Schinkenbrot für den Tiger

Immer wenn ein islamistischer Terrorist eine unliebsame Meinungsäußerung durch den Mord an ihrem Urheber rächen will, treten unweigerlich nachdenkliche Kommentatoren auf. »Was zählt mehr? Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit? Oder der Respekt für religiöse Gefühle?« Das will Andrian Kreye von der Süddeutschen Zeitung wissen. »Meist teilen sich die westlichen Disputanten über diese Fragen in Konservative (die Meinungsfreiheit!) und Linke (der Respekt!).« Sollte es nicht eigentlich umgekehrt sein? Diese Frage stellt Kreye nicht, doch er glaubt: »Freiheit und Demokratie sind keineswegs Lebensformen, die in der islamischen Welt als höchste Stufe der menschlichen Entwicklung angesehen werden«, »viel emotionaler« sei dort »das Verhältnis zur Meinungsfreiheit«. Westergaards Karikaturen seien »eine bewusste Provokation« und »wie der Versuch, einen Tiger zu erziehen, indem man ihm erst ein Schinkenbrot anbietet und es ihm dann wieder wegnimmt«.
Tatsächlich bedurfte es 2006 einiger Anstrengungen, um den Hunger des Tigers zu wecken. Drei Monate nach der Veröffentlichung packten dänische Imame ihre Sachen »und buchten Flüge in den Mittleren Osten«, schreibt Nancy Graham Holm im Guardian. Dort trafen sie interessierte Politiker, die aus den Karikaturen einen Skandal machten. Doch auch Holm meint, dass »vorurteilsbeladene Dänen Fanatismus provozieren«, denn sie pflegen einen »Unwillen, religiöse Überzeugungen zu respektieren«. Auch sie weiß: »Muslime lieben ihren Glauben.« Deutlicher noch wird Eugen Röttinger in der Südwest-Presse: Westergaard »ist mindestens so verblendet wie sein Attentäter. Deshalb sind beide gefährlich.«
Jene, die Westergaard vorwerfen, er erkläre die Muslime pauschal zu Terroristen, stellen ihrerseits die Muslime als unentrinnbar in religiösen Ideen gefangene Heißsporne dar, für deren behutsame Lenkung es eines geschickten Dompteurs bedarf. Ist diese Haltung womöglich die wahre Islamophobie?