15.04.2010
Die engen Grenzen der Öffentlichkeitsarbeit in der Asse

Kein Licht im Schacht

Im Fall des maroden Atommülllagers Asse gewährt das Bundeskanzleramt dem niedersächsischen Parlament nur begrenzten Einblick in seine Akten.

Lange Zeit wurde Asse II von den Atomkonzernen als billige Atommüllhalde genutzt. Seit Juni 2009 ist das ehemalige Salzbergwerk Gegenstand eines Untersuchungsausschusses des niedersächsischen Landtags, der ins Leben gerufen wurde, nachdem der drohende Einsturz des Lagers bekannt geworden war. Im Zuge der Untersuchungen hatte der Ausschuss an den Bund eine Anfrage nach Überlassung von Akten gestellt. Die Vertreter der Oppositionsparteien im Ausschuss versprechen sich durch deren Sichtung Aufklärung über die Beteiligung der Bundesregierung an der jahrelangen Irreführung der Öffentlichkeit durch ein Kartell aus Politik, Wissenschaft und Atomkonzernen. Doch das Bundeskanzleramt gewährt nur sehr begrenzte Einblicke.
Seit 1967 lagern in der Asse Fässer mit radioaktiven Abfällen. Unter dem Deckmantel der Forschung in Betrieb genommen, war die Asse von Anfang an als ein atomares Endlager geplant. Seit August 1998 fließt allerdings Wasser in das Bergwerk, was einen Einsturz des gesamten Komplexes zur Folge haben kann. Der damalige Betreiber, die Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung (GSF), hatte diese entscheidende Information jahrelang gegenüber der Öffentlichkeit zurückgehalten – wahrscheinlich auch auf ausdrücklichen Wunsch der Politik. Brisant wird die Angelegenheit für die Bundesregierung vor allem deshalb, weil der damalige Bundesforschungsminister Jürgen Rüttgers hieß und die GSF zum Geschäftsbereich seines Ministeriums gehörte.

Als Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens steckt Rüttgers mitten in der heißen Phase des Wahlkampfs. Der Ausgang der Landtagswahlen am 9. Mai wird über die Zukunft von Schwarz-Gelb entscheiden und damit auch über die zukünftige Atompolitik. Verliert Rüttgers seine Mehrheit im Landtag, würde auch die Bundesregierung ihre Mehrheit im Bundesrat verlieren. Und ohne die Mehrheit in der Länderkammer wird es wohl keine offizielle Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken geben. Die Atomkonzerne müssten Tricks anwenden – wie die Übertragung von Stromkontingenten von neuen auf alte Meiler bei Genehmigung durch das Umweltministerium –, wenn die zur Abschaltung vorgesehenen Kraftwerke am Netz gehalten werden sollen.
Es gibt Indizien dafür, dass Rüttgers als Forschungsminister an der Vertuschung der gefährlichen Vorgänge beteiligt war. So zitiert die Süddeutsche Zeitung aus einem Briefwechsel mit dem damaligen Energieversorger Preussen Elektra, der Besucherführungen durch das Atomlager anbieten wollte. Der damalige Staatssekretär Helmut Stahl schrieb demnach in seinem Antwortbrief: »Herr Dr. Rüttgers hat mich gebeten, Ihnen zu antworten. Ich weise Sie (…) darauf hin, dass einer Öffentlichkeitsarbeit in der Asse enge Grenzen gesetzt sind.«

Diese engen Grenzen von Öffentlichkeit und Demokratie hält das Bundeskanzleramt auch heute noch aufrecht. Es hat dem Ausschuss bisher nur Akten aus den Jahren 1978 bis 1981 zur Verfügung gestellt und behauptet, es handele sich dabei um »das den Untersuchungsgegenstand betreffende übersendungsfähige Schriftgut«. Nur »in wenigen Fällen« seien Akten nicht übermittelt worden, »da diese sich auf den geschützten Kernbereich des Regierungshandelns erstrecken«. Voraussetzungen für ein »ausnahmsweises Beziehen von Beweismitteln aus dem Bereich des Bundes« lägen nicht vor. Dem hält der Fraktionsvorsitzende der Grünen im niedersächsischen Landtag, Stefan Wenzel, entgegen: »In der Schachtanlage Asse hat eine Gesellschaft, die im Eigentum des Bundes und des Landes Bayern stand, Rechtsbrüche begangen und einen gewaltigen Umweltschaden hinterlassen.« Behörden des Bundes seien an der Vertuschung der Vorgänge aktiv beteiligt gewesen.
Die Umstände dürften kaum überraschen, denn sie resultieren unmittelbar aus den besonderen Gefahren der Atomkraft, die nicht ins öffentliche Bewusstsein dringen sollen. Es gilt, einen öffentlichen Aufruhr zu vermeiden, der das Ende der Atomenergie oder auch nur einzelner Anlagen bedeuten könnte. Deshalb setzen der Staat und seine Vertreter der Demokratie in Sachen Atompolitik enge Grenzen.