Die militante Hausbesetzer-Bewegung in den Niederlanden

Damals die Panzer, heute das Gesetz

Vor 30 Jahren setzte die Polizei in Amsterdam Panzerwagen ein, um ein besetztes Haus in der Innenstadt zu räumen. Das war der Anfang der militanten Kraker-Bewegung, die sich schnell auch nach Deutschland ausbreitete. 30 Jahre lang wurden Hausbesetzungen in den Niederlanden geduldet. Heute soll das Kraken zur Straftat werden.

Es war nichts Sensationelles, als am 23. Februar 1980 ein Haus in der Vondelstraat im Zentrum von Amsterdam besetzt wurde. Auch wunderte sich niemand, als das Haus in derselben Nacht von der Polizei geräumt wurde. Hausbesetzungen und anschließende Räumungen oder zumindest Räumungsversuche gab es damals in der niederländischen Hauptstadt fast jede Woche. Trotzdem war die Räumung in der Vondelstraat etwas Besonderes. Sechs Panzerwagen wurden eingesetzt, während ein Hubschrauber der Polizei Flugblätter abwarf: »Bleiben Sie zuhause, die Polizei hat das Recht zu schießen«, lautete die Warnung an die Bevölkerung.
Die Besetzer bereiteten sich auf den Kampf vor. »Wir sammelten Helme, Stöcke und alles, was man braucht, um sich zu verteidigen«, erinnert sich Theo van der Giessen, der damals eine leitende Figur der Besetzerbewegung war, im Dokumentarfilm »De Stad was van Ons«.

Van der Giessen war 1979 am Kampf um den besetzten Komplex »Groote Keyser« beteiligt. Das Haus wurde zu einer Festung, die Polizei schaffte es am Ende nicht, es zu räumen, denn sie fürchtete, es könnte viele Verletzte oder sogar Tote geben.
Der Kampf um den Keyser zeigte damals eine neue Militanz der Hausbesetzerbewegung. Besetzungen gab es in Amsterdam schon lange. Ende der siebziger Jahre zählte die Stadt über 5 000 Besetzer in mehr als 150 Häusern. Aber bisher hatten sich die Aktivisten nur mit passivem Widerstand gegen die Räumungen gewehrt. Der Keyser zeigte, dass die Zeit der Zugeständnisse vorbei war.
Ein Jahr später kam es in der Vondelstraat zu heftigen Krawallen. Das Haus wurde nach einer Frist von 24 Stunden zunächst geräumt. Doch die Kraker leisteten diesmal nicht nur passiven Widerstand. Sie drangen wieder in das Haus ein und errichteten Barrikaden auf beiden Seiten der Straße. Die Resonanz war enorm. Stadtbewohner und Journalisten besuchten die Vondelstraat. Die Bewohner brachten den Besetzern Essen und Decken. Das Stadtradio übertrug live die Verhandlungen zwischen den Besetzern und der Stadtregierung. Die Polizei griff mit einem Hubschrauber und Panzerwagen ein, 1 500 Polizisten, darunter Scharfschützen, waren im Einsatz. Die Polizei schaffte es jedoch nicht, das Haus zu räumen.

Die Bilder der Panzer, die durch die Vondelstraat fuhren und den Eindruck einer bürgerkriegsähnlichen Situation erweckten, gingen um die Welt. »Es ist Krieg«, schrieb Der Spiegel. Auch in der deutschen linken Szene wurden die Ereignisse in Amsterdam intensiv verfolgt.
Zwei Wochen später war die Krönung von Prinzessin Beatrix der Anlass für weitere militante Demonstrationen. Tausende Menschen gingen auf die Straße und demonstrierten gegen die Wohnungsnot in Amsterdam. »70 Millionen für Trix, für 35 000 Wohnungssuchende nix« oder »Keine Wohnung, keine Krönung« lauteten die Slogans.
Von Amsterdam breitete sich die Bewegung erst nach Zürich aus, wo die »Opernhauskrawalle« im Mai 1980 eine Welle von militanten Protesten auslösten. In Bremen kam es ebenfalls im Mai zu heftigen Ausschreitungen bei der Feier zum 25. Jahrestag des Beitritts der BRD zur Nato. Auch in Berlin wurden 1980 Dutzende Häuser besetzt. Der Kontakt zwischen deutschen und niederländischen Hausbesetzern wurde bald enger, die Kraker wurden nach Deutschland eingeladen, um Erlebnisse und Kenntnisse mit den deutschen Hausbesetzern auszutauschen. Mit Fotos, Filmen und Broschüren reisten die Kraker nicht nur nach Berlin, Hamburg und Nürnberg. Zwischen den beiden Ländern entstand ein Netzwerk von reisenden Hausbesetzern, Künstlern und immer mehr »Krawalltouristen«.
Innerhalb eines Jahres wurden selbst in deutschen Kleinstädten Häuser besetzt. Der Bezug auf die niederländische Kraker-Bewegung war teilweise sehr stark. Als Ende 1980 in Gießen ein Haus besetzt wurde, war auf dem Plakat, das nach der Besetzung ausgehängt wurde, nicht nur zu lesen: »Dieses Haus wird von uns besetzt«, sondern auch: »Gekrakt!«

In den vergangenen drei Jahrzehnten hat sich in der Kraker-Szene in Amsterdam viel geändert. Die niederländische Hauptstadt wurde zum Zen­trum eines internationalen Netzwerks von Hausbesetzern. Das Kraken wurde jahrzehntelang geduldet, wenn Gebäude mindestens ein Jahr leergestanden hatten. Bei einer ordentlichen Hausbesetzung musste man lediglich einen Stuhl, einen Tisch und eine Matratze mitbringen und sich bei der Polizei anmelden. Hauseigentümer konnten das Objekt nur dann räumen lassen, wenn sie gegenüber einem Richter Nutzungspläne nachweisen konnten.
Damit soll nun Schluss sein. Im Oktober stimmte das niederländische Parlament einem Beschluss zu, der das Kraken illegal machen soll. Entscheidend für die Mehrheit im Parlament war die Unterstützung der rechtspopulistischen Freiheitspartei von Geert Wilders. Der PVV ist es zu verdanken, dass das geplante Strafmaß von vier Monaten für das Besetzen eines leerstehenden Gebäudes auf ein Jahr angehoben wurde. Mit dem Gesetz, dessen Entwurf lange und heftig umstritten war, gilt die Besetzung leerstehender Häuser nun als Hausfriedensbruch und kann mit einem Jahr Gefängnis bestraft werden. Wenn Kraker mit Einschüchterungen oder Gewalt vorgehen, soll die Haftstrafe auf zwei Jahre verdoppelt werden. Und bei Gewaltanwendung durch ganze Gruppen von Krakern ist eine Höchststrafe von zwei Jahren und acht Monaten vorgesehen.
Die Rechtspopulisten argumentieren dabei nicht nur mit den Eigentümerrechten, sondern auch damit, dass ein Verbot für Hausbesetzungen Amsterdam unter anderem von »Asozialen« und »kriminellen Ausländern« befreien würde.
Nach der Abstimmung im Oktober zeigten die niederländischen Kraker jedoch, dass sie sich von dem neuen Gesetz nicht einschüchtern lassen wollen. Das geplante Verbot könnte der Kraker-Bewegung eine neue Chance für erfolgreiche Mo­bilisierungen bieten.