Französischer Innenminister wegen Beleidigung verurteilt

»Einen braucht man immer«

Der französischen Innenminister wollte nur lustig sein. Er machte Witze über ein Parteimitglied algerischer Abstammung und wurde von einer antirassistischen Organisation verklagt. Vergangene Woche wurde er wegen rassistischer Beleidigung verurteilt.

Frankreichs Innenminister Brice Hortefeux hat nicht nur Freunde im Land. Aber er hat wohlmeinende Feinde. Beispielsweise die Vereinigung »Les Indivisibles« (Die Unteilbaren) der Fernsehjournalistin Rokhaya Diallo, die seit Januar 2007 den »Y’a bon Award« stiftet, um auf ironische Weise rassistische Äußerungen von Prominenten auszuzeichnen. Brice Hortefeux ist ein guter Kunde der Vereinigung, er erhielt den Preis bereits zweimal.
Der Innenminister wurde am Freitag vergangener Woche wegen Äußerungen, die vom Gericht als »rassistische Beleidigung« eingestuft wurden, von einem Pariser Gericht verurteilt. Gemäß dem erstinstanzlichen Urteil, gegen das Hortefeux sofort in Berufung ging, muss er 750 Euro Geldstrafe an den Staat sowie 2000 Euro Schadensersatz. Geklagt hatte nicht der Betroffene selbst, sondern sondern die Bewegung gegen den Rassismus und für Freundschaft zwischen den Völkern (MRAP). Ferner muss der Innenminister die Gerichtskosten tragen und das Urteil auf eigene Kosten in einer Zeitung, deren Auswahl den Klägern obliegt, abdrucken lassen. »Les Indivisibles« war aber großzügig. Der Verein kündigte am Montag, den erst vor wenigen Tagen an Hortefeux gestifteten Preis im Internet zu versteigern, um dem Minister »zu helfen, die Geldstrafe zu zahlen«.
Verurteilt worden war Hortefeux wegen einer Äußerung, die belegt, dass er von Herkunft und Abstammung geradezu besessen ist. Im September vergangenen Jahres nahm der Innenminister an der »Sommeruniversität« der Regierungspartei UMP teil, die auf einem Strandgelände in einer Region südlich von Bordeaux stattfand. Dort wurde ihm ein junger Mann vorgestellt, der sich mit ihm fotografieren lassen wollte. Es handelte sich um ein junges Parteimitglied, den etwa zwanzigjährigen Amine Benalia-Brouch, der einen kabylischen Vater und eine portugiesische Mutter hat. Parteikollegen, die den jungen Franzosen fälschlich für einen Araber hielten, stellten ihn dem Minister mit platten, klischeehaften Sprüchen vor wie: »Das ist unser kleiner Araber« und: »Er isst Schweinefleisch und trinkt Bier«. Jean-François Copé, der Fraktionsvorsitzende der UMP in der französischen Nationalversammlung, der an der Seite des Innenministers stand, fpgte hinzu: »Er kommt aus der Auvergne!« Also aus derselben Region, in welcher Brice Hortefeux seinen Parlamentssitz holte, bevor er Minister wurde. Die Antwort des Innenministers lautete: »Das geht ja überhaupt nicht, er entspricht nicht dem Prototyp«, weil der junge Mann angeblich »Katholik« sei, Bier trinke und Schweinefleisch esse. Und dann fügte er einen Satz hinzu, der später berühmt geworden ist: » Einer muss immer dabei sein. Solange es einer ist, geht es. Wenn es viele sind, dann gibt es Probleme.« Ein Amateurvideo von dieser Szene wurde fünf Tage später auf der Homepage der liberalen Pariser Abendzeitung Le Monde veröffentlicht und löste große Empörung aus.
Zu seiner Verteidigung behauptete Hortefeux, er habe überhaupt nicht über Nordafrikaner oder Einwandererkinder gesprochen, sondern »über meine Landsleute, die Auvergnats«, obwohl weder das junge Parteimitglied noch der Innenminister selbst aus der Auvergne stammen.
