Europas Bankrott-Kandidaten, Teil drei: Irland

Erst verarmen, dann abhauen

Bereits Anfang des Jahres hat Irland ein strenges Sparprogramm verabschiedet. Dadurch hat sich der Haushalt allerdings bisher nicht erholt. Die Auswirkungen der Krise sind für die Bevölkerung gravierend, doch der soziale Frieden hält bislang. Serie über Europas Bankrott-Kandidaten, Teil drei: Irland

Irland war das erste europäische Land, das von der Finanzkrise getroffen wurde. Im Jahr 2009 schrumpfte die irische Wirtschaftsleistung um zehn Prozent. Die Arbeitslosigkeit stieg rasant an, sie liegt mittlerweile bei 14,3 Prozent, das ist die vierthöchste Rate in der EU. Besonders hart trifft es die jungen Arbeitnehmer, jeder dritte arbeitsfähige Ire unter 30 ist arbeitslos.
Der Zusammenbruch der irischen Wirtschaft folgt auf ein zwei Jahrzehnte andauerndes Wachstum. In den achtziger und neunziger Jahren galt Irland als der »keltische Tiger«. Der rasante Aufschwung betraf in den vergangenen Jahren vor allem den Immobiliensektor. Häuser- und Wohnungspreise stiegen zwischen 1985 und 2006 um 250 Prozent und lösten einen dauerhaften Bauboom aus. Mit dem Eintritt in die Eurozone verbilligte sich die Kreditaufnahme für die Iren maßgeblich, Kredite zum Erwerb von Immobili­en wurden beinahe verschenkt. Der Staat tat nichts, um dem Aufblähen der Immobilienblase entgegenzuwirken. Im Gegenteil: Investitionen in Immobilien wurden durch großzügige Steuerbegünstigungen gefördert, die Immobiliensteuer wurde gesenkt. Am Ende machte der auf Pump finanzierte Immobiliensektor ein Fünftel der irischen Wirtschaftsleistung aus. Eine der größten irischen Banken, die Anglo-Irish Bank, hatte 2008 Außenstände in Höhe von 73 Milliarden Euro, was rund der Hälfte des gesamten irischen Bruttosozialprodukts entspricht.

