Die Kunduz-Affäre

In Deckung vor den Deutschen!

Während der Untersuchung der Kunduz-Affäre erfährt man auch viel Grundsätzliches über die Rolle der Bundeswehr in Afghanistan.

Erst bombardieren, dann beten – so hielt es Oberst Georg Klein. Nachdem er im September den Befehl zur Bombardierung zweier gestohlener Tanklastzüge und der umstehenden Menschen in der Nähe von Kunduz gegeben hatte, begab er sich zum Gebet in die Kapelle des Stützpunkts. Das sagte der Soldat in der vergangenen Woche vor dem Untersuchungsausschuss zur so genannten Kunduz-Affäre.
Er hätte nach dem Beten auch beichten müssen. Denn er hatte gelogen. Gegen besseres Wissen ließ er den Amerikanern mitteilen, die Taliban planten einen Angriff und seine Soldaten hätten »Feindberührung«, um die US-Piloten dazu zu bringen, die Bomben abzuwerfen. Andere Aussagen Kleins wirken grotesk: »Ich verwahre mich gegen die Unterstellung, ich hätte töten wollen.« Man sollte meinen, ein Soldat wisse, dass Kampfflugzeuge für gewöhnlich kein Niespulver abwerfen.
Doch es geht um mehr als einen einzelnen Offizier. 2009 hat die Bundeswehr in Afghanistan 57 Mal sogenannte Luftnahunterstützung angefordert. In neun Fällen setzten die US-Piloten ihre Waffen ein. An Kleins Opferbilanz kamen sie anscheinend nicht heran – die Bundeswehr geht im Fall Kunduz mittlerweile von 100 toten und sieben verletzten Zivilisten aus.
Kleins Anordnung war also besonders tödlich, aber kein Einzelfall. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat deshalb Vorarbeit geleistet, als er von »kriegsähnlichen Zuständen« in Afghanistan sprach und »Rechtssicherheit« für die deutschen Soldaten forderte. In der vergangenen Woche hat Außenminister Guido Westerwelle (FDP) die Lage juristisch neu bewertet: Es herrsche ein »nicht internationaler, bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts«, dies habe »Konsequenzen für die Handlungsbefugnisse der Soldaten«. Das bedeutet: Die deutschen Soldaten dürfen nun nach dem Völkerrecht »militärische Opfer« in Kauf nehmen, solange deren Zahl im Verhältnis zu einem militärischen Vorteil steht.
»Allein die Änderung der Rechtslage schafft also Sicherheit«, freut sich die SZ. Die Sicherheit dürfte allerdings nur für die deutschen Soldaten gelten. Den militärischen Schutz der Zivilbevölkerung vor den Taliban haben die deutschen Truppen stets eher zaghaft betrieben. Und weiterhin dient der Einsatz Westerwelle zufolge »vor allem dazu, unsere eigene Sicherheit zu schützen«. An der Demokratisierung Afghanistans ist der deutschen Politik ohnehin nicht gelegen, wie Merkel, Guttenberg und andere erst kürzlich freimütig bekannt haben. Stattdessen hat die Bundesregierung den in Afghanistan stationierten deutschen Soldaten, die Medienberichten zufolge Kleins Vorgehen durchaus Bewunderung und Respekt entgegenbringen, nun also die juristische Handhabe gegeben, dem Oberst nachzueifern.
Man kann deshalb Mohammed Omar, den Gouverneur der Region Kunduz, verstehen, wenn er mehr US-Truppen in dem Gebiet fordert. »Wir haben einen Feind und wissen, dass er uns töten will. Unsere deutschen Freunde beobachten das und retten uns nicht«, sagte er kürzlich. Die Amerikaner haben zumindest aus der Bombardierung diverser Hochzeitsfeiern gelernt und die Einsatzvorschriften zum Schutz von Zivilisten verschärft. Und während Oberst Klein in deutschen Medien Respekt dafür gezollt wird, dass er vor dem Untersuchungsausschuss aussagt, wurden die beiden US-Piloten, die die Bomben von Kunduz abwarfen, strafversetzt.