Über Fischmehlfabriken in Peru

Die Stadt der toten Fische

Die peruanische Stadt Chimbote soll aufhören zu stinken. Das fordern die Bewohner des ehemaligen Fischerdorfs, das heute zur Hauptstadt der Fischmehlproduktion des Landes geworden ist. Gigantische Mengen davon werden hier in veralteten Fabriken hergestellt, womit eine hemmungslose Umweltverschmutzung einhergeht.

Eine dünne Rauchsäule steigt aus dem schmalen Schornstein. Die Tore der Fabrik sind geschlossen, alles wirkt ein wenig ausgestorben. »Der Schein trügt. In den letzten Tagen wurde die Produktion erst gegen Abend aufgenommen, und wir haben jetzt erst 17 Uhr«, sagt Inga Peña. Sie wohnt direkt gegenüber der Fischmehlfabrik San Mar und bekommt es als Erste mit, wenn die Fischkutter in der Bucht von Chimbote anlanden. Dann wird die Fracht, Sardinen und Sardellen, aus dem Bauch der Schiffe durch die langen Rohre der Pumpstationen angesaugt und anschließend weiter zu den Fabriken transportiert. »Später landen die kleinen Fische dann zum Trocknen auf dem Rost«, sagt Peña. »Über der offenen Flamme werden die Fische in einigen der alten Fabriken geröstet.« Ruß und winzige Fischpartikel steigen dann durch die Schornsteine hoch und legen sich wie ein feiner Film über die Nachbarschaft.
In Florida Baja, einem Viertel von Chimbote, gibt es unter dem runden Dutzend der Fischmehlfabriken noch eine ganze Reihe dieser uralten Anlagen zur Fischmehlproduktion.
»Fischmehl ist das Silber von Chimbote«, heißt ein alter Slogan. Darüber können die Bewohner von Vierteln wie Florida Baja nur bitter ­lachen.
Von dem Reichtum des Meeres vor der peruanischen Küste haben die einfachen Leute nichts, sie kennen nur den Gestank der Fischmehlproduktion: den Rauch, der – gesättigt mit feinen Fischmehlpartikeln – das Leben in den Stadtvierteln unerträglich macht, und die Abwässer, die ungeklärt in die einst schöne Bucht der Stadt geleitet werden. Die Bucht liegt unterhalb der einfachen Häuser von Florida Baja. Hier haben sich viele Menschen in den vergangenen 30 Jahren angesiedelt. »Die kamen, weil aus dem einfachen Fischerdorf die Fischmehlmetropole Perus wurde. Hier gab es eben Arbeit«, sagt Rómulo Loayza Aguilar. Der Biologieprofessor von der Universität Chimbote, das heute rund 350 000 Einwohner zählt, kommt regelmäßig nach Florida Baja, um sich ein Bild der Situation rund um die Bucht zu machen.

Die Bucht war einst bekannt für ihre Schönheit. Vor dem Ausgang der mit weißem Sandstrand versehenen Bucht liegt ein prächtiger weißer Felsen, auf dem sich einst Meeresvögel und Seelöwen vergnügten. In den fünfziger Jahren war das. Danach begann die Fischmehlproduktion damit, alle Abwässer in die Bucht einzuleiten. »Blutige Abwässer aus der Fischmehl- und Konservenproduktion, aber auch aus dem nahe gelegenen Bergbau und den Haushalten«, erklärt Aguilar. Die Folgen sind verheerend. »Die Bucht ist klinisch tot, eine Kloake, deren Grund von einem dicken Teppich aus Fischresten und Exkrementen bedeckt ist.« Rostige Rohre ragen heute aus dem schmutzigen grauen Sand. Hier und da schimmern Fischschuppen auf dem von Öl glänzenden Untergrund. Ein dünnes bräunlich-rotes Rinnsal fließt in die Bucht, der beißende Geruch nach altem Fisch dringt in die Nase. Weiter draußen in der Bucht dümpelt die Flotte der Fischkutter. »Rund 600 Kutter sind hier im Einsatz, die zu bestimmten Zeiten immense Mengen der kleinen Fische aus dem Meer ziehen«, erklärt der Biologieprofessor. Mit Hochdruck wird in Chimbote ausgebeutet, was die Natur zu bieten hat. Dass die kleinen Fische in der Nahrungskette fehlen und größere Edelfische immer öfter vom ungeliebten Nachbarland Chile importiert werden müssen, interessiert in Chimbote nur wenige, am allerwenigsten die Eigentümer der rund 40 Fischmehl­fabriken der Stadt.
