Sven Giegold im Gespräch über die Sparpolitik der EU

»Man muss sparen, wenn es gut läuft«

Der Attac-Mitbegründer und Wirtschaftswissenschaftler Sven Giegold ist seit Juni 2009 Abgeordneter der Grünen im Europa-Parlament und dort im Ausschuss für Wirtschaft und Währung tätig.

Es hat den Anschein, als fahre die Bundesregierung gerade die Eurozone gegen die Wand. Müssen wir uns ernsthafte Sorgen machen?
Man muss sich Sorgen machen, die fundamentalen Probleme der Eurozone sind ja nicht gelöst. Nach wie vor fehlen der gemeinsamen Währung eine gemeinsame Wirtschaftspolitik und klare Instrumente gegen die immer höheren Ungleichgewichte, gerade was die Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedsländer angeht.
Soll das heißen, dass Hauptproblem sei die zu geringe Wettbewerbsfähigkeit der Länder in Südeuropa?
So muss man das nicht unbedingt formulieren. Ich denke, dass die Staatsfinanzen auch nicht das Hauptproblem sind – jedenfalls im Vergleich zum Grundproblem, dass Länder ein Außenhandelsdefizit von zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf Dauer nicht aushalten. Dahinter steht einerseits eine aggressive Kostensenkungspolitik von Ländern wie den Niederlanden, Österreich und vor allem Deutschland, auf der anderen Seite überzogene Kosten in den südlichen Ländern.
Die deutsche Sparpolitik ist von der amerikanischen Regierung kritisiert worden. Ist diese Kritik zutreffend?
Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Die Niedrigzinspolitik und die exzessive Staatsverschuldung der USA halten zwar die Nachfrage am Laufen, aber wenn Amerika in der völligen Verschuldung landet, können die USA eben den Rest der Welt dafür bezahlen lassen, indem sie einfach den Dollar inflationieren.
Die Euro-Länder fürchten dagegen hohe Staatsdefizite, da sie dann seitens der Rating-Agenturen unter Druck geraten.
Es ist offensichtlich, dass die Rating-Agenturen mit zweierlei Maß messen. Während die USA bei allen Agenturen noch das beste Rating haben, obwohl das mit ihrer Verschuldungspolitik gar nicht zusammenpasst, werden europäische Staaten, die im Verhältnis zu den USA niedrig verschuldet sind, von den Agenturen heruntergestuft. Unsere Meinung ist, dass die Ratings nicht mehr zur Grundlage gemacht werden sollten für die Eigenkapitalunterlegung von Banken bei Staatsanleihen. Überhaupt haben die Rating-Agenturen, die eigentlich Rate-Agenturen sind, im internationalen Finanzsystem eine völlig unangemessene Bedeutung.
Aber wenn die Investoren den Rating-Agenturen vertrauen, haben herabgestufte Länder ein Problem – unabhängig davon, wie zutreffend das Urteil der Agenturen sein mag.
Dass die Rating-Agenturen so wichtig sind, steht nicht in der Bibel, sie sind erst durch die Rahmensetzung von Basel II so wichtig geworden. Das zweite ist, dass es durch den Finanzmarktkapitalismus für jedes Land ein Problem ist, wenn die Herde nervös wird. Diese Nervosität kann exzessiv sein, wie etwa im Fall von Spanien und Portugal. Bei der Reaktion, die hier drohte – dass die Staats­anleihen überhaupt nicht mehr absetzbar waren, obwohl Spanien innerhalb der Europäischen Union unterdurchschnittlich verschuldet ist –, haben wir es mit Irrationalität zu tun.
Um »das Vertrauen« der Märkte wiederzuerlangen, haben jetzt viele EU-Länder Sparmaßnahmen angekündigt. Wären die vermeidbar?
