Vom Tellerwäscher zum Abgeordneten

»Ich bedauere den Irrtum«, sagte Ricardo Lumengo, nachdem die Schweizer Boulevardzeitung Blick in der vergangenen Woche berichtet hatte, dass der 48jährige Parlamentarier der Sozialdemokratischen Partei (SP) bei Wahlen in den Jahren 2006 und 2007 einige Stimmzettel eigenhändig ausgefüllt habe. Er habe »zu keinem Zeitpunkt Wahlfälschung« begehen wollen, rechtfertigt sich Lumengo. Vielmehr habe er sich »sehr stark engagiert« und Wähler »beim Ausfüllen des Zettels unterstützt«, aber ihre Entscheidung nicht beeinflusst. Einige Wähler hätten dann keinen neuen Stimmzettel ausgefüllt, deshalb sei seine Handschrift auf einigen Wahlscheinen zu finden.
Die Untersuchung des Falls ist noch nicht abgeschlossen, doch viele Schweizer vermuten politische Motive hinter den Anschuldigungen. Denn Lumengo ist der erste schwarze Abgeordnete im Nationalrat, dem Schweizer Parlament. Als politisch aktiver Student wurde er im Bürgerkriegsland Angola verfolgt, 1982 floh er in die Schweiz. Damals durften Asylbewerber fast ohne Einschränkungen arbeiten. Lumengo begann als Tellerwäscher in einem Restaurant, bekam nach ein paar Jahren die Aufenthaltsbewilligung, studierte Jura und trat 1996 in die SP ein. Andreas Sutter, Mitglied der rechtskonservativen SVP, bezeichnete Lumengos Karriere als »erstaunlich«. Im Jahr 2004 wurde Lumengo kommunaler Abgeordneter in Biel, zwei Jahre später stieg er in das Parlament des Kantons Bern auf, seit 2007 sitzt er im Nationalrat. Möglicherweise profitierte er damals von der rassistischen Kampagne der SVP (Jungle World 43/07), die mit Plakaten warb, auf denen schwarze und weiße Schafe abgebildet waren. Manche Medien vermuten, dass viele Schweizer sich damals auch deshalb für das »schwarze Schaf« Lumengo entschieden.
Eine politische Karriere wie die seine sei heute für einen schwarzen ehemaligen Asylbewerber nicht mehr möglich, sagt Lumengo. Seinen Gegnern scheinen die Vorwürfe gegen ihn gelegen zu kommen. Er erhielt seit der Veröffentlichung im Blick zahlreiche Briefe, Anrufe und E-Mails mit rassistischen Beleidigungen. Doch es gibt auch Schweizer, die ihn verteidigen. So stellt Pacha K. Mac auf der Website der Zeitung 24 heures die Frage, ob der Hauptanklagepunkt nicht in Wahrheit Lumengos Hautfarbe sei.