Über 1,5 Millionen Tonnen des Tiermehls verließen 2008 die peruanischen Häfen, das Gros in Richtung China, aber auch in Europa, etwa in Deutschland, wird der Inhalt der 60-Kilogramm-Säcke in der Tiermast verwendet. Nicht nur im Kälberstall, sondern auch in der Lachszucht und im Hühnerkäfig wird das Mehl benutzt. Vor allem in den Lachsfarmen kann man kaum mehr darauf verzichten. Fünf Kilo Mehl ergeben ein Kilo Zuchtlachs, lautet die Faustregel. Aus Sicht der Ernährungsexperten der FAO, der UN-Orga­nisation für Ernährung und Landwirtschaft, ist das eine maßlose Verschwendung, denn nicht nur in Peru leiden viele Menschen unter Proteinmangel. Eine Tatsache, die in Lima gern verschwiegen wird. Was zählt, sind die harten Dollars, die mit dem Mehl zu machen sind. »Dafür wird ordentlich getrickst. Auch werden schon mal Fangquoten ignoriert, Schiffe umgebaut oder Peilsender manipuliert«, sagt Jesús Butron. Er besitzt mehrere Kutter und kennt sich im Geschäft gut aus. »In Peru denkt kaum ein Unternehmer an die Zukunft. Es wird hemmungslos ausgebeutet«, kritisiert Butron, der für ein vernünftigeres Wirtschaften eintritt. Mit dieser Ansicht ist er recht einsam unter den Fischindustri­ellen von Chimbote. Doch auch den Funktionären des Fischereiverbandes SNP ist klar, dass es nicht ewig so weitergehen kann wie bisher.

Die Proteste gegen den Raubbau und die Verpestung von Luft und Wasser nehmen zu. Straßenblockaden der Einwohner von Florida Baja und anderen Stadtvierteln gegen die rußenden alten Fabriken hat es ebenso gegeben wie Kampagnen für die Wiederherstellung der Bucht El Ferrol. Als mahnende Stimme gegen die Umweltverschmutzung hat sich dabei María Elena Foronda in den vergangenen 20 Jahren einen Namen gemacht. 1989 gründete sie die Umweltorganisation Na­tura, erhielt für ihre Arbeit mehrere internationale Preise und bildet heute, gemeinsam mit anderen Experten, »Umweltbeobachter« aus. Deren Aufgabe ist es, zu kontrollieren, was rund um die Fabriken passiert. Sie messen, nehmen Proben, um zu beweisen, was letztlich alle wissen: »Die Umweltbelastung ist extrem, und die Gesundheitsrisiken in der Nähe der veralteten Fabriken sind immens«, sagt Foronda. Das bestätigten auch Ärzte wie Ramon de la Cruz Castillo. Vor allem Erkrankungen der Atemwege, Augen und Haut werden in direkter Umgebung der alten Fischmehlfabriken in deutlich höherer Zahl registriert, sagt der Mediziner. Das bestätigen auch die Menschen in Florida Baja. Erica und Pati wohnen direkt gegenüber von einer der Fabriken. »Unter der Tür durch und durch die Fenster dringt der Rauch in die Räume, wenn produziert wird«, erzählen die beiden 19jährigen, die noch bei ihren Eltern wohnen. Die Produktion findet vor allem abends statt, und da die Schornsteine sehr niedrig sind, verbreitet sich der Rauch im gesamten Viertel. »Die Wäsche braucht man dann gar nicht mehr von der Leine zu nehmen, sie stinkt dann wie Hölle«, sagt Elisabeth Cardenas, die in der Straße San Martín lebt, umgeben von gleich drei Fischfabriken. »Wir haben hier alle mit Atemwegserkrankungen zu kämpfen, und mein Sohn Luigi hat Hautprobleme. Sehen Sie die schwarzen Flecken im Gesicht und die Pigmentflecken auf dem Rücken?« fragt die Mutter dreier Kinder. Sie will, dass die Fabriken aus den Wohnvierteln verschwinden. Sie unterstützt die Proteste der Bewohner, die langsam Erfolg zu haben scheinen.
