Der Fall der Regierung in den Niederlanden

Unbehagen in Den Haag

Weil die niederländischen Sozialdemokraten den Afghanistan-Einsatz beenden wollen, ist die Koalition auseinandergebrochen. Was die Übergangsregierung bis zu den Wahlen tun darf, ist ebenso unklar wie die Frage, wie die nächste Koalition aussehen wird.

Königin Beatrix mag sich Anfang voriger Woche vorgekommen sein wie in einer Zeitschleife. Wieder einmal machte ihr der Premierminister seine Aufwartung, um vom Fall einer Regierung zu berichten – zum dritten Mal seit dem Jahr 2002. Diesmal hatte der Streit über die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes die großen Koalitionspartner, den christdemokratischen CDA und die sozialdemokratische PvdA, soweit entzweit, dass auch ihre Mehrheitsbeschafferin, die Christen-Union, nicht mehr vermitteln konnte. Das weitere Procedere dürfte die Monarchin inzwischen zur Genüge kennen: Sie muss das Rücktrittsgesuch unterzeichnen und Neuwahlen ausrufen, es folgt eine Konsultationsrunde aller Fraktionsvorsitzenden in ihrem Amtssitz in Den Haag.
Ein wichtiges Thema dieser Beratungen ist die Überbrückung der Zeit bis zu den Wahlen. Genau dieser Punkt sorgt nun für Ärger. Üblicherweise hat eine Interimsregierung, wie sie nun bis zum Sommer CDA und Christen-Union bilden, nur eingeschränkte Befugnisse. Ihre Aufgabe ist es, die Tagesgeschäfte zu erledigen. Entscheidungen über umstrittene Themen können vom Parlament bis zum Antritt einer ordentlichen Regierung aufgeschoben werden. Auf Wunsch der meisten Fraktionsvorsitzenden wurde auch dem Übergangspremierminister Jan Peter Balkenende diese Direktive von der Königin übermittelt. In diesem Rahmen sollten die Abgeordneten »tun, was sie im Interesse des Landes für nötig halten«.
Was dies beinhaltet, ist jedoch umstritten. Zum einen, weil über die diskreten Unterredungen zwischen Beatrix und den Fraktionschefs wenig an die Öffentlichkeit gelangt. Zudem aber gibt es durchaus Stimmen, die eine Regierung, deren Handlungsspielraum ähnlich begrenzt ist wie ihre Legitimation, gerade in der Zeit einer Wirtschaftskrise für unzureichend halten.

Aufgeschoben werden nun zunächst die geplante Sanierung der Staatsfinanzen und die Verabschiedung eines allseits gefürchteten »Pakets« von drastischen Kürzungen, mit denen die alte Regierung ab 2011 beginnen wollte. Auch eine Entscheidung über das »Krisengesetz« zur Schaffung von Arbeitsplätzen durch Infrastrukturprojekte ist damit in weite Ferne gerückt. Gerade Politiker der christlichen Parteien – und damit der Regierung – würden dies gerne ändern. Doch liegen sie, wie die Tageszeitung Trouw es ausdrückt, »an der Kette des Parlaments«.
Ein Grund dafür, dass die meisten Parteien diese Konstellation unterstützen, sind die unübersichtlichen politischen Kräfteverhältnisse. Niemand will sich exponieren, denn jede Aussage über künftige Koalitionen kann derzeit nur spe­kulativ bleiben. Für eine Mehrheit in der 150 Sitze zählenden Zweiten Kammer, dem politisch einflussreicheren Unterhaus, dürften jedenfalls vier Parteien nötig sein. Auf absehbare Zeit ausgeschlossen ist ein Bündnis von Christ- und Sozialdemokraten. Die Eskalation des Konflikts um ­einen Verbleib in der afghanischen Provinz Uruzgan fand am Ende einer dreijährigen Regierungszeit statt, die von heftigen Zerwürfnissen gekennzeichnet war. Dass sowohl Balkenende als auch sein Konkurrent Wouter Bos bereits als Spitzenkandidaten bestätigt wurden, macht eine erneute Zusammenarbeit nur noch unwahrscheinlicher.

Der Wahlkampf begann denn auch auf den Stufen des Palastes, nämlich unmittelbar nach dem Gespräch von Bos mit der Königin, kaum dass diese den 9. Juni zum Wahltermin erklärt hatte. Der ehemalige stellvertretende Premierminister kündigte an, seine Partei werde nicht mit der umstrittenen Partij voor de Vrijheid (PVV) des Rechtspopulisten Geert Wilders koalieren. Balkenende, so Bos, stehe es gut an, für die Christdemokraten eine ähnliche Ankündigung zu machen, was dieser jedoch verwarf. Einen Schritt weiter ging der ehemalige PvdA-Staatssekretär Frans Timmermans, der alle Parteien zur Bildung einer Front gegen die PVV aufrief. Von einem solchen cordon sanitaire distanzierte sich Timmermans jedoch sofort wieder, sobald ihm konservative Parteien dies zum Vorwurf machten.
Wilders selbst hält sich bislang auffallend im Hintergrund. Dem Rücktritt des »schlechtesten Kabinetts aller Zeiten«, wie er das Dreierbündnis zu nennen pflegte, hatte er noch mit dem mar­kigen Ruf »Die Fahne kann raus« quittiert. Seither meldete er sich lediglich mit der Forderung zu Wort, das Rentenalter nicht anzuheben. Er will seiner Partei ein soziales Image verschaffen. Mehr, das zeigen die Tage seit dem Rücktritt deutlich, braucht es zurzeit nicht. Geredet wird über die PVV ohnehin.