Nazis in der Ukraine

Die Liebe zum Eigenen

In der Ukraine verbünden sich rechts­extreme Organisationen, die Zahl der rassistischen Übergriffe steigt.

»Ich kann keine einzige Kraft oder gesellschaftliche Bewegung in der Ukraine nennen, die für rassistische Prinzipien steht«, sagte der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko. Bei einem Treffen mit Repräsentanten nationaler Kultureinrichtungen Anfang Dezember sprach der Präsident von einzelnen rassistischen Vorfällen, mit denen sich der staatliche Sicherheitsdienst befasse. Auf keinen Fall würde rechte Gewalt von der Politik der Regierung begünstigt, vielmehr handele es sich um ein reines Alltagsphänomen.
In der Ukraine hat der Wahlkampf begonnen. Am 17. Februar 2010 finden Präsidentschaftswahlen statt, bei denen Juschtschenko den jüngsten Umfragen zufolge seinen Gegnern, dem Vorsitzenden der Partei der Regionen, Viktor Janukowitsch, und der Premierministerin Julia Timoschenko, unterliegen wird. Bei knapp über einem Prozent Zustimmung liegt ein Kandidat, der den nationalchauvinistischen Flügel des politischen Establishments repräsentiert: Oleg Tjagnibok, Anführer der Vereinigung Freiheit und seit 2006 Abgeordneter des Bezirksparlaments im westukrainischen Lviv.

Tjagniboks Freiheit propagiert die »Ukrainisierung« der Gesellschaft hinsichtlich der Sprache, der nationalen Symbolik und der christlichen Traditionen. Im April initiierte Tjagnibok die Aufstellung von Plakatständen in Lviv, die die angeblichen Verdienste der ukrainischen SS-Division »Galitschina« hervorhoben. Erst auf internationalen Druck hin verschwanden die Plakate wieder.
Seine Fraktion, die knapp über acht Prozent der Sitze innehat, beteiligte sich zudem an einer Initiative zur Freilassung des ukrainischstämmigen mutmaßlichen NS-Verbrechers Iwan Demjanjuk. Zu Beginn der Verhandlungen vor einem Münchner Gericht Ende November attackierte eine Gruppe »autonomer Nationalisten« das Gebäude der deutschen Botschaft in Kiew mit Rauchbomben. In einem Flugblatt sprachen sie Deutschland das Recht ab, über Demjanjuk zu richten, unter anderem mit Verweis auf das deutsche Militär in Afghanistan.
Dass Präsident Juschtschenko die nur regional populäre Organisation Tjagniboks als Randerscheinung einstuft, mag noch hinnehmbar sein. Doch sind die extreme Rechte und ihre Entwicklung in der Ukraine eigentlich unübersehbar. Mitte Mai schlossen sich fünf nationalistische Organisationen zur so genannten Sozial-Nationalistischen Versammlung zusammen. Etwa 100 Delegierte der Organisationen Patriot der Ukraine, Rod, Ruhm und Ehre, Volja und Ukrainische Alternative marschierten nach Beendigung des Gründungskongresses in militärisch anmutenden Uniformen durch die Straßen von Kiew.
Anders als Tjagniboks Freiheit oder die nach dem zeitweiligen Nazikollaborateur Stepan Bandera benannte Organisation Dreizack kann sich die Sozial-Nationalistische Versammlung auf eine Basis überwiegend im Osten der Ukraine berufen. Sie tritt für eine »monorassische und mononationale Gesellschaft« ein, die sich an den Prinzipien der »ukrainischen nationalen Größe und sozialer Gerechtigkeit« orientiert. Ihr Programm ist eindeutig: »Unser Nationalismus richtet sich am Rassenbegriff aus, ist sozial, großmachtsambitioniert, antisystemisch (antidemokratisch), selbstgenügsam, militant und kompromisslos. Die Ideologie des ukrainischen Sozial-Nationalismus baut auf Maximalismus, einen national-rassischen Egoismus, Liebe zum Eigenen, Intoleranz gegenüber allem Feindlichen und auf Aktivismus, der als eiserner Rammbock zum Zerschlagen der fremden Kraft geeignet ist, die der Ukrainischen Nation und der Weißen Rasse entgegentritt.«

Es bleibt nicht bei rechtsextremer Rhetorik. Lag die Anzahl der bekannt gewordenen rassistischen Gewalttaten im Jahr 2006 noch unter 20, waren es im Folgejahr bereits 86, davon fünf mit tödlichem Ausgang. Öffentliche Aufmerksamkeit erregen diese Taten selten. Eine Ausnahme war der Mord an dem Nigerianer Julius Esike in diesem Sommer. Er war Händler auf einem Kiewer Markt, der seit geraumer Zeit ein Angriffsziel rechtsex­tremer Organisationen ist und auf den bereits mehrere Brandanschläge verübt wurden. Erstmals reagierte die afrikanische Community, auf der Beerdigungszeremonie forderten 300 Menschen, den Rassismus im Land zu bekämpfen.
Esike starb nach Angaben der Miliz an den Folgen einer Schussverletzung durch eine selbstgebastelte Waffe, die Ermittler schlossen ein rassistisches Motiv von vornherein aus. Das ist typisch für das Vorgehen der ukrainischen Ordnungshüter. Setzen sich Opfer von Übergriffen zur Wehr, müssen sie selber mit einem Strafverfahren rechnen, wie der Nigerianer Daniel Osaemor. Er wurde im Januar 2008 von drei Männern angegriffen und mit einem Messer im Brustbereich verletzt, es gelang ihm dennoch zurückzuschlagen. Daraufhin wurden gegen ihn Ermittlungen wegen Hooliganismus eingeleitet. Auch bei diesem Angriff wollte die Miliz keine rassistischen Motive erkennen.
Kürzlich wurde zwar das Strafgesetz verschärft, rassistische Tatmotive sollen nun berücksichtigt werden. Doch zu einer Zunahme von Verurteilungen wird das nach Ansicht ukrainischer Bürgerrechtler kaum führen. Denn die bisherige Rechts­praxis zeigt, dass gültige Paragrafen selbst dann nicht angewendet werden, wenn die Beweislage eindeutig ist, also beispielsweise der Täter ein rassistisches Motiv gestanden hat.

Auch antifaschistische Gruppen sind rechter Gewalt ausgesetzt. Am 17. April griffen 15 rechtsex­treme Fußballhooligans fünf Antifaschisten an, unter den Angreifern befand sich auch Maxim Tschajka, aktives Mitglied der Organisation Ruhm und Ehre. Einer der zu Boden geworfenen Antifaschisten tötete Tschajka mit einem Messer. Der Fall schlug sofort hohe Wellen. Eine Reihe von Organisationen und Parteien machte für den Tod Tschajkas, den die Antifaschisten in einer Erklärung ausdrücklich bedauerten, prorussische Kräfte verantwortlich und entzogen sich damit einer Debatte über die Zunahme rechtsex­tremer Gewalt in der Ukraine. Ende November unternahmen ukrainische Antifaschisten in der Stadt Tschernigow dann erstmals den Versuch, eine Neonazidemonstration zu stoppen, allerdings ohne Erfolg.