Sarkozy in Ruanda und Gabun

Fehltritte und Verbeugungen

Bei seinem Besuch in Ruanda äußerte Präsident Nicolas Sarkozy sich kritisch über die frühere französische Politik. Doch gänzlich verzichten will er auf neokoloniale Einflussnahme nicht.

Kaum ein Regierungschef ist schneller. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy hat vorige Woche innerhalb von nur anderthalb Tagen zwei Ländern besucht, die aus sehr unterschiedlichen Gründen bedeutsam für die französische Afrika-Politik sind.
Gabun, ebenso bevölkerungsarm wie erdölreich, spielte und spielt die Rolle eines Kronjuwels der französischen Einflusssphäre auf dem Kontinent. Nicolas Sarkozy, der sich am Mittwoch der vergangenen Woche zum dritten Mal seit seiner Wahl im Jahr 2007 in Gabun aufhielt, galt als persönlicher Freund der Familie Omar Bongos, der 1967 die Macht übernahm und bis zu seinem Tod im vergangenen Jahr ununterbrochen regierte. Der Nachfolger wurde sein Lieblingssohn, Ali Ben Bongo.
In Gabun sind die alten neokolonialen Beziehungen noch wirksam, anders sieht das Verhältnis zum ostafrikanischen Ruanda aus. Die französische Armee hatte dort von 1990 bis 1994 ununterbrochen in bürgerkriegsähnliche Kämpfe eingegriffen. Damals stand ein rassistisches Regime, das sich auf die Bevölkerungsmehrheit der Hutu stützte, einer Guerillaarmee im Exil lebender, aber ihre Rückkehr anstrebender Tutsi gegenüber. Von April bis Juni 1994 verübten die rechtsextremen Milizen der »Hutu Power« einen Genozid, dem mindestens 800 000 Angehörige der Tutsi-Minderheit sowie oppositionelle Hutu zum Opfer fielen. Frankreich unterstützte das rassistische Regime bis zuletzt, politisch und zum Teil auch militärisch, denn das damalige Regime galt als treuer Partner. Doch Frankreichs Verbündete unterlagen, die Beziehungen zur neuen Regierung waren höchst angespannt.
Ausgerechnet Nicolas Sarkozy war es nun, der am Donnerstag der vergangenen Woche die diplomatische Konfrontation beenden wollte, »auf den Gräbern der Hunderttausenden von Leichen«, wie Kritiker und NGO monierten, aber anscheinend erfolgreich. Sarkozy besuchte als erstes französisches Staatsoberhaupt die ruandische Haupstadt Kigali, wo er sich freilich nur für drei Stunden aufhielt.

Sarkozy begab sich auch zum Memorial für die Völkermordopfer und verneigte sich dort. Überdies fand er, zumindest im Vergleich mit anderen französischen Politikern, relativ deutliche Worte. Er sprach von einer »Verblendung« der politischen Verantwortlichen in Paris im Jahr 1994, von »Fehltritten« der französischen Politik und »schwer wiegenden Entscheidungsfehlern«. Allerdings weigerte er sich, eine explizite Bitte um Entschuldigung auszusprechen, wie es etwa der frühere US-Präsident Bill Clinton im April 2004 zum zehnten Jahrestag in Kigali getan hatte, weil »Leute wie ich Tag für Tag in Büros saßen« und nichts unternahmen, um das Morden zu beenden.
Beobachter in Frankreich sprachen von »millimetergenau abgewogenen Worten«, wie in der linksliberalen Zeitung Le Monde zu lesen war. Es blieb jedoch nicht bei Worten. Am Dienstag wurde Agatha Habyarimana, die Witwe des ehemaligen Präsidenten, nahe Paris verhaftet. Sie und ihre engen Mitarbeiter, le clan de Madame, gelten den meisten Historikern als die Hauptverantwortlichen für den Genozid. Dennoch lebte Agatha Habyarimana bislang unbehelligt in Frankreich, ihre Verhaftung war zweifellos ein Zugeständnis an die ruandische Regierung.
Die bislang von Teilen des politischen Establishments in Frankreich gepflegte geschichtsrevisionistische Version, der zufolge die Tutsi zu Opfern eines durch das Vorrücken ihrer Guerilla-Armee ausgelösten Mordens geworden und schließlich auch viele Hutu umgebracht worden seien, ist nunmehr offiziell vom Tisch. Den Untersuchungen einer ruandischen Kommission (Jungle World 33/08) und anderen Studien zufolge war Frankreich direkt am Genozid beteiligt, es handelte sich also nicht nur um »Fehler«.

