Rechtsextremismus in den USA: Die Antisemiten

Pseudonymer Judenhass

Der Antisemitismus in den USA drückt sich seit jeher in eher subtilen Formen aus. Seit den Anschlägen in New York bedient er sich verstärkt des Antizionismus. Serie über Rechtsextremismus in den USA, Folge 6.

Der Antisemitismus in den USA bewegt sich historisch auf einem ganz anderen Eskalationsniveau als in Europa. Das verdeutlicht allein schon der Judaismusforscher David Gelernter, wenn er behauptet, dass »das blutigste Verbrechen in der Geschichte des amerikanischen Antisemitismus« der Mord an Leo Frank gewesen sei, der 1915 in Atlanta wohl zu Unrecht des Mordes beschuldigt, anschließend von einem Mob aus dem Gefängnis entführt und gelyncht wurde. Zwar waren die Geschehnisse rund um den Prozess in Georgia damals so beunruhigend, dass ein Großteil der Juden den Bundesstaat verließ. Aber angesichts der Pogrome, Ghettoisierungen und Verfolgungen auf dem alten Kontinent, aufgrund derer viele Juden überhaupt erst nach Amerika flohen, ist man versucht zu sagen, George Washington habe recht gehabt, als er den Juden von Newport (Rhode Island) 1790 ankündigte, Amerika werde sich »als so etwas wie das gelobte Land« für sie erweisen.

Auch wenn sich Antisemitismus in den USA nur selten als offene Gewalt äußerte, wirkte er in subtilen Formen, verhinderte lange Zeit die gesellschaftliche Anerkennung von Juden und trug zu ihrer Ausgrenzung bei. Institutionen wie die Columbia University in New York hatten bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs »Judenquoten«, die nicht nur die Zahl der jüdischen Studenten begrenzten, sondern oft auch verhinderten, dass ein Jude Professor werden konnte. Noch 1964 stellte Hans Morgenthau, jüdischer Emigrant aus Deutschland und Begründer des »politischen Realismus« in der amerikanischen Außenpolitik, fest, dass auch für Juden die »Segregation immer noch eine soziale Tatsache« sei: »Vor weniger als 30 Jahren hatte ich mit amerikanischen Konsuln zu tun, die es als ihre patriotische Pflicht betrachteten, das Gesetz zu brechen, um die Einwanderung von Juden zu verhindern; als ich hier angekommen war, konnte ich (…) erst einen Übernachtungsplatz finden, als ich mich im Hotel mit dem Mädchennamen meiner Frau anmeldete. Vor weniger als zwanzig Jahren wurde ich in New Hamp­shire nicht bedient. Und sogar bis heute können Juden und Schwarze in einem der besten Wohnbezirke von Washington D.C. kein Grundstück erwerben.«
Wie virulent der Antisemitismus zu jener Zeit war, zeigt sich an einem wenig bekannten Vorgang. In der Studienreihe des American Jewish Committee (AJC), in der auch »The Authoritarian Personality« von Theodor W. Adorno erschien, erstellten Leo Löwenthal und Daniel Bell einen Band zum Antisemitismus unter amerikanischen Arbeitern, den sie allerdings nie publizierten. Denn das Ergebnis offenbarte eine so große Nähe der Arbeiter zu Henry Fords Weltanschauung über »den internationalen Juden«, dass dem AJC die Studie zu brisant war. In der für die US-Gesellschaft charakteristischen Form gehören solche Phänomene, die erstmals 1947 mit Elia Kazans Film »Gentleman’s Agreement« in breiter Öffentlichkeit thematisiert wurden, mittlerweile der Vergangenheit an, auch wenn die Anti-Defamation League weiterhin zahlreiche Fälle sammelt, in denen Juden diffamiert, diskriminiert oder physisch attackiert werden.