Hortefeux hatte schon zuvor durch merkwürdige Aussprüche auf sich aufmerksam gemacht. Im Jahr 2009 soll er laut der konservativen Tageszeitung Le Figaro die Staatssekretärin für Sport, Rama Yade, Tochter eines senegalesischen Diplomaten, die Hortefeux und andere Regierungsmitglieder auf einer Reise nach Afrika begleitete, gesagt haben: »Du reist mit uns hin. Aber es könnte sein, dass du nicht mit uns zurückkommst.« Einen Journalisten der Pariser Abendzeitung Le Monde mit Migrationshintergrund, Mustapha Kessous, der ihn interviewen sollte, empfing Horte­feux mit den Worten: »Ihre Papiere!« Aus Spaß, wie er versicherte.
Bei all diesen Späßen will Hortefeux keinen rassistischen Hintergrund erkennen. Das Pariser Gericht sah es jedoch anders. In einer Verhandlung, die Mitte April stattfand, forderten Zivilkläger und die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung, und betonten den rassistischen Charakter der fraglichen Sprüche deutlich.
Brice Hortefeux, war lange Zeit als Berater von Nicolas Sarkozys tätig und begann seine Ministerkarriere im Mai 2007 als erster Amtsinhaber des damals neu geschaffenen Ministeriums für Einwanderung und nationale Identität. Nach anderthalb Jahren auf diesem Posten wechselte Hortefeux für wenige Monate ins Sozial-, später ins Innenministerium.
Die parlamentarische Opposition stellt nun die Frage, ob er in diesem Amt noch tragbar sei, nachdem er in erster Instanz verurteilt wurde. Der Sprecher der Sozialdemokraten, Benoît Hamon, forderte am Freitag nach dem Urteil seinen Rücktritt. Das konservativ-wirtschaftsliberale Regierungslager steht jedoch bislang weitgehend geschlossen hinter Hortefeux.
Dennoch muss sich der Innenminister Sorgen um seinen Posten machen. Denn Präsident Sarkozy, der selbst zwischen 2002 und 2007 mehrmals Innenminister war, will keinen Schatten auf seine eigene, aus seiner Sicht kaum zu übertreffende Bilanz in diesem Amt kommen lassen. »Ich habe den Beruf (des Innenministers) für lange Zeit getötet«, sagte Sarkozy im März in diesem Sinne: Nach ihm könne es keinen auch nur halb so guten Inhaber dieses Amtes geben. Tatsächlich sieht Hortefeux‹ Bilanz nicht ganz so gut aus: Die Zahl der Straftaten nimmt zu und von den 13 500 Polizisten, die Sarkozy unmittelbar nach seinem Amtsantritt im Jahr 2002 hatte zusätzlich einstellen lassen, wurden drei Viertel inzwischen wieder abgebaut: Sparzwang verpflichtet.
Hortefeux nutzt jedoch jede Gelegenheit, um sich wieder zu profilieren. Am 20. Mai kam es zu einem tragischen Zwischenfall in einem Vorort von Paris. Dort hielt die örtliche Kommunalpolizei einen Kleinlastwagen bei einer Routinekontrolle an. Anstatt ihr Fahrzeug durchsuchen zu lassen, eröffneten die Insassen, die zu einem Großeinbruch unterwegs waren, das Feuer aus mehreren Kalaschnikows und ergriffen die Flucht: Die 26jährige Kommunalpolizistin und junge Mutter Aurélie Fouquet starb an ihren Schussverletzungen. Mehrere Mitglieder der Bande wurden Tage darauf jedoch gefasst.
Hortefeux, der neben Sarkozy der Beerdigung der jungen Polizistin teilnahm, nutzte die Zeit für martialische Sprüche. Eine seiner ersten Entscheidungen daraufhin war, künftig die Elektroschockpistolen der Marke Taser für Kommunalpolizisten wieder zuzulassen. Sie waren vor etwa einem Jahr aus verboten worden. Der Oberste Gerichtshof hatte das Dekret, das ihren Einsatz erlaubte, annulliert mit der Begründing, Kommunalpolizisten fehle die nötigen Ausbildung, um mit diesen potentiell sehr gefährlichen Geräten verantwortlich umzugehen. Die nationale Polizei behielt die Apparate jedoch. Nun erließ Hortefeux ein Dekret, um die kommunalen Polizeiorgane erneut mit den umstrittenen Taser-Pistolen auszustatten. Dafür nutzt er die Gunst der Stunde, so lange die Emotion über den Tod der jungen Polizisten anhält. Kritiker monieren jedoch, in diesem Falle hätte es überhaupt nichts geändert, wenn die Polizistin eine Taser-Waffe gehabt hätte. Gegen eine Gang mit Kalaschnikows kann eine Ladung von 50 000 Volt nicht viel ausrichten.