Homo Sapiens Socialisticus

Seit einiger Zeit teile ich meine Beobachtungen danach ein, ob sie für oder gegen den Sozialismus sprechen. Gegen den Sozialismus spricht z.B. die Einführung der automatischen Pissoir-Spülung in Kneipen. Wenn selbst dem geselligen Kneipengänger dieser eine Handgriff abgenommen werden muss, scheint es schlecht um das Prinzip der Solidarität zu stehen.
Die Beobachtung erinnert mich an die viel ältere, die ich bei einer Klassenfahrt nach Ostberlin gemacht habe. Meine Mitschüler lachten sich damals scheckig über die Kartenabreißrollen in U-Bahn-Stationen. Der Fahrgast sollte einen geringen Betrag einwerfen und sich eine Karte von der Rolle abreißen. Aber jeder konnte sich auch einfach eine Karte abreißen, ohne zu bezahlen. Die DDR setzte einen Menschen voraus, der über kleinliche Gefühle erhaben ist und stets auf das Ganze reflektiert; was beides von diesen Mitschülern nicht behauptet werden kann. Ich frage mich seither, ob dieser homo socialisticus in der DDR sehr häufig war. Bevor ich eine Studie über das Fahrgastverhalten in der DDR gefunden habe, nehme ich an, dass der Typ häufiger als im Westen, jedoch nicht häufig genug vorkam.
Für den Sozialismus spricht es hingegen, dass in Berlin kaum irgendwo die Trottoirs vom Eis befreit sind, selbst vor Läden und Restaurants nicht. Pro-sozialistisch ist das, weil die kapitalistische Lehre besagt, dass eine Gesellschaft nur über das egoistische Interesse gesteuert werden könne. Da es beispielsweise in niemandes ego­istischem Interesse liegen kann, für eine Fahrkarte etwas zu bezahlen, braucht man Kartenautomaten und Kon­trollen. Aber liegt es nicht auch im Interesse eines Restaurants, dass der Gast ohne zu schlittern zur Eingangstür gelangt?
Das wohl, aber vielleicht nimmt der Wirt an, dass sein Gast ein Auto hat und es für ihn nur ein paar Meter zu Fuß sind. Die Straßen hat ein städtisches Amt geräumt und wird das weiter tun, bis auch diese Infrastruktur privatisiert ist. All die Passanten aber, die vor dem Laden dahinstapfen und -rutschen, können nicht ins Kalkül gezogen werden, denn sie zahlen ja nichts.
Es beunruhigt mich allerdings, dass ich mir nicht vorstellen kann, die Wirte und Ladenbesitzer des Sozialismus unterschieden sich darin grundsätzlich von denen des Kapitalismus. Ein sozialistischer Staat verfügte vielleicht lediglich über ein grimmiges Ordnungsamt, das die Nichträumung des Trottoirs hart bestrafte. Und so komme ich, was mir übrigens nicht gefällt, auf die so ähnlich von Oscar Wilde vertretene These zurück, sozialistische Werte ließen sich allein durch gleichgültige Maschinen verwirklichen; Pissoirspülungen oder Kartenautomaten oder Pflegeroboter oder Trottoirheizungen.