Über die Stärke von al-Qaida in failed states

Wenn der Jihad in die Hose geht

Der Westen ist für al-Qaida nur ein Nebenkriegsschauplatz. Die eigentliche Stärke der Jihadisten ist ihre Fähigkeit, sich in failed states Operationsbasen zu sichern.

Was nützen einem 72 Jungfrauen, wenn es in der Unterhose gebrannt hat? In dieser Hinsicht kann Umar Farouk Abdul Mutallab beruhigt sein. Nach der Auferstehung »wird der Körper sich erheblich von der sterblichen physischen Existenz unterscheiden«, denn ein Bad in einem aus dem Paradies strömenden Fluss sorgt für »ewige glückselige Existenz«, lehrt Zulfiqar Ali Shah, Mitglied des Fiqh Council of North America.
Dass sein Anschlag misslang, muss Mutallab im Hinblick auf sein Seelenheil auch nicht bedrücken. Die meisten konservativen und fundamentalistischen Theologen sind der Ansicht, dass Gott ein Herz für Stümper hat. Wer auf dem Weg zum Jihad auf einer Bananenschale ausrutscht und sich das Genick bricht, gilt als Märtyrer, denn es zählt vor allem der Wille. Fraglich ist allein, ob Mutallab den Märtyrerbonus beanspruchen kann oder sich mit der geringeren Belohnung für jihadistischen Glaubenseifer begnügen muss.
Im wirklichen Leben, auch in dem von Terroristen, zählt allerdings eher der Erfolg. Doch »al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel« feiert in einem am Montag der vergangenen Woche veröffentlichten Bekennerschreiben das verpatzte Attentat. »Auf Gott vertrauend« habe Mutallab »dem großen Mythos der amerikanischen und internationalen Geheimdienste getrotzt« und gezeigt, »wie schwach sie sind«.
Die Bemühungen von al-Qaida, Anschläge im Westen zu organisieren, sind unverkennbar. Der Attentäter, der den dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard zu ermorden versuchte, hatte offenbar Verbindungen zu den somalischen Jihadisten von al-Shabab, die mit al-Qaida verbündet sind. Doch wenn die US-Behörden nicht immer noch ebenso eifersüchtig ihre Informationen hüten würden wie vor dem 11. September 2001 und die dänische Polizei sich bequemt hätte, Wester­gaards Haus zu überwachen, wären beide Attentäter frühzeitig an ihrem Tun gehindert worden.

Man kann nicht ausschließen, dass ein Anschlag auch einmal gelingt. Doch nach den Bombenexplosionen in Madrid im März 2004 hatten die Islamisten auf der Webseite Jihad Unspun frohlockt, man habe »die politische Richtung eines europäischen Landes (…) beeinflusst«. Die Attentate hatten nach Ansicht der Jihadisten maßgeblich zum Wahlsieg der Sozialdemokraten beigetragen, die den Rückzug aus dem Irak einleiteten.
Von solchen Erfolgen träumen die Jihadisten wohl nicht einmal mehr. Doch weiterhin brächte ein Anschlag im Westen Prestige, das ist hilfreich in der Konkurrenz um Spenden und Rekruten. In den Jahren nach 2003 war es der aus dem Irak operierende Abu Musab al-Zarqawi, der die alte Garde um Ussama bin Laden herausforderte. Zarqawi wurde 2006 getötet. Derzeit sind es die jemenitischen und somalischen Jihadisten, die eine Führungsrolle beanspruchen. Neue operative Zentren für den globalen Jihad scheinen auf beiden Seiten des Golfs von Aden zu entstehen.
Die Arbeitsweise scheint dem klassischen Muster zu folgen. Rekrutiert werden weiterhin meist Akademiker, überwiegend junge Männer, die angewandte Naturwissenschaften studiert haben und aus der Mittel- oder Oberschicht stammen, also ausreichende Mittel und Kenntnisse haben, um im Westen leben zu können. Mutallab entspricht in fast jeder Hinsicht diesem Muster, nur eines ist ungewöhnlich: Er ist ein Schwarzer.

Allein in Nigeria, dem Herkunftsland Mutallabs, leben 70 Millionen Muslime, doch unter den Jihadisten traten Afrikaner bislang kaum in Erscheinung. Ein Grund dafür dürfte die Überheblichkeit vieler arabischer Jihadisten sein, die rassistische Ressentiments hegen und Schwarzen unterstellen, »schlechte Muslime« zu sein. Aus jihadistischer Sicht mangelt es ihnen an Glaubenseifer. Tatsächlich ist der afrikanische Islam überwiegend konservativ, der strikte Puritanismus und der Todeskult der Jihadisten finden jedoch kaum Anklang. Nur in wenigen subsaharischen afrikanischen Staaten spielen islamistische Bewegungen eine bedeutende Rolle.
Eines dieser Länder ist Nigeria. Mit den dortigen »Taliban« (Jungle World, 32/09) scheint Mutallab nichts zu tun gehabt zu haben. Dennoch könnte Nigeria für die Jihadisten zu einem interessanten Rekrutierungsfeld werden. Denn das Land gehört potenziell zu den failed states, in denen das staatliche Gewaltmonopol der Macht der Warlords weicht. In Somalia ist die Zentralregierung völlig entmachtet worden, das jemenitische Regime hat über weite Landesteile eine bestenfalls sporadische Kontrolle. Sich in solchen Staaten ein Territorium zu sichern, das für weitere Eroberungen und auch für Operationen in aller Welt genutzt werden kann, ist die eigentliche Stärke der Jihadisten.
Westliche Truppen sind dabei durchaus willkommen. Das US-Militär anzulocken, könnte ein weiteres Ziel des Anschlags Mutallabs gewesen sein, zumal das Scheitern der Afghanistan-Intervention die Jihadisten ermutigt haben dürfte. So kann al-Qaida eine tatsächliche Schwäche des Westens nutzen, die offenkundig gewordene Unfähigkeit, etwas zur Stabilisierung der failed states beizutragen.