Der Krieg gegen die Drogenkartelle in Mexiko

Leichen an der Landstraße

Den »Krieg gegen die Drogen« hat der mexikanische Präsident Felipe Calderón nach Ansicht vieler Experten längst verloren. Doch eine Änderung der Drogenpolitik ist nicht vorgesehen.

»Was hat der Krieg gegen die Drogen uns gebracht?« fragt Juan Machín. Der mexikanische Drogenexperte urteilt: »Nichts außer Toten, die Kriminalisierungsstrategie ist doch längst gescheitert.« Viele andere Experten teilen diese Einschätzung. »Stoppen wir den Krieg gegen die Drogen«, titelte die Tageszeitung El Universal bereits Mitte November vergangenen Jahres, nachdem Reporter des Blattes eine internationale Drogenkonferenz in Albuquerque besucht hatten. Doch der Krieg gegen die Kartelle, den der mexikanische Präsident Felipe Calderón Ende 2006 nach seinem Amtsantritt ausgerufen hat, geht unvermindert weiter.
Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendwo im Norden des Landes, wo mindestens ein halbes Dutzend Kartelle um die Kontrolle über die Vertriebsrouten in die USA kämpfen, ein Opfer des Kriegs zwischen den Narcos und dem Staat aufgefunden wird. Manchmal sind die Leichen säuberlich an einer Landstraße aufgebahrt, manchmal werden die Toten in Erdlöchern verscharrt. Sehr häufig aber werden nur Körperteile gefunden, Gliedmaßen und manchmal auch gehäutete Köpfe, die in Plastiktüten verstaut wurden. Das Magazin Proceso hat sich in einer Doppelausgabe zum Drogenkrieg im vorigen Jahr mit allen Aspekten des Phänomens beschäftigt und sich auch nicht gescheut, einige Bilder zu publizieren. Das hat in Mexiko viel Aufsehen erregt. Geändert hat sich jedoch nichts, wie die ersten Wochen des Jahres belegen.

In Ciudad Juárez starben Anfang Februar 15 Jugendliche, als ein Killerkommando in eine Wohnanlage eindrang und wahllos zu schießen begann. Die Ermordeten hatten offenbar mit dem Drogengeschäft nichts zu tun, höchstwahrscheinlich handelte es sich um eine Verwechslung. Längst ist die Grenzstadt vielen zu gefährlich geworden, 100 000 Bewohner haben sie seit Januar 2008 verlassen, 116 000 Wohnungen stehen aktuellen Studien zufolge leer.
»Der Krieg gegen den organisierten Drogenhandel findet allzu oft auf Kosten der Bevölkerung statt«, kritisiert Juan Machín. Einschränkungen der Grundrechte und Menschenrechtsverletzungen gehen mit der Bekämpfung der Narcos einher. Längst hat die Armee Polizeiaufgaben übernommen, die Soldaten handeln oft ohne rechtliche Grundlage. »Das Militär hat auch Kontrollpunkte auf der Autobahn nach Acapulco aufgebaut, ist in Chilpancingo präsent, aber auch in den Bergen rund um die Provinzstadt Ayutla«, sagt der Anwalt Luis Jerónimo Zavala vom Menschenrechtsnetzwerk im Bundesstaat Guerrero, dem Red Guerrerense.
Die Militäreinsätze im Süden wie im Norden des Landes gelten offiziell immer als Operationen im »Krieg gegen die Drogen«. Doch längst nicht immer geht es um die Capos (Anführer) wie Arturo Beltrán Leyva. Der Boss der Bosse starb Mitte Dezember im Kugelhagel der Polizei, wenig später wurde Eduardo Teodoro García Simental alias »El Teo« verhaftet. Das sind kleine Erfolge im Kampf gegen die großen Kartelle, doch kaum jemand glaubt daran, dass die Organisationen ernstlich geschwächt werden. Denn angesichts der Wirtschaftskrise haben die Kartelle keine Nachwuchssorgen. Die Zahl der Armen stieg vorsichtigen Schätzungen zufolge von 40 auf 46 Millionen.

Während im Norden der Krieg gegen die Drogen tobt, findet im Süden der Krieg gegen die Armen statt, sagt Luís Hernández. Der Journalist der Tageszeitung La Jornada monierte auf einer Tagung der Heinrich-Böll-Stiftung Anfang Februar, dass die mexikanischen Gefängnisse voll mit Kämpfern für den sozialen Wandel seien, und bescheinigte dem Land eine strukturelle Krise auf politischer, ökologischer und ökonomischer Ebene. Komplett diskreditiert sei die Regierung, die im Jahr 2006 nur durch einen Wahlbetrug an die Macht hätte kommen können und sich mit einer harten Drogen- und Sicherheitspolitik die fehlende Legitimität verschaffen wollte.
Seit Ende 2006 starben 15 000 Menschen im Drogenkrieg, doch übernahmen die Kartelle die Kontrolle über ganze Städte. Die Namen Tancitaro, Puerto Palomas oder Namiquipa nennen Experten wie Edgardo Buscaglia von der Autonomen Technischen Universität Mexikos, die die Grenzregion zu den USA beobachten.
Die Straflosigkeit (impunidad) ist nicht nur in diesen Grenzstädten ein Problem. Mitglieder der Kartelle können sich häufig freikaufen. Die Korruption im Justizsystem sei ein weiteres Merkmal, das Mexiko dem Kolumbien des Jahres 1991 ähnlich werden lässt, sagt der Menschenrechtsanwalt Vidulfo Rosales aus dem Bundesstaat Guerrero. Doch in Mexiko existieren sechs große Kartelle, während es in Kolumbien damals nur zwei gab, von denen eines, das Medellín-Kartell Pablo Escobars, gegen die Auslieferung ihres Capos an die USA kämpfte.
Kolumbien wurde damals häufig zu einem »gescheiterten Staat« erklärt, das widerfährt nun auch Mexiko. Dass bei der Auflösung staatlicher Strukturen auch die strikte, unter dem Druck der USA angewendete Kriminalisierungsstrategie eine Rolle spielt, hat selbst die US-Außenministerin Hillary Clinton vor einigen Monaten zugegeben. Politische Veränderungen erfolgten jedoch nicht. So wurde die Mérida-Initiative, das mexikanische Pendant zum Plan Colombia, ausgeweitet. Es wird mehr Geld für den Kampf gegen Drogen und die organisierte Kriminalität gezahlt, verwendet wird es überwiegend für den Kauf von militärischer Ausrüstung und Überwachungstechnologie. An der der prekären sozialen Situation und der Korruption wird das nichts ändern.

Es sorgte für Empörung, dass Joaquín »Chapo« Guzmán, der Boss des Sinaloa-Kartells, in der Milliardärsliste des US-Magazins Forbes aufgeführt wurde. Möglich war der Aufstieg des Capos jedoch nur, weil er über beste Kontakte ins Establishment verfügt. Viele Polizeieinheiten stehen auf der Lohnliste der Kartelle, und schätzungsweise 20 Prozent der Wirtschaftsleistung des mexikanischen Bundesstaats Sinaloa beruhen auf dem Drogenhandel. Längst widmen sich die Kartelle auch anderen Geschäftsfeldern wie der Prostitution, Entführungen oder der Software-Piraterie. Nur mit grundsätzlichen Reformen könnten die Probleme bewältigt werden, sagt der Journalist Luis Hernández. Doch im Jubiläumsjahr der mexikanischen Revolution ist niemand in Sicht, der solche Reformen initiieren könnte.