Der Film »Du sollst nicht lieben«. Eine Geschichte über schwule ultraorthodoxe Juden

Schwul unter Rabbis

Der israelische Film »Du sollst nicht lieben« thematisiert Homosexualität unter ultraorthodoxen Juden.

Ezri sieht unglaublich sexy aus. Er trägt einen gut geschnittenen schwarzen Anzug, ein blütenweißes Hemd und einen Dreitagebart. Der im Regelfall großväterlich bis bizarr anmutende Dresscode der ultra­orthodoxen Juden verwandelt sich dank der smarten Aura Ezris fast schon in ein hippes Fashion-Statement. Der gutaussehende junge Mann wirkt dann auch um einiges »normaler« als all die Gestalten mit Vollbärten, die da im ultraorthodoxen Viertel Jerusalems zu sehen sind, in dem der israelische Film »Du sollst nicht lieben« ausschließlich spielt.
Doch für sein Umfeld gilt Ezri als Anomaler, als Verirrter und Verwirrter. Ezri ist religiös und homosexuell, das passt nicht in das Paralleluniversum der Ultraorthodoxie, das in Israel politisch und gesellschaftlich immer mächtiger wird und schon aus rein demografischen Gründen in Zukunft eine immer größere Rolle spielen wird.
Ezri landet, scheinbar aus dem Nichts kommend – später erfährt man, dass er von einer Yeshiva, einer Gebetsschule, verwiesen wurde – bei dem Schlachter Aaron Fleischmann, einem ehrbaren Familienvater und Mitglied der ultraorthodoxen Gemeinde. Der Junge ist ganz offensichtlich ziellos und hat nicht einmal einen Platz zum Schlafen, und so wird er von Aaron als Gehilfe in seiner Metzgerei angestellt, obwohl er für die recht grobe Arbeit viel zu zart besaitet ist. Vom ersten Moment des Aufeinandertreffens der ungleichen Männer an baut »Du sollst nicht lieben« eine erotische Spannung zwischen den beiden auf. Der eine bringt sein Begehren mit seiner ganzen Körpersprache zum Ausdruck, der andere, verschlossen und etwas brummig wirkend, ist sichtbar gefangen in seinem widersprüchlichen Gefühlswirrwarr aus Mitleid, Lust, Scham und Selbsthass.
Mit großer Spannung verfolgt man die behutsam vorangetriebene Entwicklung einer Liebe, die es eigentlich nicht geben darf. Tel Aviv gilt als eine der schwulenfreundlichsten Städte der Welt und ist nur eine Autostunde von Jerusalem entfernt, doch für Ezri und Aaron befindet sich die Stadt am Meer mit ihrem liberalen und libertären Lebensgefühl auf einem ganz anderen Planeten. Schon wenn Ezri Aaron auffordert, mit ihm raus aus der Stadt zu fahren, um dort in einem Wasserloch zu baden, ist das für Aaron, als begäbe er sich in ein fremdes Land. Er ist, wie so viele der ultraorthodoxen Juden in Israel, in seinem mittelalterlich wirkenden Viertel aufgewachsen, das er so gut wie nie verlässt, er hat die Fleischerei seines Vaters übernommen, auf großartige Veränderungen in seinem Leben war er nicht mehr eingestellt. Doch die Umwälzung in seinem Leben ist bald total – und das ist auch gut so. »Ich brauche ihn einfach«, sagt er an einer Stelle über Ezri. »Ich war tot – jetzt lebe ich.«
Doch mit dem Bekenntnis zu Ezri und zu sich selbst schwindet der Halt in der Gemeinschaft. Gerüchte machen die Runde, bald wird immer offener über das Treiben in der Fleischerei gemunkelt. Erste Plakate werden aufgehängt, »Sünder in der Nachbarschaft« ist auf diesen zu lesen. Übereifrige Toraschüler betreten aufgeregt Aarons Metzgerei und verlangen, dass Ezri weggeschickt wird, auch der Rabbi, ein Freund der Familie Fleischmann, spürt, wie sein Einfluss auf Aaron schwindet. Zwei Liebende müssen sich aus der Gemeinschaft lösen, um ihren Gefühlen treu sein zu können, ganz zurückziehen aus diesem Umfeld können sie sich jedoch auch nicht, dafür sind die Bande der Familie und der Religion zu stark.