Die Staatsverschuldungsquote muss runter, da besteht gar kein Zweifel. Aber man muss sparen, wenn die Wirtschaft gut läuft, und nicht, wenn sie schlecht läuft. Die neoliberalen Wirtschaftpolitiker hatten ja für kurze Zeit eine Erleuchtung. Als die Finanzkrise auf dem Höhepunkt war, wurde plötzlich ein koordiniertes Konjunkturprogramm aufgelegt, obwohl man zuvor immer behauptet hatte, dass das nicht funktioniere. Nur hat diese Lernfähigkeit sich leider auf einen sehr kurzen Zeitraum beschränkt. Jetzt erleben wir, dass die alten Dogmen wieder hervorgekramt werden und versucht wird, in der Krise zu sparen. Und das ist natürlich Wahnsinn. Insbesondere dann, wenn die Länder, die noch relativ gut dastehen, ihre Nachfrage nicht ausweiten.
Damit wäre Deutschland angesprochen …
Man muss natürlich sehen, dass man vom nächsten Jahr an auch hier Defizite abbaut, aber eben wesentlich intelligenter, als die Leute durch Sozialkürzungen in Panik zu versetzen.
Wo sollte stattdessen gespart werden?
Das Motto sollte sein: sparen ja, aber sozial und ökologisch vernünftig. Es gibt Etatposten, die man streichen sollte, weil sie aus Sicht des Gemeinwohls nicht nützlich sind: umweltschädliche Subventionen, milliardenschwere Rüstungsprojekte, gemeinwohlschädigende Verkehrsprojekte. Jenseits dessen müsste man auch an strukturelle Fragen herangehen. Wir leisten uns dutzende verschiedene Renten- und Versicherungsregimes, das System sozialer Sicherung ist völlig aufgeblasen, und da sollte man darüber reden, ob es nicht auch solidarischer wäre, das in umfassenderen Institutionen zu organisieren. Das Defizit ist zu groß, als das man sagen könnte, wir sparen an der Rüstung und damit ist das Problem gelöst. Oder man denke an die Allzweckswaffe der »Linken«, die Vermögenssteuer …
Wäre die nur reine Symbolpolitik?
Das würde ich nicht sagen. Auch wir schlagen eine Vermögensabgabe vor, die um die 100 Milliarden einbringen würde. Aber das löst nicht das grundlegende Problem.
Die Krise ist ja mittlerweile auch eine politische Krise der EU. Wirkt sich das auch auf die Atmosphäre im Europa-Parlament aus?
Ja, die griechischen Abgeordneten sind in den beiden großen Fraktionen teilweise isoliert. Bei uns ist das nicht so, wir sind mit den griechischen Kollegen nach Griechenland gefahren und haben zusammen mit ihnen eine Erklärung abgegeben. Die griechischen Abgeordneten der großen Parteien applaudieren bei unseren Beiträgen, weil sie sich in der Wirtschaftspolitik von ihren Parteien nicht vertreten fühlen.
Warum haben die Grünen nicht stärker gegen die antigriechische und letztlich antieuropäische Haltung der Regierung protestiert?
Wir haben immer wieder gesagt, das wir mit Griechenland solidarisch sein müssen, und das ist auch der Grund, warum wir dem Rettungspaket zugestimmt haben. Ich finde das, was sich »Die Linke« da geleistet hat, ziemlich billig. Wer angesichts einer Bevölkerung, die aus einer Mischung aus Xenophobie und Geiz sagt, »Ihr Griechen griecht nichts«, sich im Bundestag hinstellt und sagt: »Das ist nicht solidarisch genug und deshalb stimme ich nicht zu«, spielt mit diesem Ressentiment. Vor die Wahl gestellt, ob man hilft oder nicht, haben wir zugestimmt, und zwar bei gleichzeitiger heftiger Kritik. Wir haben die Hetze, die auch von der Bundeskanzlerin und vor allem vom Außenminister gedeckt wurde, immer wieder angeprangert.
