Über den schwedischen Bestseller-Autor Stieg Larsson

Der Antifa, der Krimis schrieb

Stieg Larsson gründete in den Neunzigern ein Antifa-Blatt in Schweden. Heute steht sein Name für ein gigantisches Krimi-Imperium.

An den Krimis von Stieg Larsson kommt man in diesen Tagen nicht vorbei. Wenn man schon nicht selbst zu den Süchtigen gehört, kennt man zumindest jemanden, der ein großer Fan ist, oder man sitzt in der U-Bahn jemandem gegenüber, der gerade eines der ziegelsteinformatigen Bücher verschlingt. Und für Nachschub ist gesorgt, die Büchertische im Kaufhaus sind gepflastert mit den Krimis mit den elegischen Cover-Fotos.
Es sind zwei Schreibkarrieren, die nicht zusammen zu passen scheinen. In den Neunzigern, als der Neonazismus in Europa erstarkte, gründete Larsson in Stockholm ein kleines Antifa-Mag, für das er als Redakteur und Autor arbeitete. Zuvor, in den Achtzigern, war er jahrelang als Skandinavien-Korrespondent für die britische antifaschistische Zeitung Searchlight tätig, er schrieb vor allem zu den Themen Neonazismus, Antisemitismus, Rassismus und Sexismus, verfasste Bücher über Rechtsextremismus und beschäftigte sich als einer der ersten Journalisten in Europa mit dem Thema Ehrenmord.
Dann hatte Larsson noch eine Art Hobby. Nachts und erstmal nur für die Schublade schrieb er Krimis. Darin lässt er eine mediokre Profilerin mit Punk-Attitüde und einen gescheiterten Journalisten eine labyrinthische Ermittlung führen. Die Thriller, die auf Deutsch unter den pathetischen Titeln »Verblendung«, »Verdammnis«, »Vergebung« erschienen sind, wurden mittlerweile verfilmt und sind auch im Kino überaus erfolgreich. Wenn am 3. Juni mit »Vergebung« der dritte Teil der Trilogie in die deutschen Kinos kommt, wird das Fieber nochmal steigen, viele Kinos wollen Triple Features der »Millennium«-Trilogie zeigen.
Allein in Schweden wurden bereits 3,5 Millionen Exemplare der Reihe verkauft, interna­tional sind es bislang 15 Millionen. Längst wird sein Name in einem Atemzug mit dem seiner schwedischen Kollegen aus dem Krimifach genannt, Henning Mankell, Håkan Nesser, Arne Dahl.
Mit seinen Artikeln in dem von ihm gegründeten antirassistischen Magazin Expo erreichte er dagegen stets nur eine überschaubare Gruppe von Lesern, selbst in seinen besten Zeiten zählte das Heft nicht mehr als 2 000 Abonnenten. Seinen Ruhm als Schriftsteller hat der Antifa-Reporter freilich nicht mehr miterleben können. Am 9. November 2004 bereitete er eine Veranstaltung zur Erinnerung an die Reichspogromnacht vor und erlitt einen Herzinfarkt. Das Podium musste an diesem Abend ohne ihn auskommen. Sein kurdischer Kollege Kurdo Baksi hielt die riskante Veranstaltung mit Holocaust-Überlebenden und einem Mob aus Neonazis im Publikum alleine ab. Als Baksi am Ende der Veranstaltung seine SMS kontrollierte, erfuhr er vom Tod seines Kollegen.
