Propaganda mit Nasenverband. Das arme Opfer Berlusconi

Den Seinen gibt der Herr eins auf die Nase

Den Kampf gegen widerspenstige Frauen hat der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi verloren. Nun will er den Angriff Massimo Tartaglias nutzen, um seine Macht zu festigen.

Der Schuss wurde aus kurzer Entfernung abgegeben. Er wäre tödlich gewesen, wenn sich der Duce nicht im letzten Moment umgedreht hätte. So streifte der Revolverschuss, den die Attentäterin Violet Gibson im April 1926 auf Benito Mussolini abfeuerte, den faschistischen Diktator zwar im Gesicht, verletzte ihn aber nur leicht an der Nase. Silvio Berlusconi hat es vor zehn Tagen schlimmer erwischt. Eine aus kurzer Distanz geworfene Miniatur des Mailänder Doms traf ihn mit voller Wucht. Der italienische Ministerpräsident kam mit einem gebrochenen Nasenbein, einer aufgeplatzten Lippe und zwei ausgeschlagenen Zähnen ins Krankenhaus.
Massimo Tartaglia, der 42jährige Angreifer, wurde sofort festgenommen, obwohl ihn die aufgebrachten Anhänger Berlusconis gerne selbst gerichtet hätten. Der Mann wird als psychisch Kranker bezeichnet, im Mailänder Untersuchungs­gefängnis steht er unter neuropsychiatrischer Beobachtung. Seine Anwälte haben ihn einen Entschuldigungsbrief schreiben lassen, in dem er sich von der Tat distanziert. Noch vom Krankenbett aus verkündete Berlusconi, dass Liebe immer stärker sei als Neid und Hass. Tartaglia darf deshalb auf mildernde Umstände und baldige Vergebung hoffen.

Mussolini war seinerzeit gegenüber seiner Attentäterin weniger nachsichtig. Dass es eine Frau gewagt hatte, den Duce anzugreifen, war für das faschistische Regime ein Skandal. Violet Gibson wurde verhaftet, für geisteskrank erklärt und bis zu ihrem Tod in eine geschlossene Anstalt gesperrt. Männer konnten in den zwanziger Jahren Frauen, die ihnen zu renitent erschienen, noch auf diese Weise loswerden. Auch seine erste Frau, Ida Dalser, ließ Mussolini in eine psychiatrische Anstalt einweisen, als sie sich weigerte, über ihre frühe Ehe mit dem Diktator Stillschweigen zu bewahren.
Für Berlusconi war es in diesem Jahr nicht so einfach, sich die Frauen, die ihm die Maske des unwiderstehlichen Verführers vom Gesicht gerissen und ihn als alternden Freier bloßgestellt hatten, mundtot zu machen. Die Zeitungen, die er selbst finanziert, versuchten es zunächst nach dem traditionellen Muster. Seine Ehefrau Veronica Lario wurde, nachdem sie in einem öffentlichen Brief ihre Scheidungsabsichten bekannt gegeben und das von ihrem Gatten eingerichtete Tauschsystem aus Sex, Geld und Macht öffentlich gemacht hatte, als »kapriziös« und »launenhaft« beschimpft. Einer der Chefredakteure sprach die alte Drohung offen aus: »Ich hätte mich an der Stelle der Signora anders verhalten, allein schon um die Gefahr einer Zwangseinlieferung in eine psychiatrische Klinik zu vermeiden.«
Gegenüber Patrizia D’Addario, einer Prostituierten, die an den von Berlusconi veranstalteten Haremsfesten teilnahm und Tonbandmitschnitte aus ihrer Liebesnacht mit dem Präsidenten veröffentlichte, traten seine Vasallen aggressiver auf. D’Addario wurde der Lüge bezichtigt, jeder ihrer öffentlichen Auftritte von Polemiken begleitet: Was gilt schon das Wort einer Hure im Vergleich zu den Unschuldsbeteuerungen eines Ministerpräsidenten? Schließlich drohte ihr der Regierungschef auf einer Pressekonferenz offen mit einer mehrjährigen Gefängnisstrafe wegen Verleumdung. Doch die patriarchale Ordnung, in der eigensinnige Frauen als »Hysterikerinnen« unter staatliche Aufsicht gestellt werden konnten, ist aus den Fugen geraten. Die beiden Frauen ließen sich durch die Hasstiraden des in seinem Selbstwertgefühl verletzten latin lover nicht einschüchtern: Lario hat inzwischen die Scheidung eingereicht und fordert mehrere Millionen Euro Unterhalt, während D’Addario ihre Geschichte Ende November in einem Buch veröffentlicht hat.
Den Geschlechterkrieg gegen die Ehefrau und die ehemalige Mätresse hat Berlusconi verloren. Die Strategie seiner Verteidiger, seine Tauschgeschäfte mit Sex gegen Geld und Macht zur Privatsache zu deklarieren, ist gescheitert. Der Ministerpräsident selbst kann die Unterscheidung zwischen Privatem und Öffentlichem nicht durchhalten, die Vermischung beider Bereiche ist für seine Politik geradezu charakteristisch.

