Die Kirchen rücken nach Afghanistan aus

Theologen im Einsatz

Nach dem Tod von drei Fallschirmjägern in Kunduz wird der Bundeswehreinsatz zunehmend als Kriegshandlung bewertet. Die Amtskirche liefert dafür die moralische Unterstützung.

Das Bild zeigten am Ostersonntag alle Nachrichtensendungen. Dirk Niebel, deutscher Entwicklungsminister, Ex-Fallschirmjäger und Reservehauptmann, hielt eine Ansprache bei der Trauerfeier für die toten Soldaten auf dem staubigen Stützpunkt der Bundeswehr in Kunduz, wo zwei Tage zuvor Bundeswehr-Soldaten von Taliban getötet wurden. Die »feigen Mörder« ließ der Minister wissen, dass sich »deutsche Soldaten von solcher Heimtücke nicht einschüchtern lassen«. Neben ihm stand ein Militärpfarrer im grün-braunen Flecktarnanzug, um den Hals eine weiße Stola.
Eigentlich war Niebel (FDP) gerade in Afghanistan unterwegs, um dafür sorgen, dass die von Deutschland finanzierten Entwicklungshilfeprojekte künftig »stärker mit den Einsätzen der Bundeswehr vernetzt« werden. 430 Millionen Euro gibt sein Ministerium dieses Jahr in dem Land aus. Trotz knapp 4 500 dort stationierter deutscher Soldaten betreibt Deutschland in erster Linie Wiederaufbauhilfe und keinen Krieg, das sollte die Botschaft von Niebels Reise sein – ganz so, wie es die Regierungen in Berlin es seit Beginn des Isaf-Einsatzes im Jahr 2002 betonen.
Doch dann griffen die Taliban eine Fallschirmjägereinheit an und drei deutsche Soldaten starben. Seitdem ist die Botschaft eine andere. »Wir mussten das Umfeld des Einsatzes neu bewerten«, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) etwas umständlich. Gemeint war: Erstmals gab die Regierung offiziell zu, dass die Bundeswehr in Afghanistan an einem Krieg beteiligt ist.
Die neue Sprachregelung schien der politischen Defensive entsprungen zu sein. Tatsächlich aber löste der neue deutsche Verantwortungsmilitarismus damit auf einen Schlag das Problem seiner moralischen Prekarität. Seither sind Tote für ihn kein echtes Problem mehr. Nicht auf Seiten der Afghanen, und auch nicht in den Reihen der Bundeswehr. Wiederaufbauhilfe fordert keine Opfer, Krieg eben schon.
Seit Beginn der Out-of-Area-Einsätze der Bundeswehr in den neunziger Jahren existierte das Problem. Vor allem seit dem Tanklaster-Bombardement im September 2009 musste die Regierung das Missverhältnis rechtfertigen, zwischen dem behaupteten friedensstiftenden Charakter ihrer Waffengänge und der wachsenden Zahl an Toten auf beiden Seiten. Seit 2002 sind insgesamt 39 deutsche Soldaten in Afghanistan gestorben, wohl mehrere hundert Afghanen wurden von der Bundeswehr getötet. Doch seitdem von Krieg gesprochen werden darf, findet eine Art moralische Beweislastumkehr statt.

Bei der Trauerfeier am Freitag voriger Woche im niedersächsischen Selsingen stilisierte Verteidigungsmininster Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) seine ersten offiziellen Kriegsgefallenen ohne jede Scham zu Kriegshelden. Die begeisterten »Kampf- und Kraftsportler« seien »Vorbilder« oder »Väter so junger Kinder« gewesen, mit »viel Zuneigung zum Beruf des Soldaten«. Vor allem aber waren die drei Toten »echte Patrioten«, denn sie seien »für unser Land gefallen«, als sie »für die Sicherheit unserer Kinder gekämpft haben«. Selbst seine »kleine Tochter« brachte zu Guttenberg in Stellung, um den Soldatentod zu glorifizieren. Diese habe ihn gefragt, ob die drei Männer »tapfere Helden unseres Landes waren, und ob sie stolz auf sie sein dürfe« – was zu Guttenberg »einfach mit ›Ja‹ beantwortet« habe. Und auch die »Tränen der heimkehrenden Kameraden« habe zu Guttenberg gesehen, und es seien Tränen gewesen »für die sich keiner schämte und auch keiner schämen musste«, denn »gottlob trauert Deutschland nicht im Verborgenen, sondern ganz offen«.
Bei soviel nationalem Verantwortungsbewusstsein wollte auch die lokale Bevölkerung nicht hinten anstehen. Schon immer gehörten die Fallschirmjäger »zu uns«, sagte der Zevener Bürgermeister Hans-Joachim Jaap bei der Trauerfeier. »Und jetzt dieses Attentat!« Alle Menschen in der Region wollen nun »dankbar sein, für das was sie gegeben haben«, der Tod der drei Fallschirm­jäger habe »eine neue Dimension der Verbundenheit mit der Bevölkerung« bewirkt.

