Schorsch Kamerun im Gespräch über sein Stück »Crashkurs«

»Die radikale Geste ist das beste Instrument, um was zu verkaufen«

In einer Inszenierung am Wiener Off-Theater Garage X gaben Schorsch Kamerun und Lokalgrößen wie Gustav, Austrofred oder Christina Nemec einen Crashkurs zum Thema »Der letzte vergebliche Versuch der Popkultur«. Ein Interview mit dem Sänger der Goldenen Zitronen.

Wieso trägt Ihr neues Stück den Untertitel »Crashkurs«?
Das ist ja kein richtiges Stück. Ich war nur eine gute Woche in Wien, da schafft man kein Stück. Daher habe ich das umgedreht: Da ich festgestellt habe, dass man dem Theater in so kurzer Zeit nicht helfen kann, will ich mir erst mal selber helfen lassen. Ich will jetzt einfach wissen, in welche Richtung soll ich mich formal und inhaltlich bewegen? Das heißt, ich spiele mal ein Stück ein bisschen punkiger, und dann probiere ich es aber auch noch anders, z.B. so Antony-and-the-Johnsons-mäßig. Dazu habe ich eine Expertengruppe aus lokalen Schreibern und Musikern eingeladen. Denen allen sollen diese Fragen gestellt werden: Ist Popkultur gefährlich oder einfach nur nett?
Der Ablauf erinnert an den der Castingshows. Ist das beabsichtigt?
Vielleicht schon. Ich selbst muss mich keinem Casting mehr stellen – ich würde sowieso nicht gewinnen können. Daher ist dieser Aspekt eher unwichtig. Aber ich bin wirklich interessiert an den Urteilen – die Sachen, die ich mache, sind ja immer auf der Kippe. Das weiß ich. Ironie spielt da auch eine Rolle – über die kann man natürlich streiten, aber sie kann durchaus auch befreien. Die Goldenen Zitronen arbeiten ja auch immer damit. Manchmal versteht man das nicht so ganz, manchmal ist das dadaistisch, manchmal mehr direkt, es kann aber auch platt sein. Und genau diese Fragen sind interessant, wenn man auf die Bühne geht. Ich habe eine Nummer, da spiele ich Gitarre mit einem 50-Euro-Schein. Ich finde das wirklich ganz lustig, aber das ist eine Geste, zu der könnte man auch »schnarch« sagen.
Spielt der Titel »Der letzte vergebliche Versuch der Popkultur« nicht auch auf eine gewisse Lust am Scheitern im System Pop an?
Es ist momentan ja ein bisschen modern zu sagen, Pop ist tot. Wenn ich diese Formel darauf beziehe, dass ich in einen Raum komme, es dunkel wird, die Musik laut wird – das funktioniert für mich tatsächlich nicht mehr, weil ich keine 20 mehr bin. Meine Neurologie hat das schon so oft erlebt, dass es einfach nicht mehr klappt. Ich weiß, dass Leute diese Reize von Pop immer noch wunderbar erleben können – es gibt gute Platten, man kann die selber toll produzieren heutzutage, das alles ist schon okay. Aber Pop als Gegenkultur, als Instrument von Anti, existiert heute nicht mehr.
Ich wurde neulich von einer Studentin gefragt, ob Popkultur eigentlich eine Epoche sei.
Tatsächlich empfinde ich das ein bisschen so. Natürlich hört Pop jetzt nicht einfach auf, aber als das alternative Lebensmodell, als das wir es empfunden haben – so was wie die Factory und alles, was danach kam, dass sich ganze Kieze und Strukturen gebildet haben, was auch viel mit Bewegung und Lebensgefühl zu tun hatte –, das ist vorbei.
Im Ankündigungstext zu Ihrer Veranstaltung heißt es: »Popkultur war einst Versprechen individueller Selbstverwirklichung, eine scharfe Waffe gegen den konsumistischen Mainstream, ein subversives Statement gegen die konformistische Mehrheit. Jahrzehnte später hat sich daraus eine Industrie entwickelt, die mit ›Superstars‹ vom Fließband Unterhaltungsbedürfnisse bedient wie die Nachfrage nach Waschmittel.« War Pop aber nicht immer schon Ware?
Auch. Aber Pop war auch immer eine Begleit­erfahrung, um bestimmte Inhalte attraktiv zu machen. Ich bin politisiert worden mit Popkultur. Früher durfte sich alles eine Zeit lang ausprobieren, aber wenn jetzt eine Neuerung auftaucht, wird sie sofort aufgesogen. Franz Ferdinand haben ihre erste Single z.B. in Paris auf dem Laufsteg vorgestellt.
Was bedeutet diese Diagnose für Ihre Arbeit?
Ich arbeite ja nicht, das ist schon ganz falsch! Das versucht man zu vermeiden. Sicherlich ist das irgendwie roboten …
Das heißt, Arbeit und Freizeit sollen möglichst verschmelzen?
Ja, das ist ja wirklich der Wunsch, oder?
Aber das ist doch genau der neoliberale Imperativ der Dauerkreativität, nach dem jetzt alle ihr Leben optimal managen sollen.
War das nicht immer schon ein bisschen so?
Nach diesem Modell sollen nun aber alle eigenverantwortlich funktionieren – egal, ob öde Büroarbeit oder prekarisierte »kreative« Existenz.