Ein drängendes Thema ist indessen – ähnlich wie in Europa – diejenige Form des Antisemitismus, die sich der Auseinandersetzung mit Israel als Vehikel bedient. Selbst ein Autor wie Jonathan Rosen, der Antisemitismus in den USA als praktisch nicht mehr existent betrachtet hatte, schrieb aufgewühlt im November 2001 im New York Times Magazine über die Reaktionen auf die Anschläge vom 11. September: »In diesen Tagen bin ich mir über den Antisemitismus klargeworden.« Und Gabriel Schoenfeld fragte sich 2006 in seinem Buch »The Return of Anti-Semitism« schon, ob »das Ende der amerikanischen Ausnahme« nahe sei und Juden auch in diesem Land nicht mehr sicher leben könnten.
Weshalb Leute wie Rosen und Schoenfeld ihr Gefühl der Sicherheit verloren haben, mag die Frage eines Professors der renommierten Georgetown University verdeutlichen: »Wie haben der Judaismus, die Juden und die internationalen Kräfte es zulassen können, dass der Zionismus eine wilde, zerstörerische Bestie geworden ist, fähig, Greueltaten zu begehen?« Oder, etwas weniger elaboriert, die Bemerkungen eines Studenten der Rutgers University in der Studentenzeitung The Medium, einer sogenannten »Entertainment Weekly«, deren Ziel es ist, »erstklassigen lustigen Scheiß zu veröffentlichen«: »Stirb Jude. Stirb, stirb, stirb, stirb, stirb, stirb. Hör auf zu leben, stirb, stirb, stirb, STIRB! Tu uns allen einen Gefallen und bau Dir selbst einen Ofen.«
Für manche Beobachter kommt diese Entwicklung, die auch zu Boykott-Initiativen von Studenten und Professoren gegen »den Apartheidstaat Israel« geführt hat, nicht überraschend. Schon als Ende der sechziger Jahre in New York Kundgebungen abgehalten wurden, auf denen der Tod Israels gefordert wurde, war das für Norman Podhoretz, den langjährigen Herausgeber der AJC-Zeitschrift Commentary, und andere damalige Linke Grund genug, sich von der Linken abzuwenden und seither den Antisemitismus im intellektuellen Milieu – vor allem unter dem Deckmantel des Antizionismus – zu verfolgen und zu kommentieren. Den antisemitischen Drang, guten linken Gewissens Israel als »den Juden unter den Staaten« zu behandeln, hatte Podhoretz bereits 1986 als »Hass, der sich selbst nicht beim Namen zu nennen wagt«, bezeichnet, als er sich mit dem linken Schriftsteller Gore Vidal über dessen Gleichsetzung Israels mit den Nazis auseinandersetzte.

Auch die Rechte bringt immer wieder »Mutige« hervor, die sich gegen die Omnipotenz der Juden und Israels stellen und mit ihrer Klage, Kritik an Israel werde tabuisiert, durch die Medien gereicht werden. Pat Buchanan ist einer von ihnen, wenn er auch derzeit in der Bedeutungslosigkeit verschwunden ist; oder Russell Kirk, Mitbegründer eines modernen amerikanischen Konservatismus, dem es so scheint, »als ob manche bedeutende Neokonservative Tel Aviv für die Hauptstadt der USA halten«. Insbesondere Verschwörungstheorien, ob sie von »der Ostküste« im Besonderen oder von Juden im Allgemeinen handeln, stellen derzeit eine wichtige Triebfeder des Antisemitismus in den USA dar, nicht zuletzt beflügelt durch den globalen Bestseller »Die Israel-Lobby« von Stephen Walt und John Mearsheimer, der vielen die Beruhigung gibt, etwas zu lesen, was man ohnehin immer schon gewusst habe. Gleichzeitig lernen Juden in den USA, die mit Israels Politik nichts zu tun haben wollen, die Grenzen dieser Haltung kennen, wenn etwa Israel-Gegner in der jüdischen Bevölkerung die »fünfte Kolonne des Judenstaates« auf dem Territorium der Vereinigten Staaten wirken sehen. Vor allem Organisationen wie der Ku-Klux-Klan oder die Nation of Islam von Louis Farrakhan, der das Judentum für eine »Gossenreligion«, Hitler aber für »einen großen Mann« hält, stützen sich auf ein solches verschwörungstheoretisches Weltbild – auch wenn die große Zeit Farrakhans aus den neunziger Jahren erstmal vorbei zu sein scheint.
Dass es für den Antisemitismus in den USA spätestens seit dem 11. September ein unterschätztes Potential gibt, zeigt auch das zögerliche Vorgehen mancher Antifaschisten, wie etwa der sich selbst als »progressiv« bezeichnenden Political Research Associates (PRA). In einem kürzlich begonnenen »Campusprojekt« will die angesehene Rechercheantifa nun »die Situation hinsichtlich Islamophobie und Antisemitismus auf dem Campus von amerikanischen Universitäten und Colleges« untersuchen, »einschließlich des Verhältnisses zwischen den beiden«. Dabei handelt es sich um eine Reaktion der PRA auf die Zunahme von Attacken auf Juden »wegen Israel«, die wenig zielbewusst ausfällt und – wie die NGO selbst mit Unbehagen bemerkt – die Gefahr der Gleichmacherei disparater Phänomene birgt. Sie bringt, wie auch anderswo in der US-Linken, die Verwirrung über die Metamorphosen des Antisemitismus zum Ausdruck.