Fünf Jahre danach hat Baksi eine politische Biografie des 1954 in der schwedischen Provinz geborenen Journalisten veröffentlicht. »Es besteht die Gefahr«, schreibt er, »dass Stiegs Kampf um die Menschenrechte nach seinem großen Erfolg als Autor nicht mehr die verdiente Aufmerksamkeit erhält.« In seinem Buch mit dem Titel »Mein Freund Stieg Larsson« schildert Baksi, der lange Zeit als stellvertretender Chefredakteur von Expo arbeitete, die gemeinsame Zeit in der Stockholmer Redaktion. Es ist ein Buch, dem man anmerkt, dass es schnell heruntergeschrieben ist, das aber dennoch die bisher bekannten Informationen zur Biografie ergänzt. Den Antrieb für das politische Engagement des Journalisten sieht Baksi in einem Schuldgefühl, das Larsson mit sich herumgetragen habe, seit er als Jugendlicher Zeuge einer Vergewaltigung geworden sei, ohne dass er eingegriffen hätte. Sein schlechtes Gewissen sei der Grund, warum er sich später als Journalist vor allem auch um die weiblichen Opfer von Hass-Delikten gekümmert habe.
Angerissen werden die Debatten der Linken in den neunziger Jahren, die Bekämpfung des Neonazismus, das Verhältnis von rechtem Rand und gesellschaftlichem Zentrum, der politische Umgang mit dem Ehrenmord; aber auch Diskussionen über die Blattlinie, die Sicherheit der von Rassisten bedrohten linken Redaktion, die Infiltration von rechtsextremen Organisationen und die Grenzen des investigativen Journalismus. Über weite Strecken werden die Debatten in Form von oft ermüdenden Dialogen zwischen Larsson und Baksi nachgestellt.
Die Methoden der Recherche waren ein Streitpunkt zwischen beiden. Baksi kritisierte die Infiltration rechter Organisationen, Larsson plädierte dafür und schleuste Ende der Neunziger einen 17jährigen Aktivisten in eine rechtsextreme Partei ein. Man begreift, über welch kriminalistische Energie Larsson verfügte und welche Überschneidungen es zwischen seinen belle­tristischen und seinen journalistischen Arbeiten gegeben hat. Brandanschläge, Morddrohungen, Hacker-Recherchen, Infiltration, viele Ereignisse, die zur Redaktionsgeschichte von Expo gehören, finden sich in der »Millennium«-Reihe wieder.
Der Titel der Trilogie leitet sich vom Namen der Zeitung ab, für die der Protagonist Mikael Blomquist arbeitet: Millennium, ein investigatives Magazin, dessen bester Mann Blomkvist ist. Bis zu dem Tag, als seine Enthüllungen über die Machenschaften eines Großindustriellen ihm einen Rufmord-Prozess einbringen. Der Journalist verliert, sein Image ist ruiniert. Um dem Blatt nicht zu schaden, zieht er sich aus der Redaktion zurück und beginnt im Auftrag eines alten Patriarchen die Historie der in Naziverbrechen verstrickten Großfamilie Vanger zu recherchieren. Gemeinsam mit der genialen Hackerin Lisbeth Salander, die bizarrste und faszinierendste Ermittler-Figur, die die schwedische Kriminalliteratur zu bieten hat, soll er herausfinden, was mit der vor Jahrzehnten verschwundenen 16jährige Nichte Harriet geschehen ist und wer dem alten Mann jedes Jahr eine Blüte der äußerst seltenen Rubinette schicken lässt, eine Blume, die das verschwundene Mädchen früher immer seinem Großvater geschenkt hatte.
Mit ihren verschrobenen Charakteren, dem verschwörerischen Plot, dem Missbrauchsthema und nicht zuletzt wegen ihres Leitmotivs, dem Rätsel um eine blonde Teenage Queen, deren Schönheit in immer wiederkehrenden Bildern beschworen wird, erinnert die »Millenni­um«-Saga an David Lynchs TV-Epos »Twin Peaks«.
Der Originaltitel des ersten Buches heißt nicht umsonst »Männer, die Frauen hassen«. Es sind die weiblichen Figuren, die in der Trilogie Opfer sadistischer Gewalt werden, aber die gedemütigten Frauen schlagen auch mit voller Härte zurück. Allen voran die anorektische, bisexuelle und hyperintelligente Hackerin Lisbeth Salander, die innovativste Figur des »Millen­nium«-Kosmos. Mit dieser Ermittlerin katapultiert Larsson seine stilistisch eher trägen Krimierzählungen ins Digitalzeitalter. Es ist die Mischung aus Missbrauchsgeschichte, Nazi-Vergangenheit und subversiver Hackerkultur, die den besonderen Dreh der Erzählung ausmacht und den Kult um die Bücher begründet.
