Polen will Patriot-Raketen an der Grenze zu Russland stationieren

Patriots unter Elchen

Polen bekommt kein Raketenabwehrsystem, dafür aber US-amerikanische Patriot-Raketen, die nun dicht an der russischen Grenze stationiert werden sollen. Russland sieht darin eine Bedrohung durch die Nato.
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Morag ist ein kleines, verträumtes Städtchen in Masuren. Es liegt am Ostrand der Eylauer Seenplatte und ist umgeben von tiefen Wäldern, in denen Elche äsen. Die Umgebung des Ortes ist ein Paradies für Angler, denn die Gemeinde liegt in ei­nem Sonderschutzgebiet, der so genannten grünen Lunge Polens. In dieser Gegend leben etwa 150 Vogelarten, von denen einige nur dort vorkommen. In Morag kreuzen sich zwei Landstraßen, das Städtchen hat immerhin einen eigenen Bahnhof. Bislang war Morag dadurch bekannt, dass dort am 25. August 1744 Johann Gottfried Herder das Licht der Welt erblickte und dass 1807 dort ein siegreiches Gefecht der Russen gegen das napoleonische Heer stattfand.
Nun sollen in der kleinen Stadt, die knapp über 14 000 Einwohner zählt, US-amerikanische Pa­triot-Raketen aufgestellt werden, wie der polnische Verteidigungsminister Bogdan Klich ankündigte. Die Vereinbarung zwischen Polen und den USA über die Stationierung war bereits im Rahmen der Verhandlungen über das von der Regierung Bush geplante Raketenabwehrsystem in Osteuropa getroffen worden. Im September hatte Präsident Barack Obama den Beschluss seines Vorgängers über das Raketenabwehrsystem aufgeho­ben, aber nicht die Vereinbarung über die Stationierung der Patriot-Raketen.
Zunächst sollten diese Raketen in der Nähe von Warschau aufgestellt werden, um die Hauptstadt gegen feindliche Flugzeuge zu schützen. Nun sollen die Patriots bei Morag aufgestellt werden. Dies habe »keine politische oder strategische Bedeutung«, erklärte Klich auf einer Pressekonferenz, den Ausschlag für Masuren habe in erster Li­nie »die gute Infrastruktur« gegeben. Der News­week Polska, dem wichtigsten Nachrichtenmagazin Polens, sagte Klich: »Dort werden es die Amerikaner gut haben.« Es gebe dort eine große Garnison mit entsprechend großen Kasernen in einem anständigen Zustand. Außerdem müssten dort keine größeren Investitionen getätigt werden.
Möglicherweise hat Morag der polnischen Haupt­stadt jedoch nicht nur die guten Kasernen voraus, sondern besitzt vielmehr noch einen geografischen Vorteil. Morag liegt nur etwa 60 Kilo­meter von der russischen Exklave Kaliningrad entfernt. Mit den amerikanischen Patriot-Raketen kann der gesamte Luftraum in diesem Teil Russlands kontrolliert werden. Patriots sind moderne Luftabwehrsysteme, die nicht nur in der Lage sind, gegnerische Flugzeuge zu bekämpfen. Auch ballistische Raketen wie Marschflugkörper können damit abgeschossen werden, erfolgreiche Tests gab es auch mit Kurzstreckenraketen vom Typ Pershing II. Dieser Umstand scheint von besonderer Bedeutung zu sein. Denn noch vor wenigen Monaten hatte Russland den geplanten Raketenschild wiederholt als Bedrohung für die eigene Sicherheit kritisiert und mit der Stationierung von Iskander-Raketen in Kaliningrad gedroht. Nachdem Obama die Pläne seines Amtsvor­gängers revidiert hatte, zog auch die russische Regierung ihre Aufrüstungspläne zurück.
In der Stationierung der Raketen an der Grenze zum Kaliningrader Gebiet sieht der russische Generalstab nun eine neue Bedrohung durch die Nato. Nachdem die Pläne der polnischen Regierung bekannt geworden waren, erklärte ein Vertreter der russischen Marine, man wolle die in Baltijsk stationierte Ostseeflotte aufrüsten. Die dort stationierten Einheiten sollen durch Flugzeuge, U-Boote und Präzisionswaffen verstärkt wer­den. Wenige Stunden später dementierte das russische Verteidigungsministerium diese Aussagen jedoch und sagte, sämtliche Umrüstungsmaßnahmen bei der Flotte seien planmäßig, die Aufrüstung erfolge im Rahmen der Modernisierung der Streitkräfte und im Einklang mit dem staat­lichen Rüstungsprogramm.
In der Tat treibt die russische Regierung seit längerer Zeit die Modernisierung ihrer Streitkräfte voran. In welch desolatem Zustand diese sind, wurde vor allem während des Krieges mit Georgien deutlich. Militärexperten verweisen darauf, dass Russland viel zu wenige Schiffe baue und für deren Bau zu lange brauche, um den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. So ist der Bau der neuen U-Boote des Projektes 677 noch immer nicht abgeschlossen, obwohl die Fertigstellung be­reits vor zwei Jahren vorgesehen war. Auch die Verteilung ist problematisch. Russland verfügt über fünf Flotten, jeweils eine für den Atlantik, den Pazifik, das Schwarze Meer, das Kaspische Meer und die Ostsee. Die wenigen Schiffe, die gebaut werden, müssen auf diese Flotten verteilt werden. Dementsprechend wenige Schiffe kommen bei den einzelnen Flotten an und führen dort in aller Regel zur Ausmusterung ihrer längst veralteten Vorgänger. Von einer wirklichen »Aufrüstung« der russischen Ostseeflotte kann also in diesem Fall nicht die Rede sein. Vielmehr versucht das russische Militär in einem langwierigen Vorgang, seine veraltete Flotte zu modernisieren.
Aus russischer Perspektive sieht man in der Stationierung der Patriot-Raketen den Versuch der USA, Russland militärisch unter Druck zu setzen, um damit den eigenen Einfluss in Mittelosteuropa zu erhöhen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow fragte auf einer Pressekonferenz: »Warum muss man unbedingt etwas tun, um den Eindruck entstehen zu lassen, dass Polen sich gegen Russland verstärkt?«
Die USA schweigen sich indes aus zur politischen Bedeutung der Entscheidung über den Standort der Raketen. Der Sprecher des Weißen Hauses, Mike Hammer, verwies noch am 22. Januar auf »die guten amerikanisch-russischen Beziehungen« und darauf, dass die USA und Russland ihre »historischen Probleme« überwunden hätten. Bereits »in nächster Zukunft« sei ein neues Abkommen über die nukleare Abrüstung mit Russland möglich, sagte Hammer.
Doch wie passt die Stationierung neuer Waffen­systeme an der russischen Grenze in dieses Konzept? Ob die Stationierung im Zusammenhang mit den Plänen der Nato zur Verteidigung Polens stehen, ist derzeit unklar. Weder Frankreich noch Deutschland haben sich bisher dazu geäußert. Russland hat gerade in der vergangenen Zeit immer wieder gezeigt, dass es durchaus zur Demons­tration seiner militärischen Macht bereit ist. Ob dies jedoch eine ernstzunehmende Gefahr für das Nato-Mitglied Polen darstellt, ist zweifelhaft. Die Stationierung der Patriot-Raketen so dicht an der russischen Grenze kann daher eher als Versuch gesehen werden, amerikanische Truppen näher an den alten Rivalen heranzuschieben.