Männer mit Kopftuch. Der Protest im Iran geht weiter

Märtyrer sind unerwünscht

Männer mit Kopftuch sind die neueste Herausforderung für das iranische Regime. Oppositionelle protestieren damit auch gegen die Geschlechterapartheid, die Bewegung radikalisiert sich.

Majid Tavakoli ist ein oppositioneller Student, der bereits längere Aufenthalte in den Gefängnissen der Islamischen Republik hinter sich hat. Er wusste wohl, was auf ihn zukommen würde, als er am 7. Dezember, dem »Tag der Studenten«, einem offiziellen Gedenktag, den die Opposition im Iran für ihre Proteste genutzt hat, auf dem Campus der Teheraner Amir-Kabir-Universität eine improvisierte Rede vor Kommilitonen hielt.
»Wenn wir nur ein Mikrofon bekommen, es gibt so viele Freunde, die in eurem Sinn alle die Diktatoren und Despoten in diesem Land erreichen wollen, um frei und klar zu ihnen zu sprechen. Um ihnen mitzuteilen, dass wir diesen Despotismus nicht länger ertragen.« Die Antwort der Umstehenden ist auf einem verwackeltem YouTube-Video deutlich zu hören: »Tod dem Diktator«, wohl der populärste Slogan der Proteste im Iran seit den Wahlen im Juni. Zunächst bezog er sich auf den angeblichen Wahlsieger Mahmoud Ahmadinejad, doch längst ist auch Ali Khamenei gemeint, der religiöse Führer und Nachfolger Khomeinis. Das ganze System wird damit nun per akklamatorischem Plebiszit abgewählt.
Majid Tavakoli ist noch beim Verlassen des Campus festgenommen worden. Umgehend wurde ein Bild veröffentlicht, das ihn mit gesenktem Blick in einem Tschador, einem Frauenumhang, zeigt. Mit dieser Verkleidung wollte er angeblich das Gelände der Universität verlassen. Die Repressionsorgane wollten Tavakoli bloßstellen und diskreditieren, sie lösten jedoch eine spontane Solidarisierung aus. Viele Iraner legten ebenfalls einen Schleier oder eine ähnliche Vermummung an und stellten die Bilder unter dem Motto »Wir sind alle Majid« ins Internet.

Es gibt ein Stadium der Zersetzung autoritärer Regimes, in dem von den Hütern der alten Ordnung mit sicherem Instinkt die verheerendsten symbolischen Entscheidungen getroffen werden. Das war schon bei der Französischen Revolution von 1789 so, 1979 im Iran war es nicht anders, und die derzeitigen iranischen Machthaber folgen dieser Tradion der anciens régimes. Denn sie können gar nicht anders, sie haben das Gefühl dafür verloren, wie die Bevölkerung reagiert.
Aber auch das ist nur die halbe Wahrheit, denn die Porträts der verschleierten Männer, grenzenlos per Internet übermittelt, tragen eine weitere Botschaft in sich. Sie ist so untergründig wie offenherzig subversiv für eine Welt der Geschlechter­apartheid. Diese iranischen Männer, die unter ihrem Schleier die Finger zum Siegeszeichen für die Kameras formen, geben mit ihrer Geste all die Verteidiger angeblich begeisterter Selbstunterdrückung, all die Apologeten von Kultur, Tradition und Religion der Lächerlichkeit preis.
Es war von Anfang an ermutigend, dass das iranische Regime bereits in den ersten Tagen der Proteste gegen die Wahlen im Juni den Kampf um die Bilder und Symbole verloren hat. Die vielen Fotos von Frauen, die Steine trugen, warfen und die Fäuste ballten, diskreditierten das Regime ebenso wie der mit einer Handykamera gefilmte Tod Neda Aga Soltans.
Die Politslogans der Islamischen Republik verhallen in ihrer Hauptstadt plötzlich ohne Resonanz. Auf das eingeübte »Tod für Amerika, Tod für Israel« haben die Demonstranten in den Straßen Teherans am Jahrestag der Besetzung der US-amerikanischen Botschaft – ein weiterer umgewidmeter Festtag – mit einem ironisch-entwaffnenden »Tod für Niemanden« geantwortet. Die offiziellen Zeremonien für ein »revolutionäres« Regime, das von seinen Massenaufmärschen lebte, sind zu Zitterpartien für die Machthaber geworden. Die ganze Symbolik der großen »Islamischen Revolution« wird immer mehr zur toten Staffage. Keine Neocons, keine Marschflugkörper haben sie zerstört, es waren geschminkte Frauen und junge Männer in engen Jeans.

