100 Jahre Hakoah Wien. Ein Buch über den jüdischen Sportverein

Keine gojische Angelegenheit mehr

Vor 100 Jahren wurde Hakoah Wien gegründet. Die Geschichte des jüdischen Sportvereins ist nun das Thema eines Buchs.

Als Hakoah Wien, der österreichische Fußballmeister von 1925, am 1. Mai des folgenden Jahres im Polo Ground zu New York gegen eine Kombination aus Spielern der New York Giants und Indiana Flooring antrat, war das ein großer Tag für den amerikanischen Fußball. 46 000 Zuschauer füllten die Ränge – so viele wie nie zuvor bei einem Fußballspiel in den USA. Es sollte 51 Jahre dauern, bis der Rekord gebrochen wurde. Das gelang erst Franz Beckenbauer und Pelé mit Cosmos New York.
Zur Zeit der Tournee, in deren Rahmen das Freundschaftsspiel in New York stattfand, dürfte der jüdische Klub aus der österreichischen Hauptstadt einen ähnlichen Ruf gehabt haben wie heute ein dominierendes Team aus der Champions League. Zumal der österreichische Fußball damals generell einen hohen Stellenwert hatte. Kein Wunder, dass im selben Jahr Karl Kraus in seiner Zeitschrift Die Fackel schrieb, »das Heroentum im Fußball« sei »längst keine gojische Angelegenheit mehr«, also nicht mehr nur auf Nicht-Juden beschränkt.
Die Kicker der Hakoah trugen wesentlich dazu bei, dass ihr Verein gewissermaßen eine Schmiede jüdischen Bewusstseins war. Es wird ja – nicht zu Unrecht – über die ideologische Instrumentalisierung des Sports geklagt. Aus dem Blick gerät dabei aber, dass der Sport auch als Vehikel dienen kann, um legitime Ziele durchzusetzen. Der SC Hakoah ist ein Beispiel dafür. Deshalb heißt das Buch, das gerade anlässlich des hundertjährigen Geburtstags des Klubs erschienen ist, auch » … mehr als ein Sportverein«.
Die Gründung des Vereins war auch eine Reaktion auf das antisemitische Klischee vom körperlich schwachen Juden. Inspiriert von der Idee des so genannten Muskeljudentums, verfocht der Verein, dass Sport die Persönlichkeit jedes Einzelnen und letztlich die Qualität des gesamten jüdischen »Volkes« stärken solle. So plausibel und vielleicht auch notwendig diese Haltung angesichts jenes Klischees war: Die Vordenker des jüdischen Vereinssports adaptierten damit die nationalkonservative Sport­ideologie, nach der die körperliche Betätigung vor allem als Dienst am großen Ganzen aufzufassen sei, als Förderung der »Volksgesundheit« und letztlich als Vorbereitung auf den militärischen Kampf.
Ein Beitrag in dem Jubiläumsbuch, an dem unter anderem Historiker, Politikwissenschaftler und Soziologen mitgewirkt haben, untersucht, wie einflussreiche österreichische Tageszeitungen in der sportlich erfolgreichsten Zeit der Hakoah-Fußballer zwischen 1920 und 1928 über deren Spiele berichteten. Die Analyse spiegelt sehr gut den damals in Österreich herrschenden Zeitgeist wider und macht darüber hinaus deutlich, warum nationalsozialistische Ideen hier auf fruchtbaren Boden fallen konnten. Die Autoren der Deutschösterreichischen Tages-Zeitung verfassten rassistische Artikel, die Beiträge der christlichen Reichspost waren von einem »Konkurrenz-Antisemitismus« geprägt, und die sozialdemokratische Arbeiter-Zeitung versteckte ihren Antisemitismus anfangs zwischen den Zeilen, agitierte aber offensiver, nachdem in Österreich 1924 der Berufsfußball eingeführt worden war – »eine Entartung der Sports«, für die die Zeitung jüdische Funktionäre verantwortlich machte. Folglich war die Berichterstattung über Hakoah fortan geprägt von plumpen antikapitalistischen Motiven mit starkem antisemitischem Einschlag.
Das Wirken des SC Hakoah hatte also stets eine erhebliche politische Tragweite. Jenseits des Sports setzten 1936 die Hakoah-Schwimmerinnen Judith Deutsch, Ruth Langer und Lucie Goldner ein wichtiges Signal. Sie weigerten sich aus politischen Gründen, bei den Olympischen Spielen in Nazi-Deutschland für die österreichische Mannschaft an den Start zu gehen. Daraufhin sperrte sie der Österreichische Schwimmverband und annullierte ihre Rekorde – was erst 1995 rückgängig gemacht wurde. 2004 setzte Yaron Zilberman den erfolgreichen Schwimmerinnen des Klubs mit seinem Dokumentarfilm »Hakoah – Club der Sirenen« ein Denkmal.