Die Probleme kennt auch die Stadtverwaltung von Chimbote. Dort traute man sich jedoch lange nicht, gegen die starke Lobby der Fischkonserven- und Fischmehlindustrie vorzugehen, die immer wieder die Arbeitsplätze in der Branche ins Feld führt, kritisiert María Elena Foronda. Doch die Hartnäckigkeit, mit der die Umweltschützerin an Türen klopft, Kampagnen macht und aufklärt, scheint sich langsam auszuzahlen.
»Nun sollen die Fischmehlfabriken endlich raus aus den Wohnvierteln, ins Industriegebiet umziehen und obendrein an eine zentrale Abwasserleitung angeschlossen werden«, freut sie sich. »Bis Ende Dezember haben die Unternehmen Zeit, ins Industriegebiet umzuziehen«, sagt sie. Das sieht eine Verordnung vor, die von der Stadtverwaltung auf den Weg gebracht wurde. Demnach werden die Unternehmen der Branche dazu angehalten, in moderne Technik zu investieren. Der Umzug veralteter Anlagen sei ausgeschlossen, betonte Victoria Espinoza García, Bürgermeisterin des Provinzrates, gegenüber der peruanischen Tageszeitung El Comercio. Zudem sollen die Unternehmen an eine zentrale Abwasserleitung angeschlossen werden, die weit draußen im Meer enden soll. Eine überfällige Entscheidung, denn in anderen Fischereistädten des Landes ist man längst weiter. So hat man in Pisco bereits vor Jahren eine Ringleitung gebaut, alle Fabriken daran angeschlossen und die Abwässer per Pipeline weit draußen im Meer verklappt.
Dem Beispiel will auch Chimbote folgen, statt eine leistungsfähige Kläranlage zu bauen und mit dem Abwasser noch Geld zu verdienen. »Es gibt kein wirklich ausgereiftes Verfahren, deshalb haben wir auch für Chimbote beschlossen, eine Pipeline ins Meer zu legen und die grob gereinigten Abwässer ins Meer zu pumpen«, erklärt Richard Inurritegua Bazán vom Fischereiverband SNP. Leistungsfähige Kläranlagen wären auch Rómulo Loayza Aguilar lieber, denn so »könnte man die Bucht entlasten«. An deren Reinigung ist ohnehin kaum mehr zu denken, denn der dicke Bodensatz am Grund müsste letztlich ausgebaggert werden. »Dafür bewilligt in Peru doch niemand Geld«, ist sich Aguilar sicher. »Hier herrscht eine umweltpolitische Gesetz­losigkeit, es wird gnadenloser Raubbau betrieben.« Dieser sei jedoch nicht nur aus umweltpolitischer, sondern auch aus ökonomischer Perspektive fahrlässig, argumentiert der Deutsche Michael Betz. »Es wäre technisch möglich, Öl und Fischpartikel aus dem Wasser zu extrahieren und damit Geld zu verdienen«, erklärt er.