Die Anglo-Irish Bank ist mittlerweile in Staatsbesitz. Als die Kreditkrise das Vertrauen in die Banken zusammenbrechen ließ, stand die Anglo-Irish Bank plötzlich vor dem Bankrott. Die irische Regierung betrachtete sie als too big to fail, zu groß, um zu scheitern, und übernahm bereits 2008 die Mehrheit der Aktien. Den übrigen irischen Banken ging es kaum besser. Die Allied-Irish Bank hatte vor der Krise rund 50 Milliarden Pfund Kredite in die Baubranche vergeben, als ihre Profite plötzlich zusammenbrachen, weil die Baufirmen keine Abnehmer mehr für die Immobilien fanden. Ähnlich erging es der Bank of Ireland. Die Regierung sprang auch hier ein und übernahm bei beiden Banken jeweils ein Viertel der Aktien.
Die erheblichen Kosten für den irischen Staatshaushalt haben neben der Rezession zu einem großen Defizit geführt. Die irische Regierung hat früher als andere europäische Regierungen ein rigides Sparprogramm aufgelegt, um das Defizit zu bekämpfen. Sie kürzte Gehälter im öffentlichen Dienst um 15 Prozent, reduzierte das Kindergeld um zehn Prozent, die Arbeitslosenhilfe um 4,3 Prozent und strich beinahe sämtliche Infrastrukturausgaben. Die Kürzungen in diesem Jahr belaufen sich auf 7,5 Prozent des Bruttosozialproduktes, im nächsten Jahr will die Regierung noch einmal drei Prozent sparen.
Die Regierungskoalition aus der wirtschaftsliberalen Volkspartei Fianna Fail und den irischen Grünen sieht in den harten Sparmaßnahmen den Schlüssel zu einer wirtschaftlichen Erholung in Irland. Doch die Einsparungen, die in der Financial Times als »masochistisch« bezeichnet wurden, haben bisher nicht zur Sanierung des Haushalts beigetragen, denn die Banken brauchen immer neue Unterstützung. Im April hatte die durch die Regierung geschaffene »Bad Bank« den größten irischen Banken faule Kredite in Höhe von insgesamt 16 Milliarden Euro abgenommen, allerdings zu einem Nennwert von lediglich 8,5 Milliarden. Die resultierenden Verluste zwingen die Banken zu einer Erhöhnung des Kapitalstocks, der im Falle der voll- oder teilverstaatlichen Banken auch wieder vom Staat übernommen werden muss. Entgegen der optimistischen Annahme der Regierung, dass Irland 2013 wieder ein solides Wachstum verzeichnen werde, fürchten einige Experten eine dauerhafte Depression.
Premierminister Brian Cowan wird für seine Wirtschaftspolitik zunehmend kritisiert. Die Oppositionsparteien werfen ihm vor, die irische Nation im Interesse der Banken »zu verraten«. Doch realistische Alternativen haben sie bislang nicht vorgelegt. Das politische System in Irland wird seit der Unabhängigkeit von zwei Parteien dominiert, der regierenden Fianna Fail und der oppositionellen konservativen Fine Gael. Jenseits der gegenwärtigen Rhetorik hat Fine Gael kaum Vorschläge zu einer Lösung der Krise und gehört wie die Fianna Fail zum traditionellen irischen Establishment. Beide haben enge Verbindungen zu den Führungsetagen der großen irischen Banken und Baukonzerne. Wirtschaft und Politik sind in dem kleinen Land eng verzahnt. Im Zuge der Krise sind einige Bankmanager öffentlich angeprangert worden. Gegen den ehemaligen Chef der Anglo-Irish Bank, Sean FitzPat­rick, wird derzeit auch juristisch ermittelt. Doch dieses Verfahren kann getrost als Ablenkungsmanöver für die irische Öffentlichkeit verstanden werden. Die Bilder von einzelnen Bankern in Handschellen sollen die bitteren Sparmaßnahmen offenbar erträglicher für die Bevölkerung machen.
Die kleinere Oppositionspartei der Sozialdemokraten hat sich insbesondere für eine sozialere Ausrichtung und Aufschiebung der Kürzungen ausgesprochen. In Unfragen scheint sie derzeit zwar gut abzuschneiden, doch Wahlen gibt es in Irland erst wieder in zwei Jahren.
Radikalere Vorschläge kommen von dem Ökonomen David McWilliams, der fordert, der Staat solle die Banken bankrottgehen lassen. Man müsse die privaten Guthaben sichern, argumentiert er, aber die Investoren zahlen lassen. Außerdem fordert er, dass Irland die Währungsunion verlässt und das irische Pfund wieder einführt. Dies werde zu einer rasanten Abwertung des irischen Pfundes führen und damit die irische Wirtschaft attraktiv für Investitionen machen.

Die meisten Iren sind jedoch an einer solchen Abwendung von Europa eher deinteressiert. Im Oktober 2009, mitten während der Krise, hat die Mehrheit der Wähler dem Lissabon-Vertrag zugestimmt. Bei einem ersten Referendum im Juni 2008 hatten die Iren den Vertrag noch mit 53 Prozent der Stimmen abgelehnt.
Auch die Proteste gegen die Sparmaßnahmen der Regierung halten sich bisher in Grenzen. Massenproteste hat es zwar einige gegeben, doch diese sind nicht zu einflussreichen Protestbewegungen gewachsen. Als die Regierung im April ein weiteres Mal Milliarden zur Rettung der Banken ausgab, protestierten in Dublin lediglich 1 000 Menschen. Dabei sind die sozialen Auswirkungen der Krise gravierend. Während 300 000 Wohnungen leerstehen, können viele ihre Hauskredite oder Mieten nicht mehr bezahlen und verlieren ihre Wohnungen. Gewerkschaftsführer weisen daraufhin, dass wegen der erhöhten Arbeitslosigkeit die Angst vor dem Jobverlust viele Menschen von gewerkschaftlichem und politischem Engagement abhält.
Die Iren scheinen das zu machen, was sie schon immer in Zeiten der Krise gemacht haben: Sie emigrieren. Zwischen April 2008 und April 2009 haben 20 000 Iren das Land verlassen, und Migrationforscher erwarten, dass weitere 100 000 folgen könnten.