Ente, zweimal gebraten

Alle Gemeinheit hat mal klein angefangen und das Böse ist nur ein Auswuchs des Guten. Nehmen wir die Verschwörungstheorie. An ihrem Ursprung findet sich eine ganz liebenswerte, zutiefst menschliche Lust: die an schlimmen Geschichten. Ob der Wolf sich als Großmutter verkleidet oder der Satan eine Ronald-Reagan-Maske überstreift, ist zunächst nur eine Frage der Farbgebung. So kam das Märchen auf, Aids sei von US-Militärs designt, an durch lange Haft schwulen Gefangenen ausprobiert und von ihnen in die Welt getragen worden.
Eine Moskauer Literaturzeitung hatte die Idee zu dieser Geschichte, Jakob Segal, ein Biologe aus der DDR, malte sie aus. Und die ersten, die sie aufgriffen, waren selbst Geschichtenerzähler: Stefan Heym und Johannes Mario Simmel. Allerdings glaubte Heym eine Zeitlang fest daran, sie sei wahr, während Simmel seinen Helden sagen lässt: »Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass das Aids-Virus wirklich irgendwo entwichen ist, wo man mit Viren experimentiert.« Ein Märchen bloß erzählen oder es auch zu glauben, ist ein Unterschied.
Es ist aber auch möglich, ein Märchen nicht recht zu glauben, es jedoch als Meldung zu verbreiten. Das tat die Taz am 18. Februar 1987, als sie ein seitenlanges Interview von Heym mit Segal abdruckte. Zwar war der verantwortliche Redakteur vom DDR-Außenministerium ausdrücklich gewarnt worden, aber er wollte halt Wind machen, und wenn der Reagan ins Gesicht blies, umso lieber. Bekanntlich hat Mathias Bröckers die »Wahrheit« der Taz erfunden.
Doch damit ist das Märchen leider noch nicht aus. Denn über 20 Jahre nach der Ente fällt den Redakteuren ein, wie sie sie noch einmal aufbraten können. Nun gibt derselbe Arno Widmann, inzwischen bei der FR, der damals das Interview ins Blatt holte, Heym die Schuld, der »ein Spieler am großen Tisch der Geheimdienste« habe sein wollen – auch das eine bloße Behauptung. Jetzt soll der von der Taz verbreitete Unfug »ein wichtiges Mosaiksteinchen in einer Art globaler Verschwörung sowjetischer und DDR-Geheimdienste« (Taz) gewesen sein. Und warum hat das DDR-Außenministerium von der Story abgeraten?  Um sie »möglicherweise bewusst erst appetitlich« zu machen. Infam.
Ja, die östliche Welt verschwor sich und traf die west­liche an ihrem empfindlichsten Punkt: an der Westberliner Szene, gewissermaßen an ihrer Achilles-Szene. Der KGB ahnte, dass, wenn er da ein Virus aussetzt, es bald alle bürgerlichen Medien verseuchen wird. Unbeantwortet bleibt die Frage, warum es manchen Leuten nie zu fad wird und ihnen zu jeder alten Lüge noch eine neue einfällt. Der Rest wundert sich mit Platon: »Jeder, scheint es, hat uns eine Geschichte erzählt wie Kindern.«