Bankrotte Kommunen in Nordrhein-Westfalen

Kommunale Sparwelle

Die beschlossenen Steuerentlastungen bringen Städte und Kommunen in wirtschaftliche Bedrängnis. In Nordrheinwestfalen wird dies ein Wahlkampfthema werden.

Auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt im Stadtzentrum von Gütersloh stehen Autos, die man mancherorts als »Luxuslimousinen« bezeichnen würden. Geländewagen, BMW und Volvo dominieren hier eindeutig. Ein kleiner Golf aus den frühen neunziger Jahren wirkt in dieser Umgebung beinahe schon wie eine Punkrockgeste. Im Geschäft begegnet man unauffällig gut geklei­deten Menschen mittleren Alters, von denen sich kein einziger bückt, um etwas Billiges aus den unteren Regalreihen mitzunehmen.

In Gütersloh geht es den Menschen noch gut, denkt man, zumindest in finanzieller Hinsicht. Die Stadt steckt trotzdem in Schwierigkeiten, wie so viele andere Kommunen in Nordrheinwestfalen, und viele greifen zu ähnlichen Sparmaßnahmen. Die Parkgebühren werden erhöht, die Hundesteuer wird angehoben, und an der Pflege der öffentlichen Grünanlagen wird gespart. Für eine mittelgroße Stadt hat Gütersloh tatsächlich einen prachtvollen und weitläufigen Stadtpark. Mit Botanischem Garten und einem Kräutergarten für die Freunde der Naturheilkunde, das kostet Geld. Auf der verschneiten Hundewiese im Stadtpark merkt man den Besitzern wenig Unmut über die Steuererhöhung für ihre Vierbeiner an. »Damit liegen wir zumindest ganz im Trend.«
Mit dieser Einschätzung hat der Mann völlig recht, und andere Kommunen haben sich ohnehin schon viel kapriziösere Ideen einfallen lassen. Im südwestfälischen Nachrodt-Wiblingswerde dachte man darüber nach, für Kampfhunde ­einen Steuersatz von 600 Euro einzuführen. Diese Kategorie traf jedoch nur auf vier oder fünf Tiere in der Gemeinde zu, und nachdem bei einem »Wesenstest« herauskam, dass allesamt zu brav für einen Maulkorb waren, fasste man den Beschluss, dass auf diese Einnahmequelle wohl verzichtet werden müsse. In Köln wird mit einer Einsatztruppe aus Stadtangestellten die Suche nach steuersäumigen Hunden forciert. Eigentlich verdienen Städte mit der Hundesteuer nur wenig, aber angesichts der finanziellen Notlage scheint jeder Cent zu zählen. »Die höhere Grundsteuer auf mein Haus macht sich bei mir finan­ziell schon bemerkbar, und die Parkgebühren spüren wir wahrscheinlich auch bald. Das summiert sich einfach, und wahrscheinlich kommt da noch einiges auf uns zu«, befürchtet eine Besucherin des Gütersloher Stadtparks.

Die überwiegende Mehrheit der nordrheinwestfälischen Kommunen hat neben Gebührenerhöhungen auch drastische Sparmaßnahmen angekündigt. In Mönchengladbach und Krefeld wurden die Kosten für Abfall, Abwasser und Straßenreinigung angehoben. Die Stadt Solingen schaltet nachts die Straßenbeleuchtung aus, und in Leverkusen ist der Unterricht an Musikschulen richtig teuer geworden. Wuppertal plant, den Etat für die Kultur um 30 Prozent zu kürzen, und der Bürgermeister der Stadt Moers sprach schon vor Weihnachten davon, dass die Stadt kurz vor dem Offenbarungseid stehe.
Ein paar Kilometer weiter sieht es noch schlechter aus: »Bäder schließen oder Wassertemperatur senken, das bringt bei uns nichts mehr, weil wir das schon hinter uns haben«, erklärte Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU). Der Stadt steht landesweit das größte Sparprogramm bevor, in diesem Jahr wird ein Sparziel von 66 Millionen Euro anvisiert, für das kommende Jahr werden Einsparungen von 100 Millionen Euro angekündigt. Die Bürgermeister und Stadtkämmerer sehen vor allem in der Wirtschaftskrise und dem von der schwarz-gelben Regierung verabschiedeten Wachstumsbeschleu­nigungsgesetz die Ursachen für ihre prekäre Situation.

Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, kritisiert, die beschlossene Steuersenkung sei ein Geschenk an die Bürger, das jedoch einen Bumerang-Effekt habe. Dabei kommt dieses Geschenk nicht einmal bei allen Bürgern an. Geringverdiener profitieren von den Steuersenkungen keinesfalls, die steuerlichen Erleichterungen werden erst bei mittleren Einkommen überhaupt wirksam. Von den Gebührenerhöhungen der Kommunen sind hingegen alle Bürger, auch die prekär Beschäftigten sowie die Bezieher von Transferleistungen betroffen.
In Nordrheinwestfalen wurde in den vergangenen Jahren die Verschuldung von Städten vor ­allem mit dem Blick auf sogenannte Standortfaktoren geführt. Und eigentlich ging es dabei immer nur um das Ruhrgebiet. Die chronische Finanzschwäche der Region wurde als Folge des Strukturwandels gewertet. Um die Standorte Köln oder Düsseldorf machte man sich eher keine Sorgen. Und um Gütersloh vermutlich auch nicht. Das Haushaltsjahr 2010 begann für die Stadt mit einem Defizit von fast 27 Millionen, obwohl es ihr keinesfalls an industriellen Schwergewichten mangelt. Dieser Standortvorteil fördert jedoch auch die Beschäftigung im Niedriglohnsektor. Dementsprechend haben sich in den vergangenen Jahren verstärkt Zeit- und Leiharbeitsfirmen angesiedelt.
Im Stadtzentrum von Gütersloh haben Konzerne wie Bertelsmann und Miele ihren Hauptsitz. Miele konnte sich im vergangenen Jahr über den größten Einzelauftrag seiner Firmengeschichte freuen. Das Unternehmen lieferte die Einbaugeräte für die Luxusküchen der 900 Appartements im höchsten Gebäude der Welt, dem Burij Dubai. Auch bei Bertelsmann läuft es derzeit relativ gut. Am 25. Januar verkündete Europas größtes Medienunternehmen, dass das schwierige Geschäftsjahr 2009 mit Gewinn abgeschlossen werden konnte. Die Bertelsmann AG feiert in diesem Jahr ihr 175-jähriges Jubiläum, im September wird der Konzern einen Festakt im Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt veranstalten. Erwartet werden über 1 000 prominente Gäste aus Wirtschaft, Politik und Kultur. Studien, die von der Bertelmann-Stiftung in Auftrag gegeben werden, würdigen regelmäßig die positive Wirkung der Hartz-Reformen.
»Die Städte müssen sich an eine ganz andere Armutsproblematik gewöhnen«, sagt Hans-Jürgen Franz, der Geschäftsfraktionsführer der Güters­loher SPD. Besorgniserregend findet er vor allem die drohenden Einsparungen in der Jugendhilfe, er befürchtet, dass damit nachhaltig Strukturen zerstört werden. Um einer drohenden Haushaltssicherung zu entgehen, werden in Gütersloh derzeit zahlreiche Posten des Etats zur Disposition gestellt. Die Bürger werden zwar in die Planungen einbezogen, aber am strikten Sparkurs dürfte das kaum etwas ändern.
Am Freitag voriger Woche forderte Frank-Walter Steinmeier (SPD) einen Rettungsschirm für die Kommunen. Die gleiche Forderung hatten zahlreiche Bürgermeister aus Nordrheinwestfalen schon einige Wochen zuvor gestellt. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) plant nun die Gründung einer Regierungskommission, die sich mit der Zukunft der kommunalen Finanzen beschäftigen soll. Für den 4. März ist ein Treffen mit den Finanzministern der Bundesländer und kommunalen Vertretern geplant. Die Städte und Gemeinden rechnen mit der Zusage für eine Unterstützung mit Bundesmitteln. Und diese Hoffnung ist sicherlich berechtigt. Am 9. Mai finden in Nordrheinwestfalen die Landtagswahlen statt, und angesichts der Umfragewerte dürften weder die schwarz-gelbe Landesregierung noch die Bundesregierung besonders optimistisch sein. Es geht um die Mehrheit im Bundesrat, und für die Möglichkeit der Machtkonsolidierung ist eigentlich immer Geld vorhanden.