Unter Schwarz-Gelb wird die Rente zum reinen Privatvergnügen

Rente als Privatvergnügen

Schon seit Jahren wird das Rentensystem nach und nach auf eine private Vorsorge mit Kapitalanlage umgestellt. Die schwarz-gelbe Koalition will diese Änderungen jetzt weiter forcieren.

»Rente ist kein Almosen. Wer sein Leben lang hart gearbeitet hat, der hat auch einen Anspruch auf eine gute Rente.« Das hat die schwarz-gelbe Regierung in ihrem Koalitionsvertrag festgestellt, auch den Befürwortern des neoliberalen Staats scheinen die Probleme der Rentenentwicklung bekannt zu sein. Seit Jahren entsteht für Banken und Versicherungen ein gigantischer Markt, weil die Menschen mehr privat vorsorgen müssen. CDU, SPD, FDP und Grüne arbeiten daran, die sozialen Sicherungssysteme durch private Vorsorge zu ergänzen oder gar zu ersetzen. Wer davon profitiert, sind die Besserverdienenden, da sie von der »Bürde« der Solidarität befreit werden. Der insbesondere unter Rot-Grün forcierte »Umbau« der gesetzlichen Rentenversicherung entfaltet mehr und mehr seine Wirkung.

Die Durchschnittsrente im Alter wird bereits bis zum Jahr 2020 auf das Existenzminimum sinken, die Erwerbsminderungsrente hat dieses ­Niveau schon heute erreicht, Tendenz weiter fallend. Die Renten von Neurentnern aus der gesetzlichen Rentenversicherung verringern sich kontinuierlich. Dies ist jedoch nicht allein auf den Abbau der Rentenversicherung zurückzuführen. Neben der anhaltend hohen Erwerbs­losigkeit und den infolgedessen ausgebliebenen Rentenbeiträgen haben auch die Arbeitsmarkt­reformen Hartz I bis IV erhebliche Auswirkungen auf das Rentenniveau. Das gekürzte Arbeitslosengeld, die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe, die Förderung von Niedriglöhnen und prekärer Beschäftigung senken nicht nur den Lebensstandard während des Erwerbslebens, sondern mindern auch direkt die individuellen Rentenansprüche, denn diese spiegeln ja vor allem den Lebensstandard aus der Erwerbsphase wider.
Wer die soziale Sicherung abbaut und die Löhne drückt, raubt auch gleich einen Teil der Alters­sicherung, und zwar unabhängig davon, ob diese privat oder staatlich organisiert wird. Denn niemand wird heute sparen, um im Alter, das er vielleicht nie erreicht, deutlich besser zu leben als in der Gegenwart. Ebenso wird jemand, dessen Einkommen gut oberhalb des Existenzminimums liegt, nicht alles heute ausgeben und willentlich im Alter auf Fürsorgeniveau leben, sondern versuchen, seine Lebensgewohnheiten auch als Pensionär beibehalten zu können. Während die un­teren Einkommensgruppen immer weniger Vorsorge betreiben können, steigen die Möglichkeiten der oberen Einkommensgruppen. Im Ergebnis werden etliche Personen ihren Lebensstandard im Alter halten und dabei auf eine Vielzahl von Einkommensquellen zurückgreifen können. Gleichzeitig wird eine tendenziell größere Gruppe nicht oder nur sehr wenig vorsorgen können, ihr verbleibt im Alter, wenn überhaupt, nur die gesetzliche Rente. Und die reicht aufgrund der Leistungskürzungen keinesfalls mehr für die Sicherung des Lebensstandards, ja oft nicht einmal des Existenzminimums. Die Reformen führen zu einer systematischen Spaltung der Gesellschaft, diese Entwicklung wird schon jetzt deutlich.

