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Callcenter-Agenten sind die Grubenarbeiter des Postfordismus. Zwar fördern sie keine schweren Brocken zu Tage, müssen dafür aber ihr Innerstes nach Außen stülpen. Wer einmal mit einem Headset auf dem Kopf vor einem Spiegel saß, über dem »Ihr Lächeln muss man hören« stand, um Lotterie-Lose an demente Rentner zu verkaufen, weiß, dass »Emotionsarbeit« genauso schlimm sein kann wie der Job eines Bochumer Bergmanns.
Wohl deshalb stieß der Vorschlag eines Kollegen, dass wir uns von unseren Telefonen verabschieden sollten, um auf ein in unsere Rechner integriertes Softphone-System mit Headsets umzusteigen, kaum auf Begeisterung. Vermutlich wäre die Ablehnung geringer gewesen, hätte man den Kollegen abverlangt, künftig mit Bergmannshelmen vor den Rechnern zu sitzen. Dabei spricht, abgesehen von einigen, für eine linke Zeitung doch erstaunlichen antiproletarischen Ressentiments, nichts gegen Headsets: Man hat die Hände frei, kann neben dem Gespräch tippen oder gleichzeitig kritzeln und in der Nase bohren. Aber noch immer ist kaum jemand bereit, die Innovation zu würdigen – denn mit Headset sieht man einfach aus wie die armen Dienstleistungssklaven, die ihre Seele an die ostdeutsche Klassenlotterie zu verkaufen müssen.
Dennoch ließe sich hoffen, dass die Headsets zu mehr Freundlichkeit führen. Kein Gezerre mehr an verschwurbelten Kabeln, weniger Ungeduld, da man beim Telefonieren weitertippen kann, und vielleicht bedeutete dies auch bei uns: mehr Empathie! Doch bisher geht das nicht auf. Unser Telefonsystem steckt in einer krisenhaften Umbruchssituation. Der Wackelkontakt unseres analogen Telefons erlaubt gerade nur noch fragmentierteste Kommunikation, wie sie sonst nur Vollidioten im ICE praktizieren (»Hallo? Ah! Hallo?«). Das Softphone scheint hingegen noch so programmiert, dass die Verbindung standardmäßig nach rund 45 Sekunden unterbricht. Daher fassen wir uns kurz: »10 000 Zeichen bis Montag – ciao!«
Doch der für das Softphone verantwortliche Kollege versucht gerade, das Problem zu lösen, und verkündet: »Die analogen Telefone ziehen wir nicht mehr mit um.« Wenn Sie uns also nach unserem bevorstehenden Umzug anrufen, säuseln wir vermutlich in unser Headset: »Guten Tag, Sie sprechen mit der Wochenzeitung Jungle World, was können wir für Sie tun?« Oder aber wir rufen Sie an und näseln: »Guten Tag, entschuldigen Sie die Störung, hier ist die Wochenzeitung Jungle World, wir wollten Sie um einen Gefallen bitten … « Ist dies der Fall, kann es aber auch sein, dass wir noch gar nicht umgezogen sind, sondern dass der Umzug unmittelbar bevorsteht. Da erinnert man sich daran, dass man Freunde braucht. Und daran, dass der Job eines Callcenter-Agenten im Vergleich zum Beruf des Möbelpackers vielleicht gar nicht schlimm ist.