings gibt es einen einzigen, wenn auch nicht ganz unwichtigen Unterschied im Vergleich zu herkömmlichen Pornofilmen: Alle Darsteller sind Hunde. Und Hündinnen.
»This is doggystyle«, sagt etwa einer von Sadies Partnern, ein süßer Wuschelhund mit lockigem Fell, etwas irritiert, als Sadie sich liebevoll bei ihm erkundigt, ob sie es jetzt nicht mal doggy­style treiben könnten. »Porn Dogs« heißt der Film, der den standardisierten Porno in gelungener Weise parodiert.
Nach der Kinovorstellung wird uns der humorvolle Regisseur dieses kruden Machwerks vorgestellt, ein US-Amerikaner, der uns freundlich zulächelt. »Leute, ihr wisst schon, dass ihr krank seid?« sagt er. Alle lachen. Der Mann kennt seine Kundschaft. Er erzählt von den populären Pornodarstellern (unter anderem Ron Jeremy), die als Sprecher den Hunden ihre Stimmen geliehen haben, und er vergisst auch nicht, einen seiner Kumpels zu erwähnen, der gesagt haben soll: »Das wird wieder so ein Film, der nur in Deutschland gezeigt werden kann.«
Gleich danach gibt’s dann einen bonbonbunten, japanischen Animationsfilm aus den frühen Siebzigern, eine Art mythisches Porno-Märchen, das im mittelalterlichen Frankreich spielt – inklusive finsterem Fürsten, arme Bauernmädchen und einem phallusförmigen Teufel. Ein Film, bei dem man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass die Macher ihre Frühstückscornflakes seinerzeit gern mit LSD zu sich nahmen.

Filme wie die hier erwähnten werden für gewöhnlich nicht im Kino gezeigt. Weswegen es schön ist, dass es das Pornfilmfestival gibt, das vor einigen Jahren von einer Hand voll Berliner Maniacs ins Leben gerufen wurde, die sich hingebungsvoll ihrem Gegenstand widmen, dem pornografischen Film, bevorzugt seinen absonderlichen Spielarten und Subgenres (»Splatterporn«, Science-Fiction-Porno, Fetischfilme).
Die Veranstalter sind allem Anschein nach rührige Menschen: bekennende Liebhaberinnen und Liebhaber des Genres, Jäger und Sammler, Leute, die ein Auge dafür haben, was jenseits des standardisierten Rein-Raus-Hetero-Fickpornos (Stereotype, Geschlechterklischees, cumshots) an den Rändern blüht. Und das ist einiges: vom art porn über das C-, D- oder E-Movie bis zur mit einer Handykamera aufgenommenen autobiographischen Studie eines Depressiven. Jahr für Jahr trägt man zusammen, was abseitig, bizarr und auf­regend genug ist, um einem Publikum vorgeführt zu werden, das überwiegend aus Hipstern, Queers, Kunststudenten und Leuten, die in der Porno-Branche tätig sind, zu bestehen scheint. Das Publikum wächst. Dieses Jahr gibt es erstmals einen Anstieg der Besucherzahlen zu verzeichnen – während sich die Sponsoren, auch aufgrund der Krise, zurückgezogen haben. Und tatsächlich ist das heftige Gedränge im kleinen Berliner Kino Moviemento, dessen drei schuhkartongroße Kinosäle meist voll besetzt sind, kaum auszuhalten.
40 Prozent der Filme des Programms, das an vier Tagen gezeigt wird, sind von Frauen. Eine Zahl, auf die sich sämtliche Medien in der Vorberichterstattung gestürzt haben, wie Jürgen Brüning, Initiator des Festivals und einer von vier Kuratoren, belustigt anmerkt. Und er legt Wert auf die Feststellung, dass »das Budget dem entspricht, was die Berlinale für einen Flug für Brad Pitt ausgibt«. Ihm und den anderen Machern, meint er, ginge es nicht um die Etablierung von Marken wie dem »weiblichen« oder »feministischen Porno«.
Auch bei einer Diskussion mit sieben Filmemacherinnen am Samstagnachmittag wird deutlich, wie unterschiedlich die Perspektiven sind. Anna Peak, Pornofilmerin und Sexworker, stört es, wenn suggeriert wird, im feministischen Porno seien die Arbeitsbedingungen besser als im Mainstream. Oft würden die Darsteller schlecht bezahlt, auch herrsche dort dieselbe (Selbst-)Ausbeutung, wie sie in alternativen Märkten üblich ist.
