Die »Vermittlungsoffensive« für Alleinerziehende

Qualifiziert und trotzdem billig

Die Chancen für Alleinerziehende auf dem Arbeitsmarkt stehen schlecht. Um das zu ändern, setzen Arbeitsministerin Ursula van der Leyen und die Bundesagentur für Arbeit auf Tagesmütter.

Die Bundesregierung handelt. Zumindest möchte sie vor den Wahlen in Nordrhein-Westfalen den Anschein erwecken. Am 21. April legte sie ihre neuen Gesetzesentwürfe vor, und dabei präsentierte sich vor allem Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) betont aktivistisch, als Kämpferin für langzeitarbeitslose Alleinerziehende.
Die Ministerin forderte eine neue »Vermitt­lungs­­offensive« für ältere und junge Arbeitslose. In das Zentrum ihrer Aufmerksamkeit stellte sie jedoch die 600 000 ALG-II-Empfängerinnen, denen ein Einstieg oder die Rückkehr in den Beruf schwerfällt oder gar unmöglich gemacht wird, weil sie als Alleinerziehende die Betreuung ihrer Kinder nicht mit den Anforderungen des Arbeitsmarktes vereinbaren können. Sie werde dafür sorgen, kündigte von der Leyen an, dass sich »in den Jobcentern der Blick auf Alleinerziehende« verändern werde.

Bisher zeigen tatsächlich viele Fallmanager angesichts der Probleme von Alleinerziehenden Verständnis, obwohl die Betroffenen eigentlich kein Jobangebot ablehnen dürfen, sofern ihr Kind mindestens drei Jahre alt ist. Zu den Berufsfeldern, in denen überwiegend Frauen beschäftigt sind, gehören die Krankenpflege, die Gastronomie und der Verkauf. Diese Arbeitsbereiche zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie den Beschäftigten mit der dort üblichen Schicht- oder Nachtarbeit eine besonders hohe zeitliche Flexibilität abverlangen. Für Alleinerziehende mit jüngeren Kindern sind solche Arbeitsbedingungen keine Option. Die Problematik scheint auch Ursula von der Leyen bekannt zu sein, und deswegen erklärte sie, dass die Vermittler den Arbeitsuchenden künftig deutlich mehr anbieten sollten als einfach nur Jobs. »Sollte der Vermittler beispielsweise eine passende Arbeitsstelle für die Alleinerziehende gefunden haben, organisiert er gleich die passende Betreuung für das Kind mit.«
Die berechtigte Frage lautet: Wie soll man sich das konkret vorstellen? Präsentiert der Fallmanager einer Alleinerziehenden ein Jobangebot und fügt hinzu: »Übrigens, ich kenne eine ausgezeichnete Kinderbetreuungsstelle. Sie liegt ganz in der Nähe und ist bis 22 Uhr geöffnet. Gehen Sie doch gleich mal vorbei«? Organisiert die Bundesagentur für Arbeit (BA) bald Kindergruppen, Horte und Tagesstätten? Oder sollen – wie an private Bildungsträger und Arbeitsvermittler die sogenannten Bildungs- und Vermittlungsgutscheine – demnächst Kinderbetreuungsgutscheine für pädagogische Kleinunternehmen ausgegeben werden?

