Dirk Niebel will die deutsche Entwicklungspolitik neu gestalten

Der Mann, der sich abschaffen wollte

Dirk Niebel hat eine tiefgreifende Wende in der Entwicklungspolitik angekündigt, aber seine Gestaltungsmöglichkeiten arg überschätzt.

Der beklebte Aktenkoffer verschafft Dirk Niebel einen Hauch von Sympathie. Dieses Modell trugen zwar gemeinhin Gymnasiasten in den achtziger Jahren, doch dass ein Minister, noch dazu einer von der FDP, sich nicht vollständig dem Dresscode der Berliner Regierungsbühne anpasst, verdient schon fast Anerkennung. Selbstverständlich sind die meisten Aufkleber in Gelb-Blau gehalten, »J’aime la vie, je suis libéral« und mindestens fünfmal »Niebel« pappen auf dem Aluminiumkoffer. Auch »Schalom« mit Kussmund und »Fight Terror – Support Israel« kann man dort erkennen.
Seit dem Herbst vorigen Jahres ist Niebel der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Vor den Bundestagswahlen wollte der ehemalige FDP-Generalsekretär jenes Ministerium noch abschaffen. Mittlerweile ist davon keine Rede mehr. Alles sei aus einem Guss – mehr Kohärenz verspricht er jetzt, da ja auch das Außen- und das Wirtschaftsministerium in der Hand der FDP seien.

»Wir sind doch kein Weltsozialamt, mein Ministerium ist kein Armutsministerium«, und: »Wir brauchen erst in Deutschland Lehrer und dann in Afrika«, mit diesen Sprüchen machte Niebel von sich reden, als er sein Amt antrat. Die Interessen Deutschlands müssten stärker in den Blick genommen werden, und dazu zählt der Bundesminister die Bekämpfung des Klimawandels, die Verhinderung von Migration und die Sicherheitspolitik. Angesichts solcher Aussagen gab es nicht wenige, die sich fragten, was dieser Mann in diesem Ministerium zu suchen hat. Schließlich hat sich Deutschland zur Armutsbekämpfung verpflichtet. Nicht nur seine Kritiker aus den Oppositionsparteien befürchteten, dass er auch gegenüber den Kooperationspartnern aus Asien, Südosteuropa, Afrika und Mittel- und Südamerika mit diesem wohlstandschauvinistischen Habitus auftreten könnte. Passend dazu machte Niebel deutlich, dass er als Entwicklungsminister auch die Interessen deutscher Unternehmen im Blick behalten wolle, wofür er von Hilfsorganisationen kritisiert wurde.
Nichtsdestotrotz: Niebel spricht aus, was schon immer so war. Die Projekte seines Ministeriums brachten und bringen der deutschen Wirtschaft zahlreiche Aufträge ein. Schließlich geht es im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) nicht um »internationale«, sondern um »wirtschaftliche Zusammenarbeit«, wie der Name schon sagt. Sein Etat ist fast doppelt so hoch wie der des Auswärtigen Amts und reicht schon fast an den des Wirtschaftsministeriums heran. Einer Studie des Münchner Ifo-Instituts zufolge fließt von den Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit fast das Doppelte wieder zurück an Deutschland. Das war zumindest Ende der neunziger Jahre so, dürfte sich aber nicht grundlegend geändert haben. Es geht vor allem um Folgeaufträge, um die Erschließung neuer Märkte und generell um eine stärkere Orientierung an der deutschen Wirtschaft. Das BMZ fördert zudem deutsche Direktinvestitionen, indem es Unternehmen berät, sich für Investitionsschutzabkommen und Kreditbürgschaften einsetzt oder über nahestehende Banken Projekte mitfinanziert.

