Regionalwahlen in Frankreich

Rechte ohne Komplexe

Nach dem ersten Wahlgang der französischen Regionalwahl geht die Regierungspartei von Nicolas Sarkozy nahezu aussichtslos in die zweite Wahlrunde. Die UMP bestreitet, dass die Regionalwahl ­etwas mit der nationalen Politik zu tun habe.

»Die Strategie Nicolas Sarkozys liegt in Stücken«, wetterte der smarte Anwalt und sozialdemokratische Politiker Arnaud Montebourg am Sonntagabend in die Fernsehkameras. Damit löste er beim Sprecher der Regierungspartei UMP Frédéric Lefebvre – der auch als persönliches Sprachrohr Sarkozys und nach Worten mancher Kritiker als dessen »Pitbull« gilt – einen Wutanfall aus. Seiner Ansicht nach ist diese Analyse fehl am Platz, weil am Sonntag schließlich nur über Regionalparlamente und nicht über die nationale Politik abgestimmt worden sei. Das meint auch Ministerpräsident François Fillon, der sich auf die niedrige Wahlbeteiligung von 46 Prozent bezog. Da nicht einmal jeder zweite Wahlberechtigte zu den Urnen ging, erlaube das Ergebnis auch keine Rückschlüsse auf die politische Stimmung im Land, kommentierte er.

Fest steht jedoch: Die erste Runde der Regionalwahlen in Frankreich war eine Katastrophe für die Partei des Staatspräsidenten. Das konservative Regierungsbündnis erreichte knapp 27 Prozent, für die sozialistische Partei stimmten 29 Prozent der Wähler.
Am Sonntag wurde in allen 22 französischen und vier Übersee-Regionen gleichzeitig abgestimmt. 20 Minister des Kabinetts von Präsident Sarkozy und Premierminister François Fillon traten als Kandidaten an, um zu versuchen, einige Regionen für die konservativ-wirtschaftsliberale Rechte zurückzuerobern. In den meisten dieser Regionen, mit Ausnahme des Elsass und Korsikas, regieren seit den vorigen Regionalparlamentswahlen vom März 2004 die Sozialdemokraten.
Während der Premierminister Fillon auf Wahlveranstaltungen auftrat, tat Sarkozy so, als ginge ihn diese Wahl nichts an. Er werde nach der Wahl weitermachen wie bisher, hatte er im Wahlkampf verkündet. Zum Jahresende 2011 wolle er eine »Pause« bei den Reformen einlegen. Also erst nach der Verabschiedung der allgemein erwarteten, sozial regressiven Rentenreform, die eine weitere Anhebung der gesetzlichen Beitragsjahre und des Renteneintrittsalters vorsieht, und wenige Monate vor der nächsten Präsidentschaftswahl im April 2012. Dennoch fiel Beobachtern auf, dass Sarkozy bei vielen Besuchen der vergangenen Wochen, etwa bei Landwirten im ostfranzösischen Jura, wie ein Kandidat auftrat.
Wenn Sarkozy am Sonntag strategisch gescheitert ist – das meint nicht nur Montebourg –, dann in erster Linie deshalb, weil er die rechtsextremen Wähler nicht länger an seine Partei binden konnte. In den Jahren 2006 und 2007 hatte die UMP dem Front National (FN) Wähler abwerben können. Damals hatte Sarkozy fast wörtlich den rechtsextremen Slogan »Frankreich, liebe es oder verlasse es« übernommen. Das war eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Aufstieg der sogenannten droite décomplexée, der »von ihren Komplexen befreiten« und »wieder selbstbewusst auftretenden« Rechten, die Sarkozy erklärtermaßen verkörpern wollte. Die zweite Bedingung für seinen Erfolg bestand damals darin, dass Sarkozy es schaffte, eine einheitliche politische Kraft zu bilden. Diese bestand aus einem Teil der Christdemokraten, den Wirtschaftsliberalen, Nationalkonservativen und Rechtskatholiken.
Diese Front existiert nach wie vor. Vor drei Jahren leitete der Mitte-Rechts-Oppositionspolitiker François Bayrou – der damals als moderate, bürgerliche Alternative zu Sarkozy auftrat – die Bewegung der Demokraten (MoDem). Damals schnitt seine Bewegung überraschend gut ab, heute ist sie weitgehend implodiert. Erhielt François Bayrou damals noch über 18 Prozent der Stimmen auf seinen Namen, so stimmten am Sonntag nur noch vier Prozent der Wähler für die Listen des MoDem ab. Doch das, was auf dem ersten Blick als Vorteil für Sarkozys UMP erscheint, dürfte sich eher als Nachteil entpuppen. Die nicht-faschistische Rechte ist derart stark hinter Sarkozy vereinigt, dass es kaum mehr Stimmreserven für die Stichwahl am nächsten Sonntag gibt. Bei aktuell knapp 27 Prozent der Stimmen für die UMP dürfte die Wählerbasis vor der Stichwahl kaum noch zu erweitern sein.

