Überwachungstechnologie von Siemens und Nokia

Oha, ein Siemens-Ingenieur!

Siemens gehört zu den führenden Entwicklern und Lieferanten von Überwachungstechnologie und greift dabei auf undurchsichtige Subunternehmerstrukturen zurück. Das Unternehmen steht auch in der Kritik, das Regime im Iran zu beliefern.

Das deutsch-finnische Gemeinschaftsunternehmen Nokia Siemens Networks (NSN) habe »die Mullahs in Teheran mit der Möglichkeit versehen, die Opposition wie Hasen zu jagen«. Das stellte der österreichische Journalist Erich Möchel in einem Vortrag auf dem Chaos Communication Congress zur Jahreswende in Berlin fest. Bereits im Juni 2009 hatte das Wall Street Journal Möchels Recherchen zur Belieferung Chinas und des Iran mit NSN-Überwachungstechnologie aufgegriffen. Der NSN-Pressesprecher Ben Roome gab damals zu verstehen, dass diese Teil eines größeren Vertrages mit dem Iran gewesen sei, der Telefonnetztechnologie enthalten habe. »Wenn Sie Netzwerke verkaufen, verkaufen Sie damit einhergehend auch die Fähigkeit, jede Kommunikation zu überwachen, die darüber läuft«, sagte Roome. Einen Tag nach Veröffentlichung des Artikels dementierte NSN, Ausrüstung zur Zensur und Überwachung des Internets an den Iran geliefert zu haben. Man habe lediglich »Monitoring Center« zum Zwecke von »gesetzesmäßiger Überwachung« verkauft, die im European Telecommunications Standards Institute (ETSI) standardisiert worden sei.
Mit den ETSI-Standards, die von Firmen wie Siemens und Vodafone gemeinsam mit europä­ischen Geheimdiensten, wie dem deutschen Verfassungsschutz und dem britischen GCHQ, erstellt werden, wird im Rahmen der EU geregelt, welche Informationen aus den Netzen von den Betreibern über elektronische Schnittstellen an Überwachungs- und Repressionsorgane bereitgestellt werden. Bei Mobiltelefonen umfasst dieser Standard beispielsweise den Standort des Geräts und die Verbindungsdaten bei Gesprächen, in neuen Entwürfen des ETSI aber noch weitaus mehr Informationen. Das Europa-Parlament kritisierte im Februar in einer Resolution »scharf die internationalen Unternehmen, insbesondere Nokia/Siemens, für die Lieferung von für Zensur und Überwachung notwendigen Technologien an die iranischen Behörden«, die zur Verfolgung und Verhaftung iranischer Dissidenten dienen.

Die Verbindungen der Kommunikationssparte des deutschen Traditionsunternehmens Siemens in den Iran sind schon sehr alt. Siemens & Halske errichteten 1924 das Wählamt Teheran, 1954 erhielt Siemens einen Großauftrag über 180 000 Fernsprechanschlüsse. Ab 1992 begann man mit der Lieferung des »Elektronischen Wählsystems Digital«, auf dem auch in Deutschland ein Großteil der Festnetztelefonie der Telekom beruht.
1995 wurde bekannt, dass der BND durch Zugangsschlüssel in der Lage war, Geheimdienste anderer Länder abzuhören, die unter seiner Mitwirkung auch mit Technik von Siemens beliefert wurden. Der Iran gehörte dazu. Siemens sei der Hauslieferant des BND für Spionagetechnik und eine Art technischer Hilfsdienst in Grenz- und Grauzonen des Agentenhandwerks gewesen, berichtete der Spiegel im April 2008. Auf dem Siemens-Werksgelände in der Münchner Hofmannstraße soll dabei als BND-Kontaktstelle die »ICM Voice & Data Recording« agiert haben, einem Ex-Vorstand zufolge als »Firma in der Firma«. Als im vorigen Sommer bekannt wurde, dass NSN ihre Überwachungstechnologieabteilung bereits Ende März 2009 verkauft hatte, fiel auch der Name jenes Firmenprojektes, das 1993 innerhalb von Siemens gegründet worden sei. Heute werden die »Monitoring Center« und andere Überwachungstechnologien von Trovicor vertrieben, so der Name der Nachfolgefirma.
Finanziert wird diese Ausgründung offiziell durch die Finanzgesellschaft Perusa. »Perusa ist ein in München ansässiges Unternehmen. Dort wird schnell, pragmatisch und ohne die sonst üblichen ›Investitionskomitees‹ (…) entschieden. Wir haben den Ruf, dass bei uns noch der Handschlag zählt«, so Perusa in der Selbstdarstellung.