Die entwicklungspolitische Szene beobachtet Niebel argwöhnisch, kritisiert und belächelt ihn. Franz Nuscheler, der frühere Direktor des Instituts für Entwicklung und Frieden an der Universität Duisburg-Essen, bezeichnete ihn als »größte Peinlichkeit der Regierungsbildung«. In einem Gespräch mit tagesschau.de betonte Nuscheler, dass er nicht nur wenig von der Entwicklungspolitik der neuen Regierung erwarte, sondern gar Negatives.
Etwas zurückhaltender äußert sich Ulrich Post, der Vorsitzende des Verbands Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (Venro). Niebel wage zwar einige vorwitzige Äußerungen, die nicht immer durchdacht seien, doch er lasse sich dann auch eines Besseren belehren. So sei Niebel mit dem Ziel nach Mosambik gefahren, die direkte Budgethilfe für die Regierung in Maputo abzuschaffen, habe aber feststellen müssen, dass die Bundesrepublik sich nun einmal mit zahlreichen anderen Staaten für einige Jahre dazu verpflichtet habe. »Ich halte auch seine Förderung deutscher Unternehmen für verkehrt«, sagt Post, aber hier sei das letzte Wort ebenfalls noch nicht gesprochen. Als er den Minister fragte, ob er wolle, dass nun alle Mitarbeiter der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) wieder mit Mercedes-Geländewagen durch Bangladesh oder Tansania fahren, habe dieser abgewunken und gesagt, dass ihm als Liberalem dies widerstrebe, erzählt Post.
Positiv bewertet Post, wie Niebel bei der geplanten Fusion der großen staatlichen Entwicklungshilfeorganisationen agiert. Bei der Debatte um die Bündelung von Institutionen der GTZ, des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) und der Bildungsagentur Inwent, die teilweise parallel arbeiten, gehe der Minister geschickter als seine Vorgängerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) vor, auch wenn nun die Entwicklungsbank KfW bei der Reform außen vor bleibe. Möglicherweise werden die drei Organisationen bereits im Oktober fusionieren, betroffen wären etwa 4 700 Mitarbeiter.

Für »völlig falsch« hält Post allerdings Niebels Vorschlag, dass die Hilfsorganisationen enger mit der Bundeswehr zusammenarbeiten sollen, insbesondere in Afghanistan. Der langjährige Soldat und Fallschirmjäger hatte gedroht: »Wenn einige Nichtregierungsorganisationen eine besondere Bundeswehrferne pflegen wollen, müssen sie sich andere Geldgeber suchen.« Bereits einen Monat später relativierte Niebel seine Worte und betonte, es gehe nicht um eine Militarisierung der Entwicklungszusammenarbeit, sondern lediglich um ein gemeinsames Vorgehen. Gleichwohl sind Hilfsorganisationen, etwa in Angola oder dem Irak, schon lange darauf angewiesen, dass Transporte, Mitarbeiter oder Einrichtungen (para)militärisch abgesichert werden – was auch immer wieder zu Diskussionen in den Organisationen führt. Eine direkte Zusammenarbeit mit der Bundeswehr hätte aber eine ganz andere Qualität, auch wenn Hunger und Flucht von staatlicher Seite schon lange als »Sicherheitsprobleme« definiert werden, um dann eben auch Militär zur »Ernährungssicherheit« oder zur Flüchtlingsabwehr einzusetzen.
Niebel greift Themen auf, die schon seit längerem im Zentrum der politischen Aufmerksamkeit standen, zum Beispiel das Verhältnis zu China. Er hatte lauthals verkündet, dass es keine weitere Hilfe mehr für das Land geben solle. Die finanzielle Zusammenarbeit mit China ist allerdings schon unter seiner Vorgängerin eingestellt worden. Neue Mittel sind nicht vorgesehen, die laufenden Projekte würden aber ordentlich zu Ende geführt, heißt es aus dem BMZ.
Kurzum: Wahrscheinlich erhöht Niebel den Anteil der bilateralen Hilfe im Vergleich zur multilateralen, da sie mehr Effekte für die deutsche Wirtschaft verspricht. Von einer tiefgreifenden Wende lässt sich aber nicht sprechen – allenfalls was seine rechtspopulistische Rhetorik anbelangt. Insgesamt hat Niebel seine Gestaltungsmöglichkeiten überschätzt. Viele Verträge sind nicht so schnell zu ändern, weil sie noch einige Zeit laufen. Auch was den versprochenen Abbau der Agrarexportsubventionen für Produkte aus den Ländern des Nordens betrifft, bleibt noch offen, wie ernst es Niebel meint und inwieweit er sich in Deutschland und international durchsetzen kann.