Die »selbstbewussten Rechten« hatten für die Wähler der FN eine zeitweilige Anziehungskraft, die sich bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Jahr 2007 auswirkte. Dadurch konnte die konservativ-liberale Rechte vorübergehend ein strategisches Problem hinsichtlich der politischen Allianzen mit den extremen Rechten lösen. Ende der achtziger Jahre hatte Jacques Chirac seine Linie durchgesetzt, die jedes Bündnis mit der extremen Rechten ablehnte. Doch das Problem mit den fehlenden rechten Stimmen blieb. Sarkozy glaubte, den Ausweg aus dem Dilemma gefunden zu haben. Man verbündete sich zwar nicht mit den Parteistrukturen der extremen Rechten, grub jedoch ihr Wählerpotenzial an und unterstrich den expliziten Willen dazu auch deutlich. Doch die Situation, in der ihm dies gelungen war, ist offenkundig passé.
Am Sonntag erhielt die extreme Rechte knapp 13 Prozent der Stimmen, davon 11,7 Prozent für den Front National. Hinzu kommen kleinere rechtsextreme Listen von »Dissidenten« und Abspaltungen des FN in mehreren Regionen.
Die tiefe Krise, die der Front National zwischen 2007 und 2009 erlebte – seine Wahlergebnisse sanken bei den Parlamentswahlen im Juni 2007 auf 4,3 Prozent – scheint mit dem Ergebnis am Sonntag überwunden.
Zum Erfolg des FN trugen die Versuche der regierenden Konservativen, die rechtsextreme Wählerschaft zu ihren Gunsten zu mobilisieren, ohne Zweifel bei. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Regierungskampagne zur »nationalen Identität«. Der Minister für Einwanderung und nationale Identität, Eric Besson, der diese Debatte angestoßen hatte, sah sich am Montag genötigt, zu erklären, er sei »nicht verantwortlich für das Abschneiden des FN«. Mehrere offenkundig rassistische Äußerungen konservativer Politiker, wie des Fraktionsvorsitzenden der UMP im Senat, Gérard Longuet, trugen wohl das Ihre zum Triumph des FN bei, indem sie die rechtsextremen Wähler in ihren Auffassungen bestärkten. Longuet hatte vier Tage vor dem ersten Wahlgang über den französischen sozialdemokratischen Politiker Malek Boutih erklärt, er gehöre nicht »zum traditionellen französischen Körper«.

Die Vorsitzende der Sozialisten, Martine Aubry, fordert nun, die von Sarkozy angekündigte »Pause« bei den wirtschaftsliberalen, sozial rückschrittlichen Reformen solle nicht Ende 2011 eingelegt werden – also kurz vor der nächsten Präsidentschaftswahl –, sondern sofort. Voraussichtlich wird es der Sozialdemokratie wiederum gelingen, eine große Mehrheit der künftigen Regionalregierungen zu stellen. Doch auch in diesem Falle dürften die Schwierigkeiten für die sozialdemokratische Partei erst danach anfangen. Denn die Regionalpräsidenten der seit 2004 auf regionaler Ebene erfolgreichen, aber auf nationaler Ebene gescheiterten und strategisch konfusen Partei, die in den vergangenen Jahren viel Macht auf Kosten der geschwächten Zentralführung an sich zogen, werden nun eine noch wichtigere Rolle spielen. Dadurch droht jedoch ein Zerfransen der Partei, aber auch ihre Entpolitisierung, da die regionalen »Barone« ihre technokratische Regierungsbilanz und nicht die von Martine Aubry verfochtene Oppositionsstrategie gegen Sarkozys neoliberale Reformen in den Vordergrund stellen.