Vor lauter Selbstmitleid fiel es niemand außer Bundeskanzlerin Angela Merkel ein, auch die aus Versehen von der Bundeswehr erschossenen Afghanen bei dem Staatsakt zu erwähnen. Allerdings beschränkte sie sich darauf mitzuteilen, dass sie mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karzai »über sechs afghanische und drei deutsche Soldaten am Telefon gesprochen« habe. Für die Afghanen gab es keine Entschuldigung, kein Wort des Bedauerns. Afghanistan sei »Brutstätte des Terrors, der die gesamte freiheitliche Welt ins Visier nimmt«. Und als solche, so darf man Merkels selbstbewusste Rede wohl verstehen, kann das Land schließlich froh sein, dass die Isaf-Staaten sich seiner annehmen.
»Nichts ist gut in Afghanistan«, hatte die wegen ihrer Alkoholfahrt zurückgetretene Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Margot Käßmann der Bundesregierung im Januar noch vorgeworfen. Gemeint hatte sie aber weniger die sich tatsächlich ausbreitende Macht der Taliban, sondern eher die mangelnde Eignung der Isaf-Truppen, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Diese Position ist Geschichte. Spätestens seit Ostern passt zwischen Kirche und Staat kein Blatt mehr. Es scheint, als habe die Kirche nur darauf gewartet, ihre Qualitäten als verantwortungsbewusster Bündnispartner endlich auch in einem hochoffiziellen Krieg unter Beweis zu stellen. In ihren Reaktionen auf die Eskalation in Afghanistan findet sich von Distanz, Skepsis oder Mahnung keine Spur. Stattdessen wird die moralische Integrität der Kriegszwecke gegen alle Angriffe verteidigt.
Am Tag nach dem Angriff auf die Fallschirmjäger begannen die Ostermärsche. Landauf, landab forderte die Friedensbewegung den Rückzug der Bundeswehr. Der für die Seedorfer Kaserne, in der die drei am Karfreitag gestorbenen Soldaten stationiert waren, zuständige evangelische Superintendent warf sich für den Militäreinsatz in die Bresche. Wer »einen Keil zwischen Seelsorge und politische Verantwortung treiben möchte, der möchte vielleicht auch von eigener Ratlosigkeit ablenken«, schrieb der leitende Theologe – ganz offensichtlich an die Adresse der pazifistischen Demonstranten. Auch bei der Trauerfeier nannte ein Militärdekan die Toten »Vorbilder« und trug Fürbitten für sie vor: für jene, »die im Einsatz für mehr Gerechtigkeit und Frieden starben«. Für ihre Kameraden. Für die verwundeten Soldaten. Und für die für das Ganze »verantwortlichen Politiker«. Für die toten Afghanen hatte er keine Fürbitte parat. In der anschließenden Ansprache stellte er klar, was von den Auslandseinsätzen der Bundeswehr zu halten sei: »Dort, wo die Not am größten ist«, streite die deutsche Armee »für mehr Gerechtigkeit und Frieden«.
Die moralische Allianz zur Verteidigung des Afghanistan-Einsatzes treibt bizarre Blüten. So verstieg sich Verteidigungsminister zu Guttenberg gar dazu, die Taliban mit dem Vorwurf diskreditieren zu wollen, sie, »denen ein Menschen­leben rein gar nichts zählt«, hätten »zynisch« den Karfreitag für ihren Angriff gewählt – ganz so, als sei auch von den wohl radikalsten unter den islamischen Fundamentalisten beim Kriegführen ein wenig Rücksicht auf den christlichen Feiertagskalender nicht zu viel verlangt.