Sinkende Renten, undurchsichtige und unsichere private Vorsorgeprodukte, sinkende Löhne und prekäre Beschäftigung haben den Effekt, dass es bei großen Teilen der Bevölkerung auch um die Altersvorsorge schlecht bestellt ist, von der Absicherung gegen das Risiko der Erwerbsminderung gar nicht zu reden. Mit rund zwölf Millionen Riester-Verträgen hat nicht einmal die Hälfte der gesetzlich Versicherten privat vorgesorgt. Bei den Betriebsrenten sieht es zwar etwas besser aus, aber auch hier ziehen sich die Arbeitgeber, mit der so genannten Entgeltumwandlung, aus der finanziellen Beteiligung zurück. Insgesamt führt das dazu, dass womöglich ein Drittel der Versicherten lediglich Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und keine relevanten Zusatzeinkommen haben wird. Diese Personen sehen sich meist finanziell nicht dazu in der Lage, privat vorzusorgen, und werden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit im Alter auf die Fürsorge angewiesen sein.
Wer hofft, der parlamentarische Arm der Wirtschaft und Besserverdienenden wolle die Situation dieser Rentner verbessern, irrt. Das Konzept der Altersvorsorge als Privatvergnügen soll in immer größerem Maßstab verfolgt werden. Die schwarz-gelbe Koalition möchte die private kapitalgedeckte Vorsorge ebenso fördern wie den Bau von Eigenheimen und plant, die private Versicherung auch auf den Erwerbsminderungsschutz auszuweiten. Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit und die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre wird von der Regierung uneingeschränkt befürwortet. Die FDP will noch weiter gehen und einen vorzeitigen Ausstieg aus dem Berufsleben ausschließlich den Besserverdienenden ermöglichen.
Aufgrund der anhaltenden Debatte um drohende Altersarmut und der permanent weiter sinkenden Durchschnittsrenten wird im Koalitionsvertrag ein scheinbar attraktives Angebot präsentiert: Wer »ein Leben lang Vollzeit gearbeitet und vorgesorgt« hat, der muss »ein Alterseinkommen oberhalb der Grundsicherung erhalten, das bedarfsabhängig und steuerfinanziert ist«. Würde dies in die Tat umgesetzt, stürbe die gesetzliche Rentenversicherung. Die Alterseinkommen driften auseinander. Die einen werden auf die steuerfinanzierte »Grundrente« angewiesen sein, die anderen haben vor allem (oder ausschließlich) privat vorgesorgt. Beide können, wenn auch aus sehr unterschiedlichen Gründen, auf die Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung verzichten. Die gesellschaftlichen und sozialen Konsequenzen wären gewaltig.

Wird die beitragsfinanzierte und -orientierte Rentenversicherung abgeschafft und stattdessen eine »Mindestrente« eingeführt, wird der Zwang zur privaten Vorsorge für die Menschen noch einmal deutlich steigen, sofern sie ihren Lebensstandard halten wollen. Menschen mit niedrigem Einkommen werden dies jedoch nicht leisten können. Sorgen sie nicht vor, erhalten sie im Alter lediglich die Mindestrente oder nur Sozialhilfe. Mit der Steuerfinanzierung werden die Unternehmen endgültig von der finanziellen Beteiligung an der Rente befreit. Der Versicherungsindustrie und den Banken, denen damit der größte Teil der Altervorsorge zufällt, dürften jubeln, ihnen wird mit der Angst um Altersarmut ein lukratives Multimilliardengeschäft beschert.
Entgegen dem Eindruck, den die Mindestrente erweckt, mangelt es in diesem System gerade an solidarischer Umverteilung. Außerdem ist es auf den Kapitalmarkt angewiesen, auch das könnte sich als Problem erweisen. Dies hat die jüngste Wirtschaftskrise anschaulich gezeigt, aber auch das Beispiel der Schweiz: Dort existiert bereits ein ähnliches Alterssicherungssystem. Mitte der zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts werden die Schweizer Versicherungen vor der Herausforderung stehen, dass sie doppelt so viel Vermögen anlegen müssen, wie in der Schweiz pro Jahr erwirtschaftet wird. »Rentierlich« geht dies nur in anderen Ländern und bei spekulativer Anlage. Aber wie soll das funktionieren, wenn nun neben Deutschland auch alle anderen Länder diesem Beispiel folgen?