Allzu weit mochte Sarkozy in seiner Kritik aber auch nicht gehen. Der Präsident wollte nach Einschätzung französischer Medien nicht in Widerspruch zu seinem sonstigen Diskurs geraten, der sich gegen »nationalen Masochismus« und »Büßertum« etwa im Hinblick auf die Kolonialpolitik wendet.
Den Rest soll nun eine gemeinsame französisch-ruandische Historikerkommission klären. Auf Regierungsebene aber scheint die »Normalisierung«, die mit der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen im November eingeleitet wurde, endgültig vollzogen worden zu sein. Präsident Paul Kagamé hat seinen Amtskollegen Sarkozy empfangen und sich scharfer Vorwürfe enthalten. Schließlich hat Frankreich großen Einfluss auf die europäische Afrika-Politik, überdies können Sarkozys Zugeständnisse als außenpoltiischer Erfolg gefeiert werden. Im Oktober dieses Jahres findet in Ruanda eine Präsidentschaftswahl statt, und die Zukunft Kagamés ist ungewiss.
Bevor Sarkozy in Kigali eintraf, hatte er sich einen knappen Tag in Libreville, der Hauptstadt Gabuns, aufgehalten. In einer Stadt mit dem bezeichnenden Namen Franceville verneigte er sich vor dem gigantischen Mausoleum Omar Bongos, um noch einmal seine Zuneigung zu dem Verstorbenen zu demonstrieren, der dereinst seine Karriere als Nachrichtendienstmitarbeiter bei der französischen Kolonialarmee begonnen hatte. Sodann unterzeichneten Sarkozy und Ali Ben Bongo ein angeblich völlig neues bilaterales Verteidigungsabkommen. Der überarbeitete Militärvertrag mit Gabun ist der dritte einer »neuen Generation von Verteidigungsabkommen« zwischen Frankreich und afrikanischen Staaten. Die anderen wurden im vergangenen Jahr in Togo und in Kamerun unterzeichnet.
Das Neue soll darin bestehen, dass die Verträge keine Geheimklauseln mehr enthalten und Frankreich auch keinen militärischen Beistand gegen »Bedrohungen« mehr gewähren will. In der Vergangenheit schützte dieser Beistand nicht selten Diktatoren vor ihren Feinden im Land, seien es meuternde Soldaten, Aufständische, Streikende oder für eine Demokratisierung demonstrierende Oppositionelle.

Doch während zuvor nur besonders dubiose Klauseln vor der Öffentlichkeit verborgen wurden, bleiben nun die gesamten Abkommen geheim. Bislang jedenfalls, denn die im vergangenen Jahr angekündigte Veröffentlichung der neuen »militärischen Beistandsabkommen« mit Togo und Kamerun »noch vor Ende 2009« hat nicht stattgefunden. Es ist unwahrscheinlich, dass es im Fall des Vertrags mit Gabun anders gehandhabt werden wird. Vorenthalten werden die Abkommen nicht nur der Öffentlichkeit und den Medien. Auch die Abgeordneten in den Parlamenten der betroffenen Länder kennen ihren Inhalt bislang nicht, obwohl die französische Regierung versprochen hatte, schon an den Verhandlungen über die Militärabkommen »der neuen Generation« erstmals auch die Parlamentarier zu beteiligen.