Eigentlich haben Sie derzeit einen großen Erfolg, schließlich fordern alle, was Sie seit Jahren fordern: Die Konservativen wollen mittlerweile auch eine Finanztransaktionssteuer – oder alternativ eine Finanzsaktivitätssteuer oder eine Finanzstabilitätsabgabe.
Diese Modelle sind sehr unterschiedlich, die Bankenabgabe etwa ist Symbolpolitik, da hatte die Bundesregierung eine Milliarde im Jahr veranschlagt, das ist ein Scherz angesichts der Krisenkosten. Die Finanzaktivitätssteuer ist eine Erfindung des IWF, bei der ebenso zu befürchten ist, dass sie zu gering veranschlagt wird. Bei der Finanztransaktionssteuer gab es eine Rosstäuscherei, da hieß es, man befürworte sie zwar global, aber national oder auf EU-Ebene wolle man sie nicht einführen. Da man wusste, dass die Kanadier und die USA nicht mitmachen, war das billig. Das Interessante ist, dass die Bundesregierung letzte Woche erklärt hat, dass sie die Finanztransaktionssteuer nun auch für die Eurozone befürwortet, das ist in der Tat erfreulich. Jetzt kommt es darauf an, dass sie das umsetzen.
Gleichzeitig geriet die Bundesregierung unter Druck, weil sie das Verbot ungedeckter Leerverkäufe im Alleingang beschlossen hat.
Diese Aufregung ist total albern. Die ungedeckten Leerverkäufe waren verboten, dann hat sie die Bundesregierung im nationalen Alleingang erlaubt, um damit den Nachbarn Konkurrenz zu machen und Marktanteile an die deutschen Börsen zu holen. Nun haben sie sie wieder verboten, und jetzt ist das angeblich der Untergang des Finanzmarktabendlandes. Dass Deutschland hier mal ausnahmsweise vorangeht, ist erfreulich. Jetzt ginge es darum, dafür zu werben, dass das verallgemeinert wird.
Sehen Sie Chancen, dass auf dem G20-Gipfel globale Regulierungen beschlossen werden?
Mit der amerikanischen Regierung gibt es bei wichtigen Fragen Übereinstimmung, und in vielen Bereichen sind Deutschland, Frankreich und Großbritannien konservativer als die USA. Deshalb darf man sich jetzt vor allem nicht die Lüge auftischen lassen, dass wir hier die großen Regulierer seien, und die Amerikaner die Fetischisten des freien Marktes. Gerade wenn es um Großkonzerne geht, gibt es in Amerika eine starke Tradition des Antimonopolismus. Den Plan, eine strikte Trennung zwischen Geschäftsbanken und Investmentbanken durchzusetzen, traut sich hier niemand zu verfolgen, denn das wäre etwa das Ende der Deutschen Bank.
Von der Europäischen Kommission hört man wenig in der Krise, die Stimmen der einzelnen Regierungen sind lauter. Woran liegt das? An einer Lähmung der Kommission?
Nein, der zuständige Kommissar Michel Barnier ist sehr entschlossen. Die Mitgliedsländer sind das Hauptproblem. Ein Problem ist auch, dass das Ganze außerhalb der Wirtschaftsmedien niemanden interessiert. In Europa werden gerade 30 verschiedene Gesetzesprojekte behandelt, die mir den Schlaf rauben, und das nimmt hier so gut wie niemand wahr – auch nicht die so­zialen Bewegungen. Das ist sehr bitter, denn dann kümmern sich darum allein die Finanzlobbys.
Ist das ein Problem der Komplexität der Finanzmärkte und dieser Gesetzesvorhaben?
Einerseits ja, aber die Frage etwa, ob man die Deutsche Bank aufspaltet, ist nicht komplex. Das ist eine Entscheidung, die man einfach treffen muss. Andere Dinge sind sehr komplex, und darum ist es auch wichtig, dass Organisationen Gelder bekommen, die Lobbyarbeit etwa im Sinne des Verbraucherschutzes betreiben.