Wahlkampf im Irak

Die Wahlprofis des Nahen Ostens

Im Irak finden am 7. März Parlamentswahlen statt. Die Konkurrenz zwischen den Parteien ist heftiger geworden, doch es gibt weniger Gewalttaten im Wahlkampf.

Aram Jamal hat dieser Tage wenig Zeit. Der Leiter des Kurdish Institues for Elections (KIE), einer NGO mit Sitz in Suleymaniah, ist mit der Vorbereitung der kommenden irakischen Parlamentswahlen am 7. März beschäftigt. Im ganzen Land findet seit Mitte Februar nicht nur der Wahlkampf selbst statt. Überall veranstalten, meist mit ausländischer finanzieller Hilfe, Organisationen wie das KIE Seminare, bereiten sich auf die Wahlbeobachtung vor und überwachen, ob die Wahlkampfregeln, die etwa religiöse Symbole auf Plakaten verbieten, eingehalten werden.
Jamal zeigt Listen von Teilnehmern eines Kurses, den eine andere Organisation an der iranischen Grenze durchgeführt hat. Fast die Hälfte aller Teilnehmer hat nicht unterschrieben, sondern mit einem Daumenabdruck auf der Liste unterzeichnet. Schließlich ist noch immer ein Großteil vor allem der ländlichen Bevölkerung im Irak analphabetisch. Die Iraker sind nun einmal mehr aufgerufen, sich zwischen insgesamt 6 000 Kandidaten aus einer unübersichtlichen Menge von Parteien und Listen zu entscheiden.
Doch nicht nur das KIE, auch die Parteien treten nun weit professioneller auf als noch bei den ersten Wahlen vor fünf Jahren. Jamal lächelt: »Wir sind im Nahen Osten die Wahlprofis geworden.« Insgesamt sieben Abstimmungen seit dem Sturz Saddam Husseins hat seine Organisation inzwischen begleitet. »Wählen ist zu etwas ganz Selbstverständlichem geworden«, meint er, »und immerhin geht es jetzt schon um die Zukunft des dritten Premierministers im Irak nach Saddam.«
Entsprechend ernst nimmt man das Ereignis. Am 7. März werden in Suleymaniah wieder Hunderte lokale Wahlbeobachter ausschwärmen und in so gut wie jedem Wahllokal vertreten sein. Anders als den Provinzen Dohuk und Arbil, in denen es im vergangenen Sommer bei den Wahlen zum kurdischen Parlament zu Manipulationen gekommen sein soll, attestiert die irakische Wahlkommission Suleymaniah, inzwischen zu den »ehrlichen« Regionen zu gehören.