Im Fischereihafen von Pisco, dem zweitgrößten nach Chimbote, hat er bis vor zwei Jahren eine Anlage zur Klärung der Abwässer aus der Fisch­industrie betrieben. Derzeit plant er eine Kläranlage für eine Konservenfabrik in Paita. »Grundsätzlich ist es möglich, die Wertstoffe aus dem Wasser zu holen. Das würde sich auch lohnen, wenn man die Rahmenbedingungen modifizie­ren würde«, sagt er. Dazu wäre es nötig, dass in den Fabriken kontinuierlich produziert wird. Genau das ist aber nicht der Fall, denn derzeit wird nur an rund 60 Tagen im Jahr gefischt. Zu festgesetzten Fangzeiten laufen die Kutter aus, um die vom Ministerium ausgesetzte Quote zu fischen. »So lässt sich jedoch kein Klärwerk ökonomisch betreiben, denn die Bakterien springen nicht auf Knopfdruck an und beginnen zu arbeiten«, bringt Betz das zentrale Problem auf den Punkt.

Am Procedere wird das zuständige Produktionsministerium vermutlich nichts ändern, weshalb Betz lieber an die Konservenunternehmen in Paita herangetreten ist. Dort wird das ganze Jahr produziert und nicht nur einige Wochen. »Die eingeschränkte Produktionszeit ist auch der zentrale Grund, weshalb intelligente – sich quasi selbst finanzierende – Entsorgungskonzepte für Chimbote bisher nicht vorliegen«, klagt María Elena Foronda. Umweltschutz soll in Peru nichts kosten, meint sie. Nur zu gut weiß sie, dass die Fisch­lobby längst hinter den Kulissen agiert, um Stimmung gegen die Umsiedlungspläne zu machen. »Arbeitsplätze würden verloren gehen, da nicht alle Unternehmen den Umzug stemmen könnten, heißt es«, sagt sie. »Dabei schafft der Umzug durchaus Arbeitsplätze, denn es muss in neue Anlagen investiert werden. Und letztlich ist es doch nicht zu begründen, warum man komplett veraltete Unternehmen zu Lasten der Nachbarn weiter produzieren lässt, oder?«
Die zu »Umweltbeobachtern« ausgebildeten Anwohner registrieren nun alles, was sich rund um die Fabriken von San Mar und Santa Adela und Co. tut. Beide Fabriken haben gerade einen Aufschub für den Umzug erwirken können und müssen nun erst im Juni 2010 aus Florida Baja verschwunden sein. Ein letzter Aufschub, hofft Inga Peña. »Sonst müssen wir wieder anfangen, die Panamericana zu blockieren«, sagt sie mit einem Lächeln. Mehrfach sind die Frauen mit ihren Kindern aus dem Stadtviertel losgezogen, um auf die verheerende Gesundheitssituation aufmerksam zu machen. Die ist längst landesweit bekannt, und viele Peruaner fassen sich vielsagend an die Nase, wenn das Gespräch auf Chimbote kommt. Das soll nun aufhören.
Neue Anlagen produzieren nämlich kaum Emissionen, wie das Beispiel der Pacific Central zeigt. Dort lassen die Manager Besucher schon einmal hinter die Fabriktore gucken, weil es nichts zu verbergen gibt. Moderne Technik filtert auch die letzten Fischfasern aus der warmen Abluft der Dampfkammern, in denen der Fisch getrocknet wird. »Produktionsbedingungen, die wir uns für die gesamte Branche wünschen«, erklärt Rómulo Loayza Aguilar.
Der Biologe würde es allerdings auch begrüßen, wenn die Stadt endlich ein Abwasserkonzept entwickeln würde. »Wir verbauen uns zahlreiche Zukunftsoptionen. So ist zum Beispiel an Tourismus gar nicht zu denken.« Darüber kann auch Inga Peña nur herzhaft lachen: »Wer will denn in die Stadt der stinkenden Fische fahren? Ist es überhaupt sinnvoll, kleine Fische zur Aufzucht von Huhn, Kalb, Lamm, Lachs und anderen Edelfischen zu pulverisieren? Die FAO hat der peruanischen Regierung schon vor Jahren empfohlen, die nahrhaften Fische für die Versorgung der eigenen Bevölkerung mit Proteinen zu verwenden.«