Entstanden sind die Manuskripte, so vermutet Baksi, in den Jahren zwischen 2000 und 2003, aber bereits im Jahr 1997 soll das erste Kapitel von »Verblendung« geschrieben worden. In der Redaktion waren die belletristischen Ambitionen des Chefredakteurs zwar nicht völlig unbekannt, wirklich ernst genommen hatte sie aber niemand, zu viele Journalisten reden davon, irgendwann den großen Roman schreiben zu wollen. Die Zeit zum Schreiben fand er in der Nacht, die für ihn zu einer Zeit endete, zu der andere wieder aufstehen. Seine Schlafgewohnheiten hatte Larsson gerne mit denen Churchills verglichen. Nicht mehr als drei Stunden Schlaf, so glaubt Baksi, habe er sich durchschnittlich gegönnt. Möglich, dass er an der chronischen Schlafkrankheit Insomnia litt, möglich auch, dass es die zwei Schachteln Zigaretten und die geschätzten 20 Tassen Kaffee waren, die die Nacht zum Tag werden ließen.
Den gleichen Ehrgeiz, mit dem Larsson geschrieben hat, verwenden sein Vater und sein Bruder inzwischen auf die postume Vermarktung. Angelegt war die Geschichte nach ihren Angaben auf zehn Bücher, von denen die ersten drei vollendet wurden und die Bände vier bis sechs als Exposés vorliegen. Das fünfte Buch soll nahezu fertig sein und könne durch einen Co-Autor problemlos vollendet werden. Längst wird um die Rechte am Larsson-Imperium erbittert gestritten.
Die Rechte an den Büchern halten Vater und Bruder; den Laptop, auf dem sich der Text zum fünften Buch befinden, besitzt dagegen die langjährige Lebensgefährtin Eva Gabrielsson. Sie sträubt sich gegen die Veröffentlichung des Bandes und argumentiert, diese sei nicht im Sinne des Verfassers gewesen. Die Architektin war 32 Jahre lang Larssons Lebensgefährtin, da die beiden nicht verheiratet waren, kann sie aber keine Ansprüche auf das Werk geltend machen. Testamentarisch hatte Larsson verfügt, dass sein Geld an die Umeå-Ortsgruppe des Kommunistischen Arbeiterbunds gehen solle, da das Testament aber nicht beglaubigt ist, ist es nach schwedischem Recht unwirksam. Der Ortsverein hatte ohnehin signalisiert, dass er sich nicht an dem Erbstreit beteiligen wolle und erklärt: »Wir halten an unseren Idealen Gerechtigkeit und Gleichbehandlung fest, die auch Stieg Larssons Ideale waren. Wir meinen, dass Stiegs lebenslange Beziehung mit Eva Gabrielsson respektiert werden sollte. Die unzeit­gemäße schwedische Gesetzgebung, die die Ehe über andere Paarbeziehungen – seien sie gleich- oder gemischtgeschlechtlich – stellt, muss von Grund auf reformiert werden.« Baksi wiederum behauptet, dass Larsson das Geld in die von ihm gegründete Expo-Stiftung hätte fließen lassen. Wie dieser Schwedenkrimi ausgehen wird, ist noch offen.

Kurdo Baksi: Mein Freund Stieg Larsson. Heyne, München 2010, 224 Seiten, 18,95 Euro
Die Romane »Verblendung«, »Verdammnis«, »Vergebung« sind ebenfalls bei Heyne erschienen und kosten jeweils 9,95 Euro.
»Verdammnis«. DVD (Warner Home Video)
»Vergebung« (Schweden 2010). Regie: Daniel Alfredson. Drehbuch: Ulf Ryberg. Darsteller: Michael Nyqvist, Noomi Rapace, Lena Endr. Kinostart: 4. Juni