Islamic Banking und Krise

Fromme Blase

Islamic Banking ist keine krisensichere Alternative für den Finanzmarkt. In der Dubai-Krise haben auch Schuldverschreibungen nach islamischen Grundsätzen den Nimbus der Unverwundbarkeit verloren.

Das bisher beispiellos boomende Emirat Dubai dürfte die längste Zeit zu den Wirtschaftswunderländern der Golfregion gehört haben. Nachdem vor zwei Wochen bereits die Bitte der Regierung um einen Zahlungsaufschub für fällige Raten ihres Staatsunternehmens Dubai World den Anlegern schockartig klargemacht hatte, dass es ernsthafte Probleme gibt, brachen am Montag voriger Woche die Börsenkurse ein. Kurz nach ­ihrer Öffnung sackten sie in Dubai um mehr als sieben Prozent ab; der Index in Abu Dhabi verlor sogar mehr als acht Prozent. Am stärksten verloren die Aktien von Immobilienfirmen, Telekommunikationsunternehmen und der Energie­branche. Das Bauunternehmen Nakheel, Teil der um Zahlungsaufschub bittenden Dubai World, deren Zahlungsschwierigkeiten die Krise maßgeblich heraufbeschworen hatten, hatte schon vor Börsenöffnung in Dubai das Aussetzen von Transaktionen mit seinen islamischen Schuldverschreibungen beantragt.
Damit ist die Finanzkrise auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten angekommen. Zwar waren sie bereits vom Platzen der Immobilienblase vor einem Jahr mitbetroffen, hatten aber die Erschütterungen auf den internationalen Finanzmärkten bisher scheinbar relativ gut verkraftet. Ein besonderer Schock dürfte es für viele Anleger in der islamischen Welt gewesen sein, dass neben herkömmlichen Finanztiteln auch Schuldverschreibungen nach islamischen Grundsätzen, die in den vergangenen Monaten verstärkt als krisensichere Alternative zur westlichen zinsbasierten Bankwirtschaft propagiert worden waren, sich ebenfalls im freien Fall befinden und damit ihren Nimbus der Unverwundbarkeit schlagartig verloren haben.

Noch vor kurzem erschien islamisches Banking vielen Geschäftsleuten als ethisch vertretbare und ökonomisch risikolosere Variante von Finanzprodukten. Das »5. World Islamic Economic ­Forum« hatte im Frühjahr noch beträchtliche Chancen in der Krise für Alternativen auf den ­Finanzmärkten gesehen. Verschiedene islamische Institutionen hatten sich gar zu der Behauptung verstiegen, die Krise wäre gar nicht möglich gewesen, wären die Grundsätze der Sharia zur Anwendung gekommen. Sogar der Vatikan entdeck­te die vermeint­lichen Vorteile des Sharia-konformen Bankwesens. Der Osservatore Romano forderte im März die westlichen Banken auf, von den islamischen In­stituten zu lernen. »Islamic Finance kann zu neuen Regeln in der westlichen Finanzwelt beitragen«, schrieb die Zeitung, die immerhin das publizistische Sprachrohr des Vatikan ist.
Noch am 7. November hatte der Zentralrat der Muslime in Deutschland einen baldigen Boom für Bankgeschäfte nach islamischem Recht in Deutschland prophezeit. »Es wird nicht mehr lange dauern. Die Kuveyt Türk Beteiligungsbank, die im nächsten Jahr in Deutschland ihre Geschäftstätigkeit aufnehmen will, wird nur der Anfang sein. In zwei bis drei Jahren wird es richtig los gehen«, sagte der beim Zentralrat für die Zertifizierung islamischer Finanzprodukte zustän­dige Ökonom Michael Gassner.