Die Diskussion dreht sich vor allem um die Zukunft der Pornoindustrie und die mangelnden Möglichkeiten für alternative Filmemacherinnen, ihre Produkte erfolgreich zu vermarkten. Den meisten der Anwesenden ist der Mainstream herzlich egal. »Warum sollten wir ein großartiges Rezept an McDonald’s verkaufen? Damit sie irgendeinen Dreck daraus machen?« fragt etwa Courtney Trouble, die eine Pornoseite betreibt (nofauxxx.com) und sich gegen die üblichen Kategorisierungen der Filme nach Praktiken und Vorlieben wendet, Kategorisierungen, wie sie von der Pornoindustrie gepflegt werden. Die US-Amerikanerin Shine Louise Houston meint, Filmemacherinnen müssten ihren eigenen, unabhängigen Markt schaffen, anstatt sich am Mainstreamgeschäft zu beteiligen. »Nur so wird man diese Industrie verändern können. Ich werde ein Imperium schaffen«, sagt sie ebenso selbstbewusst wie ironisch. Anstatt sich von den großen Pornoproduktionsfirmen ausbeuten zu lassen, wollen die anwesenden Regisseurinnen lieber selbst an guten Pornos verdienen. Das ist jedoch nicht einfach, da die Zensur allgegenwärtig ist, die Vertriebsstrukturen der Industrie festgefügt sind und gerade Filme, die in kein Genre passen oder etwa eine Spielhandlung mit expliziten Sexszenen mischen (was den Gesetzen des Mainstream-Marktes widerspricht), es schwer haben, einen Vertrieb zu finden.

»Pornos sind wie Weine«, sagt Manuela Kay, Chefredakteurin des Lesbenmagazins L-Mag und Mitveranstalterin des Festivals, »jeder Jahrgang unterscheidet sich vom anderen.« Pornos sind zuweilen aber auch nicht gerade feinsinnig und subtil. Die naheliegende Frage, ob man ein Machwerk wie »Stutentausch, Vol. 6« unbedingt gesehen haben muss, um seinen Horizont zu erweitern, lässt sich mit einem klaren Nein beantworten. Es handelt sich um einen (in diesem Fall nach dem Vorbild der beliebten Serie »Frauentausch« gestalteten) Doku-Soap-Porno, ein Genre, das sich wachsender Beliebtheit erfreut. Amateurdarsteller agieren hölzern und unsicher und sehen auch schon mal gelegentlich verstört in die Kamera, während sie gequält und freudlos ihre Geschlechtswerkzeuge bearbeiten, dabei Gesichter schneiden und etwas vermitteln wollen, das sie selbst wohl für Ekstase halten mögen. Dabei geben sie Sätze von sich, die man ihnen vorher zum Auswendiglernen und Aufsagen gegeben haben muss. »Das is’ herrlisch, herrlisch, wie schön eng du bist.« Auch das, was die Produzenten für Humor halten, kommt dabei nicht zu kurz: »Guten Appetit«, sagt eine Darstellerin, bevor sie sich den Penis ihres Kollegen in den Mund schiebt. Jedem Sekundenbruchteil des Films merkt man dabei seine Inszeniertheit an, was für den Betrachter sehr quälend ist. »Das ist quälend«, sagt ein Zuschauer also laut, weil es nur schwer zu ertragen ist, und die neben ihm sitzende Frau, die offenbar abgehärtet ist und hie und da auflacht, antwortet kühl: »Das Schlimmste ist diese überall identische Wohnungseinrichtung, die die Filmemacher in ein und demselben Geschäft gekauft haben müssen.«
Das sich bei der Betrachtung des Films einstellende Gefühl, in dem sich Scham mit einer gewissen Hilf- und Ratlosigkeit mischt, kann man nur mit Mühe verdrängen. Ob Weinen oder Lachen die angemessene Reaktion ist, ist nur schwer zu entscheiden. Sätze wie »Die Schlampe lässt sich gerade von einem Neger durchficken« gehören dabei zum Standard-Dialog. Der Film, so heißt es im Programmheft des Festivals, sei »unschlagbar unterhaltsam und manchmal schmerzhaft authentisch«. So kann man es freilich auch sagen. In den Pornoabteilungen der Videotheken findet sich tonnenweise Material wie dieses. Wobei die Vorstellung, dass es viele Menschen gibt, die beim Betrachten dieses Films so etwas wie Erregung empfinden oder zu Sex animiert werden, hochgradig beunruhigend ist. Nun gut, jeder hat sein Päckchen zu tragen, heißt es im Schwabenland.
Doch trotz solch fragwürdiger Erzeugnisse wie »Stutentausch, Vol. 6«, die einen eher an das Romanpersonal von Gisela Elsner erinnern als dass sie den Gedanken an Sex wachrufen, hat sich das Pornfilmfestival in den vergangenen drei Jahren zu Recht den Ruf erworben, dass es den Geist der sexuellen Libertinage hinausträgt in die Welt. Ob nun lesbisch, hetero, schwul, transgender, Bondage, Fetischkram oder was auch immer: »Das ist wieder so ein Film, der nur in Berlin gezeigt werden kann«, müsste es wohl genaugenommen heißen. Natürlich ist das den »Menschen draußen im Lande« (Helmut Kohl) wurscht, aber in Berlin haben die einschlägig Interessierten ihr Vergnügen. Pornographische Werke, ungekürzt, unzensiert und unverpixelt, können sie bei Bedarf jederzeit betrachten, ohne von der Polizei abgeführt zu werden, anders als in Nordkorea, in der Steiermark oder im Iran, »und das ist auch gut so« (Klaus Wowereit). Extrem behaarte Darsteller in Siebziger-Jahre-Filmen, deren Soundtrack anscheinend mit einer kaputten Bontempi-Orgel eingespielt wurde (»Programmed for Pleasure«); arty, unterkühlte Trash-Science-Fiction aus den frühen Achtzigern, die wirkt, als habe David Lynch beschlossen, mit den Residents einen Porno zu drehen (»Cafe Flesh«); Filme, in denen die Kamera zärtlich an haarigen Männerbeinen entlangfährt (»The Band«); Filme mit Menschen, die offenbar ein spezifisches Vergnügen dabei empfinden, ihre Geschlechtsteile mit einem aus toten Kakerlaken hergestellten Sud einzureiben, um diesen hernach zu verspeisen (»The Girl Snarfs Roaches«).
Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die gibt es gar nicht. Aber hier gibt es alles. Und zwischendrin versteckt sich im Festivalprogramm auch mal ein kleines Kunstwerk, so etwa das rough movie »Champion« von Shine Louise Houston aus San Francisco, ein Mixed-Martial-Arts-Lesbenporno, produziert mit einem Budget von 26 000 Dollar. »Peanuts« im Vergleich zu anderen Filmproduktionen, meint die Regisseurin. Ihr nächster Film, sagt sie, werde ein Porno-Suspense-Thriller. »Den müssen Sie sich so vorstellen: Wenn die Filme ›Das Fenster zum Hof‹ von Hitchcock und ›Blow Up‹ von Antonioni gemeinsam ein Baby bekämen, das ein Porno wäre. So wird mein Film.«
Manuela Kay kündigt schließlich die Vorführung von »Champion« an (»Wagt es bloß nicht, das Kino zu verlassen!«) und macht Fotos vom Publikum (»Das ist für meine Dokumentation: Wer guckt sich eigentlich lesbische Pornos an?«).
Aus vier jeweils fast zwanzigminütigen Sexszenen besteht der Film. Kampf, Sex, Kampfsex. Auch auf der Tonspur. Das Quietschen des Bettes fügt sich gewissermaßen in eine Dramaturgie der Härte: Das Schlagen, Schwitzen und Stöhnen wirkt hier einmal nicht inszeniert. Hier wird hart gekämpft, hart zugepackt, hart gefickt. Real Acting statt einer starren Abfolge der immergleichen Stellungswechsel und stereotypen Großaufnahmen.

Bereits einige Tage vor Beginn des Festivals wurde im Berliner Filmtheather in den Hackeschen Höfen auch der »1. Feministische Pornofilmpreis Europa« verliehen. Zu den Klängen von Beethovens »Ode an die Freude« wurde das Logo des Preises eingeblendet, eine violette Kristallauster. Der Feminismus feierte sich selbst und die Freude am Sex, er will kein alternatives Nischendasein mehr fristen, sondern wolle »den Mainstream revolutionieren«, sagte Laura Méritt, die Initiatorin, vor einem voll besetzten Kinosaal. Der Frage, ob Feminismus und Porno nicht Gegensätze seien, ist Méritt überdrüssig. »Porno und Feminismus sind beides böse Worte, die passen gut zusammen«, sagte sie. Sie ist bemüht, die Spaltung des Feminismus in eine Por-Yes- und Por-No-Fraktion herunterzuspielen. Die Kampagne »Por-Yes« teile die Abneigung gegen die sexistischen Darstellungen in Mainstream-Pornos.
Auch sei die so genannte sexpositive Frauenbewegung nicht neu. Schon lange gebe es Regisseurinnen, die Pornographie herstellen. Nur sind sie, wie ihre Filme, außerhalb eines kleinen Zirkels von cinephilen Feministinnen leider kaum bekannt. Auch deshalb hat Méritt den Preis ins Leben gerufen.
Ausgezeichnet wurden Regisseurinnen und Porno-Pionierinnen wie die US-Amerikanerin Candida Royalle, die mit ihren mittlerweile mehr als 30 Filmen inzwischen kommerziell erfolgreich ist. Oder die Kink-Filmemacherin Maria Beatty und die Aktionskünstlerin, Sexaufklärerin und Sexarbeiterin Annie Sprinkle. Auf der anschließenden Party ging es jedoch nicht so derb zu, wie man es von einer Pornoparty hätte erwarten können.
Ach ja, und noch etwas: Die lesbische Performance-Band The Hungry Hearts hat mit ihrer »internationalen lesbischen Hymne« »In Your Face« einen schönen Ohrwurm produziert. Zu Euro-Disco-Stampfsound singen die vier Norwegerinnen, in pastellfarbenen Fünfziger-Jahre-Hausfrauenkleidern und Cowboystiefeln, die Zeilen: »You want my Pussy in your face/You want my fingers up your arse/You want my lips around your clit/You want my hands upon your tits/Treat me like a whore/I want to fuck you on the floor/Until your pussy’s sore«. Und dazu tanzt man den New Worldwide Lesbian Hasuki Dance. Schön.