Obwohl die sportlichen Erfolge der Hakoah »aus Neid wieder antisemitische Äußerungen« hervorgerufen hätten, »ändert sich doch sowohl nach innen als auch nach außen das Bewusstsein, dass für eine körperliche Diskriminierung jüdischer MitbürgerInnen jede Grundlage fehlt«, schreibt Philipp Wagner, einer von 15 Autoren von » … mehr als ein Sportverein«. Für eine kurze Phase während der zwanziger und dreißiger Jahre dürfte dies zutreffend gewesen sein. In dieser Zeit inspirierte die Hakoah durch ihre legendären Erfolge auch die Gründung von Hunderten gleichgesinnter Vereine in aller Welt. Ihr Ruf erreichte sogar Australien, wo Hakoah Melbourne und Hakoah Sydney später wesentlichen Einfluss auf die Professionalisierung des nationalen Fußballs nehmen sollten.
1938, nach dem »Anschluss« Österreichs an Deutschland, wurde der SC Hakoah aufgelöst, und die Sportler gerieten ins Visier der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. Einige prominente Kicker landeten in den Konzentrationslagern, aber alle überlebten den NS-Terror; dem Spieler Béla Kestler gelang sogar die Flucht aus dem KZ Buchenwald. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten einige Helden der zwanziger Jahre dann als Trainer erheblichen Einfluss auf die Entwicklung des Fußballs in Israel. Der berühmteste Coach mit Hakoah-Vergangenheit war aber zweifellos Bela Guttmann, der mit Benfica Lissabon 1961 und 1962 den Europacup der Landesmeister gewann.
Andere Überlebende bauten nach dem Untergang des NS-Regimes den SC Hakoah in Wien wieder auf: Der Verein wurde zu einem Sammelbecken für Rückkehrer und in Wien gebliebene Juden, denen die eigene Stadt längst fremd geworden war. Man wollte »der staunenden Umwelt zeigen, dass auch ein Hitler nicht imstande war, jüdischen Sportsgeist zu vernichten«, wie es ein Funktionär 1946 formulierte. Im selben Jahr hieß es in der Vereinszeitung: »Die Politik der Hakoah ist ausschließlich auf Israel ausgerichtet. Die Hakoah kennt nur ein hohes Ideal: für Israel zu kämpfen.« Andererseits habe der Klub eine »Daseinsberechtigung, solange ein Jude in Wien ist«. Der neue Zionismus der Hakoah war in gewisser Hinsicht eine Fortschreibung der alten Ideologie, wonach der Sport eine Vorform eines größeren Kampfes ist. Einige Mitglieder wanderten dann auch Ende der vierziger, Anfang der fünfziger Jahre nach Israel aus, was manchen Sparten im Klub erhebliche Personalprobleme bereitete.
Das heutige Selbstverständnis der Hakoah-Mitglieder, das im Buch auf der Basis einer Diplomarbeit in Soziologie referiert wird, ist allerdings weit von den Vorstellungen der Generation der Wiederaufbauer entfernt. »Natürlich verbinden wir das Sporttreiben durchaus auch mit der Vermittlung von jüdischen Werten«, sagt der jetzige Präsident Paul Haber. Die Hakoah sei aber »nicht unbedingt zionistisch«. Und Ehrenpräsident Erich Sinai charakterisiert die Hakoah sogar als »unpolitisch« – zumindest verglichen mit vielen jüdischen Jugendorganisationen.
Politisch aufgeladen ist das Geschehen rund um den SC Hakoah aber weiterhin. Erst vor einem Jahr konnte ein verwickeltes Kapitel der Vereinsgeschichte endlich abgeschlossen werden: die Restitution des Hakoah-Sportgeländes, das dem Verein 1938 geraubt worden war. Nach 1945 wurde die Fläche geteilt und bebaut, später ging sie von der Wiener Gemeinde in den Besitz des österreichischen Staats über, und zwischenzeitlich war die Lage derart aussichtslos, dass sich Hakoah nicht einmal bemühte, das Gelände zurückzubekommen. Die Wende, schreiben David Forster und Georg Spitaler, kam erst 1988, als die Beschäftigung mit der braunen Vergangenheit des damaligen Bundespräsidentschaftskandidaten und späteren Bundespräsidenten Kurt Waldheim einen grundsätzlich anderen Umgang mit der NS-Geschichte einleitete. Bis auf einem Drittel der alten Fläche das Karl-Haber-Sport- und Freizeitzentrum eingeweiht werden konnte, war es dann aber immer noch ein sehr langer Weg. Als es dann im März 2008 so weit war, sagte Präsident Paul Haber, der Sohn des Namensgebers, voller Stolz: »Vor 70 Jahren wurde der Verein von der SA zerschlagen. Aber das Dritte Reich ist untergegangen – und die Hakoah lebt!«

Susanne Helene Betz/Monika Löschner/Pia Schölnberger (Hrsg.): » … mehr als ein Sportverein«. 100 Jahre Hakoah Wien 1909–2009, Studienverlag Innsbruck Wien Bozen 2009, 368 Seiten, 29,90 Euro