Über Flashmobs

Wir klatschen in die Hände und schreien »Yeah!«

Wer demonstrieren möchte, ohne zu wissen wofür oder wogegen, der organisiert einen »Flashmob«.

Wenn in Frankreich Studentenproteste stattfinden, besetzen Studierende und Lehrende, oftmals auch Professoren, gemeinsam ihre Universität und sorgen dafür, dass der Lehrbetrieb für die kommenden Wochen vollständig lahmgelegt wird. Ihre Aktionen finden nicht nur vielfach Unterstützung in der Bevölkerung, sondern werden von Großdemonstrationen begleitet, an denen regelmäßig andere Berufsgruppen, Arbeiter, Lehrer und Schüler teilnehmen. In Deutschland sprechen die Protagonisten des »bundesweiten Bildungsstreiks« bereits stolz davon, dass eine Universität »besetzt« sei, wenn ihnen das Präsidium einen »Freiraum« bewilligt hat, und »solidarisieren« sich nicht mit den Arbeitern, sondern mit deren Gewerkschaften. Statt der ordinären Großdemonstration, die mittlerweile eher als anachronistisch gilt, haben die Bildungsprotestler denn auch eine Aktionsform wiederentdeckt, die vor etwa sieben Jahren in den Vereinigten Staaten ins Leben gerufen worden ist und tatsächlich viel besser zu ihrem Anliegen und ihrer geistigen Disposition passt: den »Flashmob«.

Eigentlich sollte sich die positive Berufung auf das Wort »Mob« hierzulande unter aufgeklärten Menschen von selbst verbieten, aber der Anglizismus stellt offenbar eine Art Kindersicherung dar, die es dem Nachwuchs erlaubt, affirmativ auf das Wort zurückzugreifen. Wörtlich bezeichnet »Flashmob« einen sich blitzhaft und scheinbar spontan bildenden Massenauflauf. Wirklich spontan sind die damit beschriebenen Aktionen jedoch nicht. Vielmehr sind sie ein Produkt der neuen Massenmedien und der von ihnen geschaffenen Öffentlichkeit. Organisiert werden »Flashmobs« meist von Online-Communities, durch E-Mail-Kettenbriefe oder per Handy. Ihr Ziel ist es, innerhalb kurzer Zeit möglichst viele Menschen, die ­einander nicht kennen und durch kein gemeinsames Interesse verbunden sind, am gleichen Ort zu versammeln, um dort durch kollektive, gleichförmige und möglichst sinnlose Verhaltensweisen aufzufallen.

Die ersten »Flashmobs« standen in keinem politischen Zusammenhang und zeichneten sich durch provokative Inhaltsleere und Infantilität aus. So versammelten sich 2003 im Rahmen der ersten »Flashmob«-Aktion, die auf eine Initiative des Journalisten Bill Wasik zurückging, Massen zufälliger Konsumenten in einem New Yorker Kaufhaus, um einen »Liebesteppich« zu kaufen. Es folgten Burgerkaufaktionen, die kurzzeitig den Betrieb diverser McDonald’s-Filialen lahmlegten, sowie öffentliche Kissenschlachten und öffentliches Tanzen zu der gleichen Musik (»Mobile Clubbing«). Alle diese Aktionen haben einen ähnlichen Rahmen: Sie ereignen sich entweder in der Sphäre organisierten Massenkonsums, in Kaufhäusern oder Fast-Food-Restaurants, oder in der urbanen Öffentlichkeit. Alle nutzen sie die Tatsache aus, dass sich im großstädtischen Raum Menschen begegnen, die einander nicht kennen, nichts miteinander zu tun haben und doch ständig in Tuchfühlung miteinander sind. Ein »Flashmob« verfolgt das Ziel, aus diesem dispersen Massenpublikum für kurze Zeit eine homogene Gruppe wachsen zu lassen, die sich den anderen, nicht Dazugehörigen halb albern, halb aggressiv gegenüberstellt. Es geht also tatsächlich um die Möglichkeit der Konstitution des Mobs im Medienzeitalter, um mithilfe der Medien organisierte Bandenbildung.
Ironischerweise hat Bill Wasik, der als Erfinder des Begriffs gilt, rückblickend behauptet, es sei ihm bei seiner Idee gar nicht um neue Formen der Massenmobilisierung gegangen. Vielmehr habe er den Konformismus einer hippen Jugend denunzieren wollen, die sich für jeden Nonsens einspannen lässt, sofern er nur »irgendwas mit Medien« zu tun hat. Eine Art postdadaistisches Happening also, das kein neues Wir-Gefühl schaffen sollte, sondern im Dienst von Satire und Polemik stand. Ob dies nun wirklich die Absicht war oder nicht, sie hat keine Tradition ausbilden können. Im Gegenteil werden »Flashmobs« inzwischen vor allem im Milieu von Globalisierungskritikern und anderen notorischen Antikapitalisten als subversive, spontane Interventionen geradezu bierernst genommen. Ob man nun versucht, mittels massenhaft verschickter E-Mails den Account klimaschädigender Politiker lahmzulegen, bei öffentlichen Auftritten der Bundeskanzlerin mittels kollektiver »Yeah«-Rufe folgenlose Irritationen erzeugt oder im Rahmen von »Die-ins« (alle »Flashmobber« lassen sich zum gleichen Zeitpunkt wie tot zu Boden fallen) gegen die repressive Gesellschaft protestiert, »Flashmobs« werden heutzutage mit derselben Verbissenheit durchgeführt wie basisdemokratische Plenumsdiskussionen.