Der Debütfilm des jungen israelischen Regisseurs Haim Tabakman ist nicht nur beeindruckend, weil er das heikle Thema Homosexualität in einer religiösen Gemeinschaft in seiner ganzen Vielschichtigkeit thematisiert. Er ist auch eine gelungene Studie aus dem Inneren einer religiösen Subkultur, über deren Riten und Gebräuche man so einiges erfährt. Man sieht, wie Aaron daheim den Shabbat im Kreise seiner Familie feiert und wie seine Frau die Betten zusammenstellt, wenn sicher ist, dass sie nicht menstruiert, also »rein« ist. Man erfährt etwas vom Leben, das auf Gebet und Fortpflanzung ausgerichtet ist, das zwar nicht genussfern organisiert ist, in dem man sich aber auch nicht verlieben darf, in wen man gerade will.
Alles ist vorherbestimmt, vorausgeplant und streng patriarchalisch und hierarchisch organisiert. Väter versprechen sich gegenseitig ihre Kinder zur Hochzeit, und Verstöße gegen das Regelwerk der Gemeinschaft werden geahndet. Der Schutz der Gemeinde und die durch den gemeinsamen Glauben gewährleistete Solidarität können schnell brüchig werden, wenn man eigene Vorstellungen vom Leben hat. Ausgrenzung und Verachtung sind die Folgen. Oder Schläge, wie sie Ezri irgendwann einstecken muss.
»Du sollst nicht lieben« ist der erste abendfüllende Spielfilm von Haim Tabakman, der in Israel auch als erfolgreicher Cutter bekannt ist. Seine Festivalpremiere hatte der Film in Cannes 2009. Im Juni desselben Jahres wurde er in Strasbourg beim Shalom Europa Festival als bester Film ausgezeichnet. Die deutsch-französisch-israelische Co-Produktion soll nach der Kinoauswertung auch im ZDF ausgestrahlt werden.
Der Film wird bereits als eine Art »Brokeback Mountain« aus der Welt der ultraorthodoxen Juden gefeiert, als Film über eine scheinbar unmögliche Liebe, die keine Chance hat, aber dennoch besteht. In Israel ist das Thema Homo­sexualität bei Ultraorthodoxen nicht ganz neu. Rabbis haben sich ihm angenommen, erste Selbsthilfegruppen gibt es bereits und sogar Hotlines, in denen sich Gläubige darüber informieren können, was sie im Falle eines Coming-outs tun können. Die meisten homosexuellen Gläubigen treten ja wie Aaron und Ezri nicht einfach aus ihrer Gemeinschaft aus, dafür haben sie sie viel zu sehr verinnerlicht, sondern sie suchen nach Wegen, Glauben und sexuelle Orientierung miteinander zu vereinbaren. Für die Rabbis ist Homosexualität nicht einmal eine Sünde, sondern lediglich eine Verirrung. »Schwulsein ist wie eine Krankheit, die man auf einfache Art und Weise loswerden kann«, sagt Regisseur Haim Tabakman über das Weltbild der Ultrareligiösen.
Auch Aaron scheint seine Zuneigung zu Ezri immer wieder als eine Art Zwischenfall zu sehen, sogar seine Frau, die ganz offensichtlich die Leidenschaft ihres Mannes erahnt, hält weiter zu ihm. Doch als Ezri dem Druck der Gemeinde nicht mehr länger standhalten kann und seine Konsequenzen zieht, erkennt auch Aaron endgültig, dass er ein Leben mit der Lüge nicht mehr aushält.

»Du sollst nicht lieben«. Regie: Haim Tabakman. Isr/FR/D 2009. Start: 20. Mai