Bundeswehrskandal in Mittenwald

Gehorsam bis zum Erbrechen

Die Initiationsriten der Mittenwalder Gebirgsjäger offenbaren, worum es bei der Bundeswehr in Wirklichkeit geht.

Anfang Februar kursierte in den bundesdeutschen Medien erneut ein Bundeswehrskandal. Junge Rekruten hatten sich bei den im oberbayerischen Mittenwald stationierten Gebirgsjägern unter anderem Aufnahmeritualen wie exzessivem Alkoholkonsum und dem Essen von roher Schweine­leber bis zum Erbrechen unterziehen müssen. In der ersten Phase der medialen Empörung hierüber war noch von »fragwürdigen Initiationsriten« und »entwürdigenden Mutproben« die Rede, sogar der Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe (SPD), war alarmiert, doch mittlerweile hat das kurze öffentliche Gedächtnis die Vorgänge einstweilen verdrängt.
Die Vorfälle offenbaren jedoch zwei interessante Tatsachen, die selbst mit der Bundeswehr nur mittelbar zu tun haben. Zum einen sitzen offenbar in den bundesdeutschen Redaktionen vor allem ehemalige Zivildienstleistende oder Frauen, die nicht in der Bundeswehr gedient haben und daher mangels eigener Anschauung vom Wesen einer Armee keine Ahnung haben. Daher verwundert es auch nicht, dass dort zum anderen noch immer das naive Vorurteil verbreitet ist, dass mit dem Prinzip der »inneren Führung«, dem mit dem Leitbild des »Staatsbürgers in Uniform« verbundenen Führungskonzept der Bundeswehr, eine demokratische und an ethischen Werten orientierte moderne Armee geschaffen worden wäre. Dem gegenüber steht die Tatsache, dass die Bundeswehr nun mal eine Institution ist, die auf dem Prinzip von unbedingtem Befehl und Gehorsam gegründet ist und in der Konsequenz das bewusste und gewollte Töten von Menschen trainiert.
Dass der Laden so gesehen wie geschmiert läuft, hat Oberst Klein im September vorigen Jahres in Kunduz unter Beweis gestellt, als er 142 Afghanen im Rahmen der Bekämpfung der Taliban, für die das Recht auf körperliche Unversehrtheit sowieso außer Kraft gesetzt ist, wegbomben ließ. Insofern sind auch die skandalisierten Vorgänge in Mittenwalde eigentlich Ausdruck des erfolgreichen Drills innerhalb der Bundeswehr. Wer sich auf Befehl ins Koma säuft und bis zum Kotzen rohe Tierprodukte frisst, gehört zu einer starken Truppe.
Das sieht man im Ergebnis auch innerhalb der Bundeswehr so. »Wir halten Rituale für gruppenstabilisierende Elemente«, erklärt der für den Bereich »Konzeption und Weiterentwicklung Innere Führung« verantwortliche Oberst Siegfried Morbe im Hinblick auf die Praktiken in Mittenwalde und moniert lediglich, dass es für die »Ekelerziehung, wie sie in Mittenwald geschehen ist«, keine dienstliche Notwendigkeit gegeben habe. Auch die 2006 in Afghanistan mit Totenschädeln posierenden Angehörigen der Mittenwalder Gebirgsjäger haben vermutlich nur gruppenstabilisierende Prozesse initiiert.
Offenbar wird aber auch der eigentliche Skandal, die geschichtsvergessene Traditionspflege der Mittenwalder Gebirgsjäger, als gruppenstabilisierend angesehen. Denn seit Jahrzehnten zelebrieren die Veteranen der 1. Gebirgsjägerdivision aus Mittenwalde, die im Zweiten Weltkrieg unter anderem in Griechenland maßgeblich an Kriegsverbrechen beteiligt waren, Hand in Hand mit Vertretern der Bundeswehr, alljährlich ihre Gedenkfeier. Womit festzustellen bleibt, dass nicht die Bundeswehr ein Problem der inneren Führung oder mit der Traditionspflege hat. Die Bundeswehr selbst ist das Problem.