Die ideologische Begründung für ihre tumbe Freizeitgestaltung ist den »Flashmobbern« vor einigen Jahren von dem amerikanischen Soziologen Howard Rheingold geliefert worden, dessen Spezialgebiet virtuelle Gesellschaftsentwürfe sind und der in seinem Buch »Smart Mob: The Next Social Revolution« den »Smart Mob«, die politische Variante des »Flashmobs«, als postmoderne linke Mobilisierungsstrategie beschreibt. Seither ist die dadaistische Variante des »Flashmobs« aber nicht einfach ausgestorben. Vielmehr wird sie willkürlich mit den unterschiedlichsten politischen Zielen kombiniert und von NGO, Konsumkritikern oder Bildungsprotestlern systematisch einstudiert.
Auf der Website des »bundesweiten Bildungsstreiks« finden sich ausführliche »Flashmob«-Tipps, die auch regelmäßig Anwendung finden: Vor-Erschöpfung-Umfallen im Hörsaal, öffentliches Wegtragen von »Bildungsleichen«, Organisation spontaner »Sprechchöre« und anderes mehr. Was an der Idee anfangs vielleicht reizvoll gewesen sein mag, die Albernheit und Sinnlosigkeit, die an gewisse Aktionen der Situationisten aus den sechziger Jahren erinnerte, geht dabei endgültig verloren. Stattdessen tritt der brutale und autoritäre Charakter der Mobilisierung unverdeckt hervor: Im Kern ging es auch schon den frühen »Flashmobbern« darum, den atomisierten Einzelnen, die durch nichts als das Prinzip der Vergleichung verbunden sind, für kurze Zeit die Möglichkeit von »Gemeinschaft« vor Augen zu führen, indem der öffentliche Raum in einen Raum des Spektakels und des Eklats verwandelt wird.
Die Inhaltsleere und Sinnlosigkeit des Ganzen war von Anfang an immer auch Ausdruck der Gewalt, derer es für diese Transfusion von Gesellschaft in Gemeinschaft bedarf – erst Recht im Zeitalter der neuen Medien, die den vorläufigen Gipfel von Abstraktion und Vermittlung darstellen. Wird das Prinzip der sinnlosen Aktion dann noch mit »politischen Inhalten« gekoppelt, zeigt sich darin nichts anderes mehr als die vollendete Stillstellung des öffentlichen Raumes und die Unmöglichkeit politischer »Intervention«.
Daran werden, wie zu befürchten ist, die bildungs- und klimapolitischen »Flashmobber« aber auch künftig nichts auszusetzen haben. Die Bildungsprotestler jedenfalls sammeln bereits auf Pinnwänden die sich in den Medien findenden Sympathieberichte über ihre Aktionen mit derselben Akribie, wie die PR-Abteilung des Bundesbildungsministeriums Medienberichte über Bildungspolitik sammelt. Überhaupt wird das »Flashmobbing« sich wohl in nicht allzu ferner Zukunft als Vorform der neuesten Motivationsstrategie von Marketingexperten und Psychotechnikern erweisen. Deren Trainingsprogramme sind schon heute genauso infantil wie die Aktionsprogramme der »Flashmobber«. Früher oder später werden beide zwanglos zueinander finden.