Nichts dergleichen wird geschehen, denn die Arbeitsministerin hat sich anscheinend noch nicht über die Zuständigkeiten ihres neuen Ressorts informiert. »Mir standen beim Lesen die Haare zu Berge«, kommentierte ein Sprecher der BA in Nürnberg ihren Entwurf. »Schließlich sind die gesetzlichen Regelungen ganz anders. Für Kinderbetreuung sind die Kommunen zuständig, und Jobcentermitarbeiter vermitteln in Arbeit. Punkt. Das kann man nicht vermischen.«
Dieser Umstand ist aber auch der SPD-Politikerin Dagmar Ziegler nicht aufgefallen. »Die Vorschläge von Frau von der Leyen werden Alleinerziehenden kaum weiterhelfen.« Mit dieser Einschätzung lag sie nur insofern richtig, als die praktische Umsetzung der Ideen aus dem Arbeitsministerium schon an der fehlenden Rechtsgrundlage scheitert. Offenbar kennen die Politiker die gesetzlichen Rahmenbestimmungen ihres Landes nicht. Arbeitnehmer würden nach einem solchen Fauxpas sofort für einen Rapport zu ihrem Chef zitiert. Während die SPD einen besseren Betreuungsschlüssel und mehr Personal für die Jobcenter fordert, sind Arbeitgeber und der DGB vom Vorstoß von der Leyens begeistert, wie Spiegel online berichtete.
»Die Verlautbarungen von Bundesministerin von der Leyen zum Thema Alleinerziehende, junge Menschen und Ältere«, erklärte Hubertus Heil (SPD), »dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bundesministerin Regierungshandeln lediglich simuliert.« Nicht nur, denn zumindest einen konkreten Vorschlag hat von der Leyen gemacht. Sie regte an, die BA solle Tagesmütter qualifizieren, und präzisierte dies in ihrer Regierungserklärung zur Wirtschaftspolitik am 23. April mit den Worten: »Diese können eingesetzt werden, um in den Randzeiten die Kinderbetreuung sicherzustellen.«
Nun ist allerdings in den meisten Bundesländern die Kinderbetreuung auch zu den üblichen Arbeitszeiten nicht gewährleistet. Tagesmütter und – in einem verschwindend geringen Ausmaß – auch Tagesväter betreuen, in der Regel zusätzlich zu ihren eigenen Kindern, bis zu fünf weitere Kinder in ihrem Haushalt. Bezahlt werden die Tagesmütter von den Eltern, die diese Betreuung in Anspruch nehmen. Unter Umständen können diese auch einen Antrag auf finanzielle Unterstützung bei den Bezirksämtern oder entsprechenden kommunalen Einrichtungen stellen.
Das Streben nach einem Spitzeneinkommen dürfte jedoch kaum die Motivation sein, wenn Frauen diese Tätigkeit als Tagesmutter aufnehmen. Diese Form der Kinderbetreuung wurde ursprünglich lediglich als Möglichkeit des Hinzuverdienens konzipiert. Sofern die Tagesmütter jedoch nicht verheiratet sind und nicht über die Familienversicherung ihres Partners versichert werden, gelten sie als freiberuflich Selbständige und unterliegen seit 2009 der Rentenversicherungspflicht. Der monatliche Beitrag dafür beginnt bei 250,74 Euro. Hinzu kommt die Versicherung in einer gesetzlichen Krankenkasse, die bei Freiberuflern ein monatliches Mindesteinkommen von 1 916 Euro festgelegt hat, der Mindestbeitrag beträgt 270 Euro.
Allein wegen dieser Versicherungskosten müssten Tagesmütter den Eltern der betreuten Kinder hohe Rechnungen stellen. Für eine berufstätige Verkäuferin, die ihr Kind auch in den »Randzeiten« in guten Händen wissen möchte, wäre das jedoch kaum zu finanzieren.

Die logische Konsequenz ist, dass die Tagesmütter ihre finanziellen Erwartungen an die Realität anpassen und für wenig Geld arbeiten oder bis zu fünf Kinder betreuen und mehr als acht Stunden täglich die Verantwortung für sie tragen. Das geht zu Lasten der Tagesmütter und der Kinder. Für die Bundesregierung ist es jedoch ein gelungener Coup. Statt für den Ausbau staatlicher beziehungsweise kommunal kontrollierter Kindertagesstätten mit einem vernünftigen Personalschlüssel zu sorgen, wird die Aufgabe der Kinderbetreuung in Privathaushalte verlegt. Wo sie – traditionellerweise und weiterhin erwünscht – von Frauen erfüllt wird. Für ihre qualifizierte und schwere Arbeit darf die Tagesmutter jedoch nicht das Gehalt erwarten, das einer Erzieherin zustehen würde.
Im vergangenen Jahr haben nicht nur die Versicherungsträger die Tagesmütter als Einnahmequelle entdeckt, auch die Bundesagentur für Arbeit forciert einen neuen Niedriglohnsektor. Bis zum Jahr 2013 möchte sie 30 000 zusätzliche Tagespflegestellen schaffen. Sollte sich in den Jobcentern der Blick auf Alleinerziehende ändern, könnte der Fallmanager eine »Kundin« mit einer Qualifizierung zur Tagesmutter in diese schlecht bezahlte Tätigkeit drängen und eine arbeitslose Alleinerziehende mit dem Hinweis auf eben diese Tagesmutter in Arbeit vermitteln. Die Bundesregierung simuliert nicht nur Handeln, sie zeigt Engagement. Für einen Niedriglohnsektor, der vor allem Frauen vorbehalten ist.