Islamic Banking hatte bisher auch auf europä­ische Anleger eine wachsende Anziehungskraft. Das Zentrum der Islamic-Banking-Aktivitäten in Europa ist London, wo es heute fünf islamische Banken und weitere 20 bekannte Großbanken gibt, die islamische Abteilungen eröffnet haben, was bei einer jährlichen Wachstumsrate von 15 Prozent auch kaum verwunderlich ist. »Das gesamte islamische Anlagevermögen von 300 In­stituten weltweit übersteigt heute mehr als eine Billion Dollar«, gab Mohammed Kamal von der Bank of Malaysia an. »Fünf Mal so viel, wie noch vor fünf Jahren, Tendenz steigend.« Schließlich gebe es 1,5 Milliarden Muslime in der ganzen Welt, wenn man davon nur zwei oder drei Prozent als Kunden betrachte, habe man ein großes Zielpublikum.
Nakheel Properties, Teil des kriselnden Staatskonzerns Dubai World, hat mehrere Sukuk-Anleihen, bei denen keine Zinsen gezahlt werden, auf dem Markt. Die nächste Fälligkeit mit einem Volumen von 3,52 Milliarden Dollar ist am 14. Dezember. Ein endgültiger Ausfall wäre der größte auf dem Markt für islamische Anleihen. Der Arabienexperte Luis Costa von der Commerzbank hält einen kompletten Staatsbankrott Dubais zwar für unwahrscheinlich, eine Pleite von Nakheel stehe aber bevor. Die Schweizer Großbank UBS sieht hingegen keine große Gefahr für die Gläubiger. Sie erwartet, dass die Vereinigten Arabischen Emirate einen Zahlungsausfall von Nakheel verhindern werden.
Nun beginnen die Verhandlungen. Um dem islamischen Zinsverbot zu begegnen, bekommen Investoren bei einem Sukuk statt der Zinseinnahmen Einkünfte aus realen Vermögenswerten. Ein Assetpool wird an eine Zweckgesellschaft übertragen, die dann die Anteilsscheine verkauft. Am Ende der Laufzeit wird der Pool dann wieder zurückgekauft und die Investoren werden ausbezahlt. »Das Problem ist jetzt, dass Dubai nicht das Geld hat, das Portfolio zurückzukaufen«, erklärte Tomas Prüm von der Kanzlei Linklaters. »Dann muss man irgendwann in die Verwertung des Portfolios gehen.«

Es gibt konservative muslimische Kräfte, die Sukuks als nicht Sharia-konform ansehen, weil die Risiken unterschiedlich aufgeteilt werden. Während muslimische Finanziers etwa in Malaysia allgemein als eher liberal gelten, verfolgen ihre Kollegen in den arabischen Golfstaaten eine konservativ-fundamentalistische Linie, wie Rainer Scholz in einem Hintergrundbeitrag für den Deutschlandfunk kürzlich feststellte. Aber auch in den südasiatischen Ländern steigt der Einfluss der Konservativen. Erst 2007 sei in Malaysia der bis dahin florierende Markt islamischer Anleihen über Nacht zusammengebrochen, weil ein Rechtsgelehrter befand, 85 Prozent der Papiere seien nicht Sharia-konform. Die Investoren bleiben Fremdkapitalgeber und sind damit am Risiko normalerweise nicht beteiligt. Sollte die Krise in Dubai sich ausweiten, würde dies vermutlich die konservativen Kräfte auch des islamischen Finanzwesens stärken. Deren Geschäftsgebaren ist deutlich zurückhaltender. So kann etwa davon ausgegangen werden, dass die Großprojekte der vergangenen Jahre in Dubai so nicht hätten rea­lisiert werden können, weil nach den Regeln der strengeren Sharia-Auslegung niemand das Risiko hätte eingehen wollen. Gewinnen die Kritiker, wird es den Sukuk-Markt nicht mehr geben, stattdessen werden andere islamische Finanzierungsstrukturen wie Mudarabah, eine Art stille Beteiligung, an Bedeutung gewinnen.
Die Vorstellung, islamisches Banking sei krisensicher, ist jedenfalls eine Fiktion, die schon vor dem Bröckeln der Liquidität Dubais nicht sonderlich weit trug. Der Boom islamischer Banken ist in den Ländern am Golf direkt mit dem Bauboom verknüpft, wie Alfred Hackensberger bereits vor einem Jahr im Internet-Magazin Telepolis feststellte. Investitionen in Immobilien erzielten in den vergangenen Jahren stets hohe Gewinne und stellen eine liquide Absicherung der islamischen Fonds dar. »Das islamische Bankwesen, das in den letzten 18 Monaten kaum von der Krise berührt wurde«, zitierte er in seinem Beitrag Daniel Marx von der Europäischen Islamischen Investment Bank, »könnte in einer zweiten Welle getroffen werden.« Bei den zurzeit sinkenden Ölpreisen könnte ein Liquiditätsproblem entstehen, oder es könnten auch einfach die Werte der Immobilien sinken. Denn der Boom im Bau­sektor könne nicht unaufhaltsam weiter gehen.
Dieser Punkt scheint nun erreicht zu sein. Und damit dürfte auch die von Hackensberger ein halbes Jahr später in einem Artikel für die Welt geäußerte Behauptung, auf der Basis Sharia-konformen Bankings hätte es die Immobilien­krise in den USA nicht gegeben, endgültig Geschichte sein. Statt Geld zu verleihen, hätten die islamischen Banken das Haus ganz oder zu 80 Prozent gekauft. Der Kunde hätte dann jeden Monat Raten bis zur vollkommenen Tilgung ­gezahlt. Überschusszahlungen wären nicht als Zinsen, sondern als Kompensation für die Wertsteigerungen angesehen worden, so die idealtyp­ische Darstellung.
»Ein anderer entscheidender Faktor der Krise war der Bankhandel mit nicht vorhandenem Vermögen«, zitierte Hackensberger Steven Amos von der Islamic Bank of Britain. »Die konventionellen Banken wussten oft nicht, was sie da kauften, ob es dafür ein reales Vermögen oder Einlagen gibt. Wir dagegen müssen zuerst die Einlagen besitzen, bevor wir Geschäfte machen können.« Außerdem habe seine Bank kein Geld an andere Institute verleihen können und dürfen. Kredite in Milli­ardenhöhe, die nicht gedeckt waren, hatten Investmentbanken wie Lehman Brothers zu Fall gebracht. Der Haken daran ist zum einen, dass der verpönte Zins lediglich unter anderem Namen natürlich trotzdem erhoben wird, sonst würde das ganze Geschäft für die beteiligte Bank ja seinen Sinn verlieren. Und zum zweiten basiert ein solches Modell auf der Vorstellung stetig steigender Immobilienpreise – eine Blase, die irgendwann einfach platzen musste.