Berlusconi weiß, dass sein Image durch die Skandalgeschichten Schaden erlitten hat, deshalb muss er (sich) beweisen, dass er noch ein »echter Mann« ist. In der Woche vor dem Anschlag versicherte er seinen Kollegen auf dem Kongress der Europäischen Volkspartei, »große Eier« zu haben, seine Potenz reiche aus, den Kampf gegen das politisch-juristische Komplott zu gewinnen.
Für Mussolini markierte das Attentat im Jahr 1926 den Beginn seiner unbeschränkten Herrschaft. Im Namen der inneren Sicherheit wurde eine Reihe von Ausnahmegesetzen verabschiedet, die so genannten fascistissime. Die Diktatur konsolidierte sich. Auch Berlusconis Ministerriege versteht es, den Angriff propagandistisch zu nutzen. Seit Tagen beschwört sie das Phantasma der »bleiernen Zeit«. Der Angriff sei ein »Terrorakt«, die logische Folge eines »unerträglichen Klimas des Hasses«, das heute wie damals von »bösen Lehrmeistern« geschürt werde. Es sei kein Wunder, dass ein psychisch labiler Mensch zur Waffe greife, wenn der Ministerpräsident monatelang als »Verführer Minderjähriger«, als »Bestecher«, »Steuerhinterzieher« und »Mafioso« verleumdet werde.
Der Propaganda fehlt jedoch der einstige Gegner, denn es gibt keine starke linke Bewegung mehr. Dass gelegentlich Schlagwörter der siebziger Jahre an eine Universitätswand gesprüht werden, spricht eher für die verzweifelte Hilflosigkeit als für die subversive Präsenz von anarchistischen oder autonomen Gruppierungen. Die »moralischen Anstifter«, die von der Regierung für den Angriff auf Berlusconi »mitverantwortlich« gemacht werden, sind keine Extremisten, sondern liberale Oppositionspolitiker und Journalisten sowie Staatsanwälte und Richter, die auf der Unabhängigkeit der Judikative bestehen.

Jede Kritik gilt nunmehr als »Anstiftung zur Gewalt«. Die hauseigenen Tageszeitungen des Medienunternehmers Berlusconi sprechen unverhohlen von »verfassungsrechtlichen Auftraggebern«, das zielt auf alle politischen Institutionen, die sich dem Anspruch des Ministerpräsidenten auf uneingeschränkte Alleinherrschaft widersetzen.
Über die Vergleichbarkeit des Berlusconismus mit dem Faschismus haben die italienischen Linken in der Vergangenheit viel diskutiert. Berlusconi nutzt derzeit die historische Parallele zu seinem Vorteil, er kennt die Macht der Bilder. Der Duce präsentierte damals das Pflaster auf seiner Nase als konkreten Beweis seiner Unbesiegbarkeit, er war der Mann, den die göttliche Vorsehung schützte. Berlusconi erklärte unmittelbar nach dem Angriff, er fühle sich »wie durch ein Wunder gerettet«. Beim Verlassen des Krankenhauses zeigte er sich mit einem ähnlichen Nasenverband wie einst Mussolini. Die Botschaft ist angekommen, im Parlament hat der Fraktionsvorsitzende von Berlusconis Partei den »kalten Bürgerkrieg« ausgerufen. Immerhin verspricht die christlich-liberale Opposition, gegebenenfalls mit einer »demokratischen Volksfront« dagegenzuhalten.