Home Story

Wie Sie wissen, lesen Sie in dieser Zeitung die Wahrheit. Wenn sich trotz aller Bemühungen irgendwo ein Fehler eingeschlichen hat, beichten wir ihn unter dieser home story. Doch diesmal ist den Kollegen ein Fehler unterlaufen, dessen Berichtigung man nicht in einem »Kreuzworträtsel« erledigen kann.
Der Fehler wiegt journalistisch wie moralisch schwer. Stets hatten die Kollegen behauptet, an den Geräuschen, die am späten Nachmittag durch ihr Büro schallen, seien im Gebälk nistende Tauben schuld. Und wir alle hatten das geglaubt. Schließlich weiß man, dass jene, die diesen Vogel zum Symbol des Friedens kürten, einen an der Klatsche hatten, gehen die männlichen Tiere dieser Spezies ihren weiblichen Artgenossen doch mit ihrem sexistischen Gebalze derart auf den Wecker, dass man sich voller Fremdscham abwenden will. Manch einer sah sich angesichts der Geräusche schon zum Luftgewehr greifen, andere fabulierten vom Giftmord. Doch wer sich den Lärm bewusst angehört hat, der klingt, als rieben zehn schwäbische Hausfrauen gleichzeitig ihre Fensterscheiben mit Zeitungspapier blank, weiß: Das sind keine Tauben. Auch wenn ein Kollege, behauptet: »Das sind ausländische Tauben! Die sprechen anders!« Dass wir Ihnen von spezizistischen Projektionen begünstigte Vermutungen als Tatsache präsentierten, tut uns leid, denn überprüft haben wir das bislang gar nicht.
Denn so sehr wir auf Offline-Recherche Wert legen, niemand hat sich bislang einen Taubenkot-Schutz­anzug angelegt, um einmal durch die nebulösen Rohre zu kriechen, die hier aus der Decke ragen. Auch hatte niemand den Mut, einer anderen, plausibleren Theorie nachzugehen. Unter uns ist ein Kung-Fu-Cub, in dem nachmittags Menschen auf einen an der Decke hängenden Boxsack eindreschen, so dass es nicht nur dröhnt, sondern vermutlich auch in der Verankerung des Sackes quietscht. Dass dies die Ursache des Geräusches ist, bleibt aber ebenso spekulativ, solange sich niemand zu den Männern herabwagt, die dort mit den Kniekehlen kopfunter in der Sprossenwand hängend wohl 500 Sit­ups schaffen.
Vielleicht sollten wir unsere Tochterfirma Carnivora vorschicken. Die zeigt uns derzeit, was voller Einsatz ist. Weil sie vorige Woche die Abo-Zustellung erstmals selbst übernahm und just da ein Abonnent seinen Umzug vermeldete, so dass die Post nicht mehr rechtzeitig handeln konnte, warf ihm eine Carnivora-Kollegin die Zeitung persönlich in den Briefkasten. Und nachdem wir Zeuge wurden, dass die Leute von Carnivora in der Lage sind, Adressetiketten mit chinesischen und kyrillischen Schriftzeichen zu versehen, damit die Jungle World auch nach China und Russland findet, wissen wir, wen wir mit der Lösung unseres Rätsels beauftragen. Aber vielleicht reicht ja zunächst auch ein Anruf bei unserer netten Hausverwaltung.