Schiitische Regierungskoalition im Irak

Vertrauen ist gut, Herrschen ist besser

Im Irak soll eine schiitische Koalitionsregierung gebildet werden. Dies könnte dem iranischen Regime mehr Einfluss auf das Nachbarland verschaffen.

Große außenpolitische Erfolge in der Region hatte der Iran in letzter Zeit nicht vorzuweisen. Umso erfreulicher für das Regime dürfte nun die Entwicklung im Irak nach den Wahlen sein. Vergangene Woche erklärten die zwei großen schiitischen Blöcke, die vom amtierenden Premierminister Nuri al-Maliki geführte Allianz für Rechtsstaatlichkeit und die Irakische Nationale Allianz, in der vor allem die islamistischen Sadristen das Sagen haben, eine Regierungskoalition bilden zu wollen. Ausgebootet haben sie damit vorerst den eigentlichen Wahlgewinner, die säkulare Liste Iraqiyya von Iyad Allawi, die vor allem im sunnitischen Zentrum des Landes gewählt wurde.
Somit scheint wenige Monate vor dem Abzug der US-Truppen zu geschehen, was viele Kritiker befürchtet hatten: Der Iran tritt an, um das entstehende Machtvakuum zu füllen. Die Hoffnungen auf eine breite Koalition unter Einschluss von Repräsentanten aller Bevölkerungsgruppen scheinen zerschlagen zu sein. Vor allem Saudi-Arabien und die Golfstaaten dürften erneut versuchen, radikalere sunnitische Oppositionsgruppen zu stärken. Bereits im April waren so viele Anschlagsopfer wie seit Monaten nicht mehr zu beklagen, und nach Bekanntgabe des schiitischen Bündnisses erklärten einige sunnitische Politiker, dies werde zu neuer Gewalt führen.
Vor nicht allzu langer Zeit sind Truppen der Regierung unter Nuri al-Maliki noch gewaltsam gegen die Milizionäre Muqtada al-Sadrs vorgegangen. Die Einigung der vormals zerstrittenen Fraktionen dürfte vor allem aufgrund iranischen Drucks zustande gekommen sein. Zudem weigerte sich al-Maliki, seine Niederlage bei der Wahl einzugestehen. Auch wenn er bislang eher Distanz zum Iran gehalten hatte, schien ihm nun die Unterstützung des Nachbarlandes offenbar der einzige Weg, um an der Macht zu bleiben.

Doch nach wie vor vertrauen die potentiellen Koalitionspartner einander nicht. So enthält ihr Kooperationsvertrag auch eine Klausel, die besagt, dass fortan eine Gruppe schiitischer Kleriker für die Schlichtung etwaiger Konflikte zuständig sei. Damit könnten die Ayatollahs direkten Einfluss auf die Politik gewinnen. Für die Liste Iraqiyya stellt das neue Bündnis, wie sie in einem Statement erklärte, nichts weiter als einen Ausverkauf des Landes an den Iran dar. Iyad Allawi gab bekannt, er werde weiterhin auf seinem Recht bestehen, die Regierung zu bilden.
Alle, die gehofft hatten, dass sich in der anstehenden schwierigen Übergangszeit, die mit dem Ende der amerikanischen Militärpräsenz einsetzen dürfte, eine auf breiterer Zustimmung fußende Regierung etablieren würde, wurden enttäuscht. Dem Magazin Economist zufolge wünscht sich eine wachsende Anzahl von Irakis in allen Landesteilen eine Art große Koalition zwischen Malikis Liste und Allawis Iraqiyya, eine Regierung der »nationalen Einheit« unter Einschluss der kurdischen Parteien. Vor allem im Zentralirak wird die schiitische Koalition als iranische Vasallenregierung wahrgenommen werden. Damit ist die fragile Stabilität, die im vorigen Jahr zu einem immensen Rückgang der Gewalt geführt hat, gefährdet.

Gefährdet aber sind auch die demokratischen Errungenschaften der vergangenen Jahre. Denn obwohl sie unterschiedliche Interessen verfolgen, so eint doch Saudi-Arabien und den Iran die Feindschaft gegen eine Demokratisierung des Irak. Bislang sorgt die Präsenz der USA dafür, dass keines der Nachbarländer sich zu offen in die Angelegenheiten des Irak einmischt. Damit dürfte jetzt Schluss sein. Außenminister Hoshiar Zebari klagte kürzlich, die US-Regierung habe nur noch einen schnellen Abzug ihrer Truppen im Sinn und kümmere sich nicht mehr um die Zukunft des Irak.
Die Regierung Barack Obamas spricht nicht mehr von der Idee einer langfristigen Transformation des Nahen Ostens und versucht stattdessen, mit Diktaturen wie Syrien und dem Iran diplomatisch ins Geschäft zu kommen. Sie verzichtet auf jeden auch noch so sanften Druck auf Saudi-Arabien und Ägypten und hat sich de facto mit den Machtverhältnissen in der Region arrangiert. Die US-Regierung hinterlässt einen Irak, in dem sich gerade erste freie Institutionen und andere demokratische Einrichtungen etablieren. Erneut könnte das Land nun zum Schlachtfeld der Anrainerstaaten werden.
Dem Iran geht es vor allem um eine Minderung des amerikanischen Einflusses in der Region und eine Schwächung säkularer und moderater Bewegungen im westlichen Nachbarland. Das innenpolitisch schwer angeschlagene iranische Regime versucht, wie im Libanon oder im Gaza-Streifen, abhängige islamistische Enklaven zu bilden. Sollten die USA den Irak dem wachsenden iranischen Einfluss überlassen, werden vor allem jene Irakis den Preis zahlen, die bei den Wahlen gegen eine Stärkung der islamischen Parteien gestimmt haben. Aber auch für die Zukunft des ganzen Nahen Ostens wäre dies eine fatale Fehlentscheidung. Die Differenzen zwischen den beiden schiitischen Blöcken aber bleiben groß, und nicht wenige Kommentatoren im Irak glauben und hoffen nun, dass am Ende doch kein Koalitionsvertrag unterschrieben werden wird.