Ja, das stimmt. Subjektivierung nennt man das auch, die Geschäftsführung des eigenen Daseins. Und dass alle cool sein müssen, das ist grausam. Es reicht nicht mehr, ein guter Automechaniker zu sein, man muss auch noch ein cooler Automechaniker sein.
Kann man dann überhaupt noch irgendwo Protest anmelden?
Die radikalste Kunst landet immer im Museum. Aber vor 100 Jahren hat der Künstler das nicht mehr miterlebt. Heute dagegen sitzen die da schon und warten drauf, dass irgendwo wieder was Neues kommt.
Woher kommt diese Beschleunigung?
Das ist Kapitalismus. Der hat verstanden, dass man das verkaufen kann. Die radikale Geste ist das beste Instrument, um was zu verkaufen. Das ist Werbung. Es gibt nichts Besseres, um etwas zu bewerben, was sich ja auch in der Benennung niederschlägt. Die nennen Autos radikal oder texten irgendwas von Revolution. Weil die sich in ihrer Terminologie mittlerweile überboten haben.
Ist radikale Kunst heute nur noch in staatlich geförderten Institutionen möglich?
Nein! Überhaupt nicht. Das ist eine luxuriös geschützte Nische. Das ist doch auch in Ordnung. Wenn du Theater machen willst, dann brauchst du ein bisschen Zeit dafür und gewisse Mittel. Über Subventionen wird das ermöglicht. Am Theater hat man eine schöne Bandbreite an Möglichkeiten, sich mit einer Gruppe über eine längere Zeit mit einem Thema hinzusetzen und daraus am Ende einen Abend zu basteln. Das finde ich schon spitze.
Aber das ist genau das, was ich meinte.
Na ja, man kann ja auch Schallplatten rausbringen ohne Geld.
Aber das wird ökonomisch immer schwieriger, weil die Leute auch von irgendwas leben müssen.
Das ist der Punkt, wahrscheinlich. Ich kann das nur für mich beantworten. Ich lebe von allem gemixt, habe aber das Gefühl, ich muss mich nirgendwo verbiegen. Und es muss nirgendwo Marlboro drunter stehen, das ist schon ganz gut so.
Der Staat und seine Institutionen waren mal das Ur-Feindbild des Punk. Sind die Privaten und die Wirtschaft jetzt der neue Feind?
Das hat mit der Privatisierung von Medien zu tun. Ich fand Theater und Staatskunst einfach nur scheiße, ungefähr bis 1990. Und dann kam aber Radio blablabla und Okay Radio und RTL und Sat1, und ab da wurde es plötzlich interessanter. Was am Theater an Themen geboten wird, ist gar nicht weit von dem entfernt, was wir mit der Band – immer noch sehr independent – verhandeln.
Ist mittlerweile das jahrelang in alternativen Strukturen erwirtschaftete subkulturelle Kapital in traditionell Institutionen wie dem Theater nicht auch ein Bonus?
Meinen Sie wirklich, dass das stimmt? Ich glaube nicht, dass das Kapital – das klingt ja nach verkaufen! – ein Bonus ist. Das hat eher damit zu tun, dass man über ganz viele Jahre von einem alternativen Außen auf die Bühne gucken konnte und sich daher einfach auskennt. Mir ging es nie darum, Punk auf die Bühne zu bringen. Ich glaube nicht, dass meine Sachen darüber funktionieren, dass sie punkig oder Underground sind! Da gibt es schon viele Missverständnisse. Das größte ist eigentlich, dass man behauptet, dass wir als neue Theatergeneration – zu der ich mich selbstverständlich nicht zähle! – irgendwas ablösen wollen. Mich hat das nie interessiert, da was zu zerschlagen.
Aber hat man nicht manchmal doch den Impuls, verstaubte Institutionen wie das Theater zu zerschlagen?
Ja, den Impuls hat man schon. Aber müsste man nicht auch eine Konzerthalle zerschlagen, die nur darüber funktioniert, dass da Werbebanner hängen?
Verfolgen Sie eigentlich noch Debatten um Popkultur?
Meinen Sie damit »Die neue Platte von...«? Oder so was wie: »Seid ihr noch ’ne Punkband?« Ich sag mal so: jaa. Aber wir machen sicherlich keine Musik wie Green Day, die ’ne Punkband sind.
Es ging mir eher um Popdiskurse.
Gibt es denn noch Diskurse? Stilistische Popdiskurse finde ich grandios langweilig. Weil ich alles schon fünfmal gehört habe. Wie oft habe ich z.B. das Wort »psychedelic« gehört? In den Sechzigern, in den spätern Siebzigern, noch mal in den Achtzigern, Tschuldigung, was soll ich dazu denn noch sagen?
Ich meinte inhaltlich-politisch. Aktuell gibt es ja z.B. eine kleine Debatte über den Status der Popkritik.
Klar nehme ich da auch Verschiebungen wahr: In unserem letzten Video, »Positionen«, stehe ich in München in so einem komischen Kostüm auf dem Marienplatz und rede eine halbe Stunde lang über Form und darüber, dass die Leute mich scheinbar nicht mehr hassen würden. Und keine Sau hat sich dafür interessiert! Vor zehn Jahren hätte ich dafür noch auf die Fresse gekriegt, oder man hätte mit mir drüber reden wollen, und jetzt ist genau gar nichts mehr. Das ist schon interessant.