Man kann die Verzweiflung der alten Garde spüren, wenn etwa ein Vertreter des religiösen Führers zetert, die Verwaltung des Archivs Ayatollah Khomeneis sei in den Händen von »Heuchlern«. Diese Institution wird von der Familie Khomeinis geleitet, staatstragender sollte es in der Islamischen Republik doch nicht mehr gehen. Aber die Sympathien der Verwandten des Staatsgründers liegen offen auf Seiten der Op­position.
Auch diese Spaltung war von Anfang an deutlich. Der Riss im Iran geht mitten durch das Establishment, das dadurch schlicht bewegungsun­fähig geworden ist. Das wird sein Schicksal besiegeln. Die offiziellen Verlierer der Wahlen vom Juni, Mir Hussein Mousavi und Mehdi Karroubi, selbst altgediente Repräsentanten des Regimes, sind aufgrund des Massenprotests über sich selbst hinausgewachsen und zu Symbolfiguren des Widerstands gegen ein »Putschregime« geworden. Im Grunde hat Ahmadinejad bloß den Machtkampf innerhalb des Establishments mit den üblichen Mitteln für sich entschieden, es war nicht der erste Wahlbetrug in der Geschichte der Islamischen Republik. Nur war man diesmal ein bisschen zu dreist, 24 Millionen Stimmen für Ahmadinejad, das war einfach zu viel.
Seitdem funktioniert im Machtgefüge des Iran nichts mehr. Man kann Karroubi von Schlägertrupps den Turban vom Kopf schubsen lassen, wie es seit dem Sommer mehrfach passierte, oder Mousavi am Verlassen seines Hauses hindern, wenn in Teheran demonstriert wird. Die beiden zu verhaften, hat das Regime bisher nicht gewagt. In der vergangenen Woche haben sich erneut die Drohungen gehäuft, sie nun endlich zu verhaften. Der Chef des Justizwesens, Sadegh Larijani, hat ominös verkündet, man habe nun genug Beweise gegen die »Anführer des Aufruhrs«.
Mit jeder weiteren Drohung, der keine Verhaftung folgt, bekennt das Regime seine Handlungsunfähigkeit und Schwäche. Es wäre aber auch längst sinnlos, sich Karroubis oder Mousavis zu bemächtigen. Denn der Protest hat sich von der Wut über den Wahlbetrug gelöst, er ist jetzt offen, was er am Anfang nur verdeckt war: Widerstand gegen das System der Islamischen Republik.
Es sind die Studenten, die derzeit stellvertretend die Systemfrage stellen. Seit den Demonstrationen am 7. Dezember ist kein Tag mehr ohne Meldungen von Protestversammlungen und Zusammenstößen an den iranischen Universitäten vergangen, trotz aller Relegierungen von Aktivisten, Verhaftungen und Einschüchterungen. Es sind keine Massenveranstaltungen, die den Bassij-Milizen ein Ziel bieten würden, es ist ein untergründiger Flächenbrand bis zum nächsten neu­ralgischen Datum. Längst gibt es einen Rhythmus der Demonstrationen, und er erinnert an die Zeit vor dem Sturz des Schahs.
Ahmadinejad ist nach der Wahl umgehend zu einer Belastung für das Regime geworden. Im Wirbel der ersten Protesttage verschwand der Präsident im Juni für Wochen faktisch von der po­litischen Bühne und wurde damit bereits zur Witzfigur. Dann gelang ihm nach der schwierigen Einsetzung seines Kabinetts, von dem man seither nichts Wesentliches gehört hat, ein scheinbares Revival. Ahmadinejad hatte zumindest seine Sprache wiedergefunden, große Reden folgten.