Den alten »Siemensianern« in München gehen die vielen Turn-Arounds, Ausgründungen und Umwidmungen und die damit verbundenen Entlassungen langsam an die Nieren. »Juristisch kann man uns natürlich beliebig auseinanderdividieren, aber menschlich sind wir alle immer noch alte Siemens-Com-Kollegen«, gibt sich ein Mitarbeiter auf der Webseite des Siemensmitarbeiternetzes NCI trotzig. »Hier haben einmal zigtausend Siemensianer gearbeitet! Damals konnten wir noch mit Stolz sagen ›wir sind Siemensianer‹, und wurden dafür mit anerkennendem Respekt betrachtet: Wow, ein Siemens-Ingenieur! Oha! Lang, allzu lang ist’s her … «
Mit frustrierten und demotivierten Mitarbeitern kennt sich der Manager Hanno Schmidt-Gothan von Perusa anscheinend gut aus. »Die vielzitierte und doch wenig angewandte Kommunikation und Einbindung der Betroffenen« könne bei Firmensanierungen »kaum unterschätzt werden«, schreibt er in seinem Buch »Holistisches Sanierungs- und Wertmanagement«. Eine »behavioristische Sanierung« werde in ihrer Bedeutung durch »das Durchbrechen der wechselwirkenden Abwärtsspiralen von ökonomischem und organisatorischem Niedergang« unterstrichen.
Bei dem Outsourcing-Projekt Trovicor scheint es aber weniger um die Rettung der Firma vor dem wirtschaftlichen Niedergang, sondern eher um die Rettung des Rufs der Stammmarken Nokia und Siemens vor zu vielen Negativschlagzeilen zu gehen. Bereits 2008 zog der Skandal um die Überwachung von Mitarbeitern und Journalisten durch die Telekom seine Kreise. Bei der anstehenden juristischen Aufarbeitung wird es mit großer Wahrscheinlichkeit auch um die Verbindungen zwischen Siemens und der Recherchefirma Network Deutschland gehen, die die Bespitzelungen organisierte, meint ein Branchenkenner gegenüber der Jungle World.

Was die Rolle von NSN im Iran betrifft, so gab Siemens zwar Anfang des Jahres bekannt, ab der zweiten Jahreshälfte keine Neugeschäfte mehr anzunehmen, doch Erich Möchel zufolge müsse weiter für die Wartung und Aktualisierung der Überwachungstechnologie gesorgt werden. An der Weiterentwicklung der Überwachungsstandards im ETSI zumindest arbeitet Siemens schon mal führend mit. Siemens, so Möchel, habe sich lediglich von einem Firmenteil getrennt, der jenes Produkt vertreibt, das an der Schnittstelle von Kommunikation und Behörden angedockt wird. Ob Trovicor nun für diesen brisanten Teil des Deals in die Breche springt, kann momentan nur spekuliert werden.
Im Großen und Ganzen schließt Trovicor derzeit aber nahtlos an die Geschäfte von NSN an. Bei einer Messe für Überwachungstechnologie im Februar in Dubai trat die Firma an Stelle von NSN als Hauptsponsor auf. Viermal im Jahr findet die Messe »ISS World« statt, in Dubai, Kuala Lumpur, Prag und Washington. Nur in Washington ist Trovicor nicht der Hauptsponsor der Veranstaltungen, bei denen viele namhafte Firmen aus dem Überwachungsgeschäft vertreten sind. In Dubai hielt auch Peter Van de Arend, der Vorsitzende des technischen Komitees des ETSI, einen Vortrag. »Der Stand und die Prinzipien der Arbeit des ETSI bezüglich des Umgangs mit der Vorratsdatenspeicherung und der rechtmäßigen Überwachung« werde behandelt, war im Ankündigungstext zu lesen. Die Ankündigung des Vortrags von Pawel Stefanek, Account Director von Trovicor, macht den Anspruch seiner Firma klar: »In dieser Präsentation wird Trovicor ein holistisches Konzept skizzieren, die Kontrolle des Internet wieder dorthin zu bringen, wo sie hingehört: in die Hände der Rechtsinstitutionen und Nachrichtendienste.«