Die Verschuldung des europäischen Fußballs

Ruin durch Abstieg

Um der Verschuldung im europäischen Fußball entgegenzuwirken, müssen neue Lösungen her. Eine Möglichkeit wäre, sich am ­Vorbild des US-amerikanischen Football zu orientieren.

Der englischen Premier League geht es finanziell schlecht. Viele der Vereine haben in den vergangenen Jahren Schulden angehäuft, die auch während wirtschaftlicher Hochzeiten kaum noch handhabbar wären. Entsprechende Warnungen gab es schon lange, aber bisher wurde die Finanzmisere von der Ligaverwaltung und den Clubs immer abgestritten.
Die Probleme sind vielfältig. Es gibt zum einen eine Kultur der Beleihung der Zukunft, man nimmt Kredite auf Einnahmen der kommenden Jahre auf. Damit finanziert man höhere Ablösesummen und Gehälter für Spieler, als man sich eigentlich leisten kann, in der Hoffnung, durch die mit diesen Spielern erreichten größeren Erfolge höhere Einnahmen zu erzielen. Dieser gängigen Praxis will der Präsident der Uefa, Michel Platini, nun entgegenwirken. Er setzte durch, dass Clubs, die über Jahre hinweg im Minus operieren, nicht mehr an der Champions oder Euro League teilnehmen dürfen.
Betroffen wären von der neuen Regelung nicht nur die Vereine der Premier League, sondern auch solche, die aus der Football Championship, der zweiten englischen Liga, aufsteigen wollen – Jahr für Jahr handelt es sich bei diesen Liga-Neulingen um nichts weiter als schon längst über die eigentliche Belastungsgrenze hinausgeschossene Firmen. Entsprechend können sich die Newcomer, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, meist auch nicht lange in der Liga halten. So spielten in der seit 1992 bestehenden und 20 Teams umfassenden Premier League bisher 43 verschiedene Clubs. Seit 1996 haben nur drei Teams – Manchester United mit sieben, Arsenal mit drei und Chelsea mit zwei Titeln – die Meisterschaft unter sich ausgemacht.
Durch die Wirtschaftskrise ergibt sich nun jedoch ein weiteres Problem. Dazu muss man wissen, dass die Clubs im englischen Fußball Firmen in Privatbesitz sind – im Gegensatz zum deutschen Fußball, wo höchstens 49 Prozent der Fußballgesellschaften von den Clubs verkauft werden dürfen; 51 Prozent müssen dem Verein und damit dessen Mitgliedern gehören.
Von der Struktur her ist die Premier League eher mit den US-amerikanischen Franchise-Ligen vergleichbar, bietet aber nicht deren Sicherheit. Eine schlechte Saison in der Premier League kann den Abstieg bedeuten – und damit in den meisten Fällen den finanziellen Ruin. In der Football Championship betragen die Einnahmen aus dem Verkauf der Senderechte nur 7,5 Prozent im Vergleich zur Premier League, gemeinsam mit den Verlusten beim Sponsoring ergeben sich jährlich geschätzte Mindereinnahmen von 60 Millionen Pfund, Tendenz steigend.
Zusätzlich haben viele dieser Premier-League-Clubs finanzielle Verpflichtungen, die durch ihren Verkauf entstanden sind, zum Beispiel auch Manchester United. Dessen Besitzer Malcolm Glazer hat zum Kauf des Vereins Schulden in Höhe von 700 Millionen Pfund aufgenommen und diese dann nach dem Erwerb in den Club transferiert – so muss die Firma für die Zinsen aufkommen –, und Manchester United ist mit 59 Prozent seines Wertes verschuldet.
Da die Premier League die Sport-Liga mit der größten Verbreitung und der größten Bekanntheit ist, verwundert es nicht, dass Manchester United mit einem von Forbes geschätzten Wert von 1,87 Milliarden Dollar wertvollste Team im Sport ist. Andere Fußballvereine finden sich aber nicht unter den Top Ten der Forbes-Liste. Nur Arsenal, Liverpool und Chelsea sind nach den Schätzungen wertvoller als die Oakland Raiders, das Team mit dem am niedrigsten veranschlagten Wert innerhalb der US-amerikanischen National Football League (NFL).