Dabei tobt hier der Wahlkampf besonders heftig, denn die vorherrschende Patriotische Union Kurdistans (Puk), die zu Wahlen auf einer Einheitsliste mit ihrer ehemaligen Konkurrentin KDP (Kurdische Demokratische Partei) antritt, hat mit der Goran-Bewegung gefährliche Konkurrenz bekommen. Kaum gegründet, gewann Goran mit dem Versprechen, für Transparenz und Veränderung einzutreten, fast überall in der Provinz Suleymaniah die Mehrheit der Stimmen (Jungle World 32/09). Bislang hat die Puk diese Niederlage nicht verkraftet, und sie steht nun vor der nächsten großen Herausforderung. Sollte Goran in Kirkuk, der außerhalb der kurdischen Autonomiegebiete liegenden Erdölstadt, ähnlich gut abschneiden, könnte dies das Ende der Puk sein. Es geht also ums Ganze, daran gemessen ist der Wahlkampf bislang noch recht fair, nur einige Übergriffe auf Anhänger von Goran wurden gemeldet.
Wie überall im Irak wird auch in Suleymaniah nicht nur mit Reden und Autokorsos gekämpft. Vor allem jene Parteien, die sich aus dem Staatsbudget bedienen können, versuchen, Wählerstimmen einzukaufen. Im ganzen Land wird dieser Tage Geld großzügig verteilt, im Südirak soll eine Partei sogar versucht haben, mit Kühlschränken und Ventilatoren Unterstützer zu gewinnen.
Diese etwas ungewöhnlichen Maßnahmen zeigen aber auch, wie sich die politischen Verhältnisse im Irak in den vergangenen Jahren geändert haben. Denn nicht nur in Suleymaniah ist die Konkurrenz zwischen den Parteien inzwischen heftig. Auch im Süden des Landes treten ehemalige Verbündete nun gegeneinander an. Im Jahr 2005 war die Lage noch recht übersichtlich, im Süden gab es einen Block aus schiitischen Parteien, im Norden kandidierten die Kurden auf einer gemeinsamen Liste, und in der Mitte des Landes entschieden sich die meisten Sunniten, die Wahlen zu boykottieren. Mittlerweile hat sich das Spektrum aufgefächert. Immerhin gibt es, anders als in der Vergangenheit, keine relevante Oppositionsströmung, die sich gegen die Wahlen ausspricht. So gut wie alle Gruppen und Parteien im Irak, al-Qaida einmal ausgenommen, halten sich inzwischen an die parlamentarischen Regeln.
Im Südirak konkurriert die von Präsident Nuri al-Maliki angeführte Allianz für Rechtsstaatlichkeit mit der Irakischen Nationalen Allianz, einem Zusammenschluss, der geführt wird von zwei ehemals verfeindeten Parteien, dem Hohen islamischen Rat und den Sadristen, deren Miliz noch vor einigen Jahren gegen die Regierung kämpfte. Auch wenn Maliki bei den vorigen Kommunalwahlen mit seinem nationalistischen Programm, das vor allem Sicherheit und Ordnung verspricht, gut angekommen ist, liegen in den Umfragen beide Allianzen mehr oder minder gleichauf. Kaum Stimmen können allerdings den Umfragen zufolge die Kommunisten erwarten, denen es nach 2003 selbst in ihren traditionellen Hochburgen wie Nassiriyah nicht geglückt ist, an ihre früheren Erfolge anzuknüpfen.
Die meisten Beobachter gehen davon aus, dass keine Liste eine Mehrheit erringen wird. Da die beiden Allianzen keineswegs homogen sind, sondern Schiiten und Sunniten vereinen, deren Bündnis eher pragmatischer denn programmatischer Natur ist, wird ein extrem schwieriger Regierungsbildungsprozess erwartet. Schon der Wahltermin musste mehrmals verschoben werden, da es fast unüberbrückbare Differenzen über eine Reform des Wahlsystems gab.

Es sind wohl die letzten Wahlen im Irak, die unter dem Schutz amerikanischer Truppen abgehalten werden. Bis zum August sollen alle US-Kampfeinheiten aus dem Land abziehen. Ob eine neue irakische Regierung dann alleine für Sicherheit sorgen kann, ist äußerst fraglich. Zweifelsohne hat sich die Lage im Irak in den vergangenen Jahren erheblich verbessert. Abgesehen von der Stadt Mossul, in der es gerade wieder zu mehreren Morden an Christen gekommen ist, blieb es bislang vergleichsweise ruhig. Es kam im Wahlkampf bislang nicht zu befürchteten Gewalttaten oder Anschlägen.

Viele Iraker fürchten insbesondere einen wachsenden Einfluss des Iran. Alle schiitischen Parteien stehen in dem Ruf, mehr oder minder offen mit dem iranischen Regime zu kollaborieren. Dies wiederum betrachten viele Sunniten mit großer Sorge. Immer wieder hört man von sunnitischen Politikern, dass der Iran plane, das Land nach dem Abzug der US-Truppen zu übernehmen. Zudem hatte das Komitee zur Deba’athifizierung unter den Kandidaten 500 ehemalige Ba’athisten ausgemacht und sie von der Wahl ausgeschlossen. Unter ihnen befanden sich überdurchschnittlich viele Sunniten, aber auch Anhänger der als säkular geltenden Liste des ehemaligen schiitischen Premierministers Iyad Allawi. Der Ausschluss der Kandidaten wurde zwar von vielen Kurden und Schiiten begrüßt, aber von zahlreichen Sunniten als ein auf iranische Einflussnahme zurückzuführender Eingriff in den Wahlkampf gewertet.

Kontroversen gibt es also genug, nur scheinen den Umfragen zufolge die meisten Wähler sich wenig um diesen Streit zwischen den Parteien zu scheren. Sie erhoffen sich von einer neuen Regierung vor allem mehr Arbeitsplätze und eine verbesserte öffentliche Infrastruktur. Selbst die Sicherheit rangiert nur noch auf dem fünften Platz der Prioritätenliste. Eine Mehrheit bezweifelt aber, dass die neue Regierung, wer auch immer sie bildet, den Herausforderungen der nächsten Jahre gewachsen sein wird. Jamal fasst das Problem zusammen: »Die meisten Leute glauben inzwischen an die Demokratie, vertrauen aber keiner der Parteien.« Das wiederum klingt so, als nähere sich der Irak einer gewissen Normalität.