Doch im Iran mussten die begeisterten Massen mühsam zusammengekarrt werden, und selbst diese Bemühungen endeten zu oft in plötzlichen Terminänderungen, Absagen oder Photoshop-Einsätzen, um die lichten Reihen der Begeisterten auf den Fotos nachträglich etwas aufzufüllen. Erfolge feierte Ahmadinejad nur noch in Caracas bei seinem Verbündeten Hugo Chávez, mit aberwitzigen Auftritten vor der Uno oder beim Klimagipfel in Kopenhagen. Denn Ahmadinejad rettet nicht nur die Welt vor den Juden, sondern auch das Klima vor dem Kapitalismus. Daheim, das bezeugen Iraner, macht man nurmehr Witze über »diesen südamerikanischen Präsidenten«.
Auch in der Atompolitik läuft es nicht gut. Das Regime hat selbst die schon beinahe verzweifelten Vermittlungsangebote Mohammed El ­Baradeis ausgeschlagen, des jüngst verabschiedeten, den Iranern wohlgesonnenen Generaldi­rektors der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, ebenso wie die Avancen der aufmunternden Russen und die permanent ausgestreckte Hand des US-Präsidenten Barack Obama.
Langsam ändert sich die Stimmung. Ein in der britischen Tageszeitung Times vorige Woche lanciertes mutmaßliches iranisches Forschungsmemorandum über die Entwicklung eines Zündmechanismus für Atombomben, den man nicht mehr als ziviles Projekt verkaufen kann, ist da wohl nurmehr ein weiterer Anlass. Gezielte Sanktionen werden kommen, gerade im finanziellen Bereich und bei der Benzineinfuhr, und sie werden, auch wenn die Machthaber das standhaft leugnen, das Regime schwer treffen.
Da hilft es wenig, wenn man hochgemut verkündet, man werde die Zusammenarbeit mit der IAEA einschränken und nun zehn oder gar 20 zusätzliche Anreicherungsanlagen bauen. Selbst wenn das Regime die Kapazitäten und das Geld dafür hätte, die Zeit hat es nicht mehr. Also wird schnell eine neue Rakete nach der anderen getestet und als Wunderwaffe klassifiziert. Glaubte man den offiziellen Verkündungen, dann stünde der Iran militärisch unbesiegbar da. Aber diese Aura geben sich solche Regimes ja gerne, zumal wenn sonst nicht mehr viel bleibt, außer auf den nächsten Protesttag zu warten.
Der kam überraschend am Montag. Nach dem Tod des oppositionellen Ayatollahs Hussein Ali Montazeri versammelten sich in mehreren Städten Trauernde, in Qom waren es Hunderttausende, es kam zu Auseinandersetzungen mit Polizei und Milizen. Weitere Konflikte werden erwartet, denn am 18. Dezember hat der »heilige Monat Morraham« der Schiiten begonnen, der seinen Höhepunkt am 26. und 27. Dezember finden wird, im Gedenken an die Ermordung des Propheten­enkels Hussein. Wie wird das Regime mit diesem höchsten religiösen schiitischen Feiertag umgehen, der die gesamte Märtyrerideologie nicht zuletzt in Verbindung mit dem Bekenntnis zum Kampf gegen eine »ungerechte« Regierung symbolisiert? Absagen kann man den Feiertag nicht, Demonstrationen aber wird es geben.
Beruhigend bleibt, dass man den Demonstranten in Teheran und den anderen iranischen Städten nicht nachsagen kann, dass sie den Märyrertod suchten. Sie suchen alles mögliche andere, und auch das macht sie so sympathisch.