Da Auf- und Abstieg in den europäischen Sport-Ligen von denkbar größter Bedeutung sind, wird die Ligen-Rotation im Allgemeinen nicht als Grund für die wirtschaftlichen Probleme angeführt. Dabei zeigt gerade die Menge der neuen Stadien in den USA, wie wichtig Planungssicherheit ist. Die Dallas Cowboys haben beispielsweise Mitte 2009 ein Stadion für 1,3 Milliarden Dollar gebaut und eröffnet, die New York Giants errichten gemeinsam mit den New York Jets gerade eine große Version der Münchner Allianz-Arena für die Saison 2010. Insgesamt wurden in den vergangenen 15 Jahren 19 neue Stadien errichtet, drei weitere sind in Planung. Allerdings ist es eben schwer, mehrere 100 Millionen zu organisieren, wenn man nicht mit absoluter Sicherheit versprechen kann, vier Jahre nach der Beendigung der Bauarbeiten noch erstklassig zu sein.
In Europa verweist man lieber auf die drastisch ansteigenden Spielergehälter als Grund für die steigende Verschuldung der Vereine. Und auch hier fungiert die NFL mit einer Salary Cap, deutsch: Gehaltsbegrenzung, als Beispiel dafür, wie es anders gehen könnte. Dort hat man mit der Gewerkschaft der Footballspieler einen Tarifvertrag, das Collective Bargain Agreement, der neben Spielerwechsel, Draft, Trainingslagerdauer und vielen anderen Details sowohl die maximalen als auch die minimalen Kosten für Spieler vorschreibt, an die sich ein Verein halten muss. Die Obergrenze für die gesamten Spielergehälter eines Teams berechnet sich so: Die Einnahmen der Liga werden geteilt durch 32, die Anzahl der Teams. 59 Prozent dieser Summe ergeben die Gehaltsobergrenze für jedes Team. Andererseits dürfen die Ausgaben für Spielergehälter 87,5 Prozent der Obergrenze nicht unterschreiten. Damit sind also die Gehaltsausgaben jedes Teams nach oben und unten begrenzt. Dies soll zum einen natürlich dazu führen, dass die Leistung relativ ausgewogen ist, da man nicht alle Stars auf ein paar wenige Teams verteilen kann. Andererseits ist es aber auch fast unmöglich, dass ein Team längerfristig rote Zahlen schreibt.
In den USA haben die Eigentümer der NFL-Teams das Collective Bargain Agreement allerdings vor zwei Jahren gekündigt, damit wird es in der Saison 2010 keine Salary Cap mehr geben – es sei denn, man würde sich mit der Spielergewerkschaft bis zum 1. März noch überraschend auf einen neuen Tarifvertrag einigen. Gekündigt wurde der Vertrag, weil den Eigentümern der Anteil für die Spieler zu groß war – schließlich müssen von den restlichen 41 Prozent neue Stadien, Trainingsgelände, Coaches, Forschung, Gesundheitswesen, Altersvorsorge für Spieler, Verwaltung und Reisen finanziert werden, so dass nicht mehr viel Geld für PR übrig bleibt. Hungern müssen die Vereine natürlich nicht, die Gewinne sind in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 100 Prozent gestiegen, kommen aber zu 59 Prozent den Spielern zugute.
Insofern scheint eine Salary Cap eigentlich eine gute Maßnahme gegen die Überschuldung zu sein. Nur müsste sie eben gegen die großen Vereine der Premier League durchgesetzt werden, was derzeit unmöglich sein dürfte.
Vielleicht braucht es dazu die Insolvenz eines Clubs mitten in der Saison. David Sullivan, ehemaliger Mitbesitzer von Birmingham City, hat sich in den vergangenen Monaten die Bilanzen von 20 Clubs aus oder nahe der Premier League angesehen, da er gerne wieder in einen Verein investieren wollte. Er hält die Wahrscheinlichkeit, dass einer dieser 20 Clubs noch dieses Jahr pleite gehen wird, für sehr hoch – welchen es treffen könnte, sagte er allerdings nicht.