Noch schwerer wiegt die Tatsache, dass die weltweite Finanz- und Immobilienkrise nicht einfach Ergebnis irgendwelcher Spekulationsblasen ist und irgendwann auf die »Realwirtschaft« übergreift, sondern umgekehrt die Konsequenz einer langfristigen strukturellen Überproduktions- und Überakkumulationskrise des kapitalistischen Weltsystems ist. Und dagegen hilft auch die Sharia nicht, weil die Krise der Produktion und der Kapitalverwertung eben nicht durch Finanzialisierung in welcher Form auch immer gelöst wird.
Noch eine weitere, auf den ersten Blick eher unerwartete Verliererin könnte es bei der Dubai-Krise geben, falls diese sich weiter ausweitet: die Deutsche Bank. Denn diese verfügt über eine recht rührige Islamic Banking-Abteilung und ist mit ihrer Filiale in Abu Dhabi sehr aktiv in diesem Sektor. Durch die von dort aus gesteuerten Geschäfte ist sie zu einem der weltweit größten Emissionäre von Sukuk-Anleihen geworden, wie ihr Sprecher Frank Hartmann gegenüber der Nürnberger Zeitung bereits Anfang April bestätigte. Über die Größenordnung wollte er jedoch keine genaueren Angaben machen.
Ähnliches gilt für die Information, dass die Deutsche Bank als einer der großen Kreditgeber für islamische Banken weltweit gilt. Dass dies so ist, bestätigt der Sprecher ebenso wie das Engagement am europäischen Top-Standort für Islamic Banking in London, wo die Deutsche Bank sogar ein Forschungsinstitut für Islamic Banking mitfinanziert. Man beeilte sich bei der Deutschen Bank zwar zu versichern, von der Liquiditätskrise bei Dubai World nicht betroffen zu sein, verweigerte aber jeglichen weiteren Kommentar. Es wird sehr spannend werden, in den kommenden Monaten zu beobachten, welche Auswirkungen der teilweise Zusammenbruch des Finanz- und Immobilienbooms in den Vereinigten Arabischen Emiraten auf das